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Wolle, Seide, Leinen. Die Teppiche dürfen aus konservatorischen Gründen nur selten in der Gemäldegalerie Alte Meister gezeigt werden.

© SKD/Alexander Peitz

Dresden feiert Teppichkunst: Monumentales Bilderbuch

Die Sempergalerie Dresden stellt Raffael-Tapisserien zur Schau. Sie zeigen die Macht und den Reichtum von Königen und Päpsten.

Im Laufe der Jahrhunderte verändert sich die Wertschätzung, die den einzelnen künstlerischen Medien entgegengebracht wird. So hat die im 20.Jahrhundert bis weit in dessen zweite Hälfte dominierende Malerei mittlerweile ihre Vorzugsstellung eingebüßt. Ganz unvorstellbar ist heute, dass die Malerei lange Zeit gegenüber ihrer Schwesterkunst der Teppichweberei zurückstand.

Gewiss beruht die Weberei auf gezeichneten und gemalten Vorgaben. Doch ihr ungleich größerer Aufwand, demgemäß ihre weit höheren Kosten, machten sie attraktiv als Medium der Prachtentfaltung und Herrschaftslegitimation.

Vom Wandel der Werthierarchien gibt Dresden mit seinen fürstlichen Sammlungen ein Beispiel und tut es gerade jetzt, da die hauseigene Serie der Bildteppiche nach Entwürfen Raffaels in einer Sonderausstellung zum Raffael-Jahr, dem Jahr des 500. Todestages des Künstlers, erstmals nach einer zwölfjährigen Pause wieder gezeigt wird.

Unter dem Titel „Raffael. Macht der Bilder. Die Tapisserien und ihre Wirkung“ ist dies die erste Sonderausstellung in der renovierten Sempergalerie, der Galerie Alte Meister, die nun nach coronabedingter Verzögerung eröffnet werden kann und sogleich den Qualitätsschub in museumstechnischer Hinsicht erkennen lässt, den das Haus erfahren hat.

Die Dresdner Teppiche sind nach den Entwürfen Raffaels gewebt, aber erst lange nach dessen frühem Tod. Während die ersten sieben Teppiche der originalen Serie aus der Werkstatt des damals in Europa führenden Pieter van Aelst in Brüssel 1519 in Rom eintrafen, gerade noch zu Lebzeiten ihres Entwerfers, entstanden weitere Ausführungen über ein Jahrhundert später in England in der neuen Manufaktur Mortlake, und nochmals ein knappes Jahrhundert später, 1728, erwarb sie der sächsische Kurfürst und zugleich polnische König, als solcher August II., für den Dresdner Hof.

Kunst zur Legitimation der Verhältnisse

Nach England waren im Jahr 1623 sieben der originalen, farbigen Kartons im Maßstab 1:1 gelangt; sie bilden seit dessen Gründung einen der Schätze des Victoria & Albert Museums in London. Wie gesagt: Bildteppiche, von denen ein einzelnes Exemplar leicht das Zehnfache eines großen Gemäldes kosten konnte, dienten der Zurschaustellung von Macht und Reichtum. Im Falle der Sixtinischen Teppiche allerdings noch mehr: als Legitimation.

Als solche gab Papst Leo X. 1514 den Entwurf zu zehn Bildteppichen in Auftrag, bei keinem Geringeren als Raffael, der als 34-Jähriger in Rom auf der Höhe seines Ruhmes stand. Leo, der erste Papst aus der Familie der Medici und von daher mit der sozialen und politischen Funktion von Kunstwerken aufs Intimste vertraut, suchte seinen kunstsinnigen Vorgänger, den 1512 gestorbenen Julius II., als Mäzen zu übertreffen.

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Für die Sixtinische Kapelle im Vatikan, damals angesichts des in den ersten Anfängen seines Neubaus steckenden Petersdoms der wichtigste Versammlungsort der päpstlichen Kurie, wünschte Leo eine Serie von Darstellungen aus dem Leben der beiden wichtigsten Apostel der katholischen Kirche, Petrus und Paulus. Deutlicher konnte Leo den Anspruch auf die singuläre Stellung des römischen Papstes und damit seiner selbst nicht unterstreichen.

In Dresden sind nun fünf der insgesamt sechs erhaltenen Teppiche ausgestellt, ergänzt um zwei Exemplare einer weiteren Serie, die sich in Paris befindet. Drei Tapisserien handeln von Paulus, dem Verkünder der Botschaft Jesu, und sind im ersten Raumteil zu sehen; dahinter dann vier Tapisserien zum Leben Petri, der Überlieferung nach erster Bischof von Rom und Begründer der Kirche.

