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Einzelkind. Die „Tochter“ (Clara Rugaard) muss sich emanzipieren.

© Concorde

Dystopie „I Am Mother“ im Kino: Meine Mutter, der Roboter

Schwierige Kindheit: Das dystopische Science-Fiction-Kammerspiel „I Am Mother“ behandelt große Fragen über Zugehörigkeit und Erziehung.

Hauptsache, das Baby wird gehalten. Es wird sanft gewiegt, zart gestreichelt. „Baby mine, don’t you cry / baby mine, dry your eyes / rest your head close to my heart / never to part / baby of mine.“ Das Einschlaflied aus Disneys „Dumbo“ hat die Tochter jahrelang in den Schlaf geleitet. Gesungen wird es von „Mutter“, einem Roboter mit weicher Frauenstimme und Wärmeröhren am Rumpf, an die sich das Neugeborene schmiegen kann.

Das Kind wächst in einem futuristischen Bunker auf, die „Mutter“ mit ihrer zyklopischen Leuchtdiode in Augenhöhe kümmert sich um ihre geistige und körperliche Bildung. Als „Tochter“ (Clara Rugaard), wie die Androidin das Mädchen nennt, in die Pubertät kommt, stellen sich Symptome ein, die sich ähnlich auch in einer weniger dystopischen Umgebung einstellen würden. Die Tochter stellt Fragen: Wieso macht Mutter keine anderen Menschen, wo doch Tausende von Embryonen in In-Vitro-Kapseln lagern? Wieso taucht plötzlich eine Maus in der Station auf, obwohl Mutter toxische Werte für die Außenwelt misst? Und dann steht plötzlich eine verwundete Frau (Hilary Swank) vor der Luftschleuse. „Tochter“ lässt sie heimlich hinein, und noch bevor sie entdeckt werden, schafft es die aggressive Fremde, mit Hinweisen auf eine angebliche Armee mit baugleichen Robotern Misstrauen zu säen.

Es ist ein einfacher, überzeugender Trick, den der australische Regisseur Grant Sputore nach einem Drehbuch von Michael Lloyd Green anwendet: Allein durch die Bezeichnungen „Mutter“ und „Tochter“ gewinnt sein irritierendes Sci-Fi-Kammerspiel freudsche Dimensionen. Mutter, das ist der Ursprung von allem, die erste Bindung: ein Reizwort. So nennt Norman Bates in „Psycho“ sein mörderisches Alter Ego, für sie schämt sich John Connor in „Terminator 2“, ihre Hände bedichtete Tucholsky.

Alle Rollen im Film sind weiblich

Ohne aufdringlich zu werden, wirkt Sputores und Greens Drama, das in den USA direkt zu Netflix ging, dabei solide feministisch. Den Bechdel-Test besteht es schon mal mit Leichtigkeit – auch, weil alle Rollen im Film weiblich sind. Und mal nicht Männer oder Liebhaber die Situation zuspitzen. Mutterschaft als solche spielt keine große Rolle mehr. Stattdessen stellen sich „Erziehungsfragen“, die überall Gültigkeit haben: Kann man jemandem vertrauen, nur weil er einem ähnlicher ist? Wie bringt man einem Kind selbstständiges Denken bei – und was tut man, wenn es sich gegen einen richtet? Überhaupt: Wie geht man mit einem Loyalitätskonflikt um? Denn ob nun die bedrohlich blinkende, unterkühlt-autoritäre Robomum die bessere Mentorin für das Mädchen ist, oder die traumatisierte Menschenfrau, die anscheinend – trotz Fleisch und Blut – ebenfalls eine Schraube locker hat: Leicht macht der Film einem die Entscheidung nicht.

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[In acht Berliner Kinos, OV: Central, Cinestar im Sony Center]

Die in klaustrophobisch-eleganten Bildern gefilmte, dichte Geschichte, deren Robotik-Szenen durch einen echten menschlichen Darsteller im Roboterkostüm (Luke Hawker, ein Mann!) haptisch werden, erinnert an Duncon Jones’ retrofuturistisches Weltraumkammerspiel „Moon“ und Alex Garlands KI-Dystopie „Ex Machina“; an „2001 - Odyssee im Weltraum“ und Isaac Asimovs „I, Robot“. Vielleicht geht er sein Thema nicht ganz so tiefgründig an wie diese Vorbilder. Doch das Genre wird in „I am Mother“ auf bestmögliche Weise benutzt: als Philosophiegefäß für alte Menschheitsfragen. Und nicht als Leinwand für Action- und Gewaltbilder.

Dass die deutschen Synchronstimmen sich, anders als in der Originalversion, in Tonlage und Sprechart nur minimal unterscheiden, ist allerdings eine nicht nachvollziehbare Entscheidung. Sie raubt dem Drei-Frauen-Drama in der deutschen Fassung viel von der dramaturgischen Fallhöhe, da man immer kurz überlegen muss, ob gerade die Mutter oder die Tochter aus dem Off spricht. Sehen kann man es eh nur selten. Einen Mund hat die Robomum nicht.

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