In angrenzenden Räumen stellen die Kuratoren, Larissa Mohr und Museumsdirektor Stephan Koja, die Rezeptionsgeschichte der Raffael-Teppiche dar. Mit Raffael kam eine neue Bildsprache ins etablierte Medium der textilen Wandbehänge. Und erstaunlicherweise blieb sie gültig bis die Zeit der Tapisserien um 1800 zu Ende ging.

Biblische Erzählung als eine simultane Szene

Der heutige Betrachter wird die Neuartigkeit der Raffael-Entwürfe vielleicht nicht sogleich erkennen. Sie besteht darin, dass der Künstler seine monumentale Malerei, die er erstmals in den Fresken der Vatikanischen Stanzen erprobte, umstandslos auf die Kartons übertrug, die dann, nochmals kopiert und zerschnitten, von hochspezialisierten Webern abschnittsweise in Wolle, Seide und Leinen umgesetzt wurden.

Waren bis dahin Dutzende ornamentale Details üblich, die den Teppich zu einem mit dem Auge zu durchwandernden Bilderbuch machten, setzte Raffael auf die Zusammenziehung der biblischen Erzählung in jeweils einer einzigen, simultanen Szene. Das brachte mit sich, dass die unterschiedlichen Reaktionen der Jünger auf Jesu Predigt beim „Wundersamen Fischzug“ oder der „Berufung Petri“ in Körperhaltung und Mienenspiel dargestellt werden konnten.

[Dresden, Gemäldegalerie Alte Meister (Sempergalerie), bis 30. August.]

Diese Fähigkeit Raffaels sowohl in der Komposition der Gesamtszene wie in der Darstellung der einzelnen Figuren blieb auf Jahrhunderte vorbildlich. Speziell in Dresden wird immer wieder Goethe zitiert, der ja nicht nur dem Besuch der Gemäldegalerie wesentliche ästhetische Eindrücke verdankte, sondern auch der alljährlichen Zurschaustellung der Tapisserien beigewohnt hatte.

Besonders im 18. Jahrhundert, dem Zeitalter des Absolutismus und einer auf die Spitze getriebenen Prachtentfaltung, wurden zahlreiche Tapisserien von den diversen Manufakturen Europas gewebt, gern zu zeitgenössischen Themen, zu Kriegszügen und Heldentaten. Am Dresdner Hof waren Teppiche schon im 16. Jahrhundert in großer Zahl vorhanden; um 1600 verzeichnete das „Inventarium der tappecerey“ nicht weniger als 330 Bildteppiche. Ein Großteil ging beim Schlossbrand von 1701 verloren, sodass August II., „der Starke“, erpicht darauf war, repräsentative Stücke zu erwerben.

Raffael-Begeisterung war ein gesamteuropäisches Phänomen

In Dresden stößt der Besucher in einem der Nebenräume auf Dürers „Vier Apostel“ – das Zentralbild eines reformatorischen Bibelverständnisses. Natürlich nicht das Original, das unausleihbar in der Alten Pinakothek in München hängt, wohl aber eine qualitätvolle Kopie von 1610, an der das Vorbild von Raffaels monumentalen Figuren abzulesen ist. Dürer und Raffael – sie waren Zeitgenossen und kannten Arbeiten des jeweils anderen.

Die Bildteppiche sind materialbedingt nicht ganz so strahlend zu uns gekommen wie Gemälde derselben Zeit. Aber sie geben einen gewaltigen Eindruck von ihrer ursprünglichen Wirkung und Bedeutung. Eine Fotografie von 1910 gibt im umfassenden Katalog (Sandstein Verlag, 34 €) wieder, wie früher einmal vier der Teppiche im Oktogon der Sempergalerie hingen, als Auftakt der Gemäldesäle zu beiden Seiten.

Aus konservatorischen Gründen können die Tapisserien nicht mehr dauerhaft gezeigt werden, und so muss die Sonderschau für die Rolle einstehen, die Raffaels Teppiche über so lange Zeit hinweg als Vorbilder einnahmen.

Auch in Berlin gab es die Raffael-Teppiche, sogar ältere, „ursprünglichere“ als in Dresden. Neun der zehn Teppiche dieses um 1540 entstandenen und dem heute im Vatikan bewahrten gleichenden Zyklus’ kamen durch Ankauf 1844 in London nach Berlin, wo sie erst in der Rotunde des Alten Museums, ab 1904 dann im neuen Kaiser-Friedrich-Museum, dem heutigen Bode-Museum ausgestellt waren.

Sie gingen bei Kriegsende 1945 verloren. Ihrer Geschichte ist jetzt die Publikation „Apostel in Preußen. Die Raffael-Tapisserien des Bode-Museums“ gewidmet (Sandstein Verlag, 24 €). Die Raffael-Begeisterung war bis ins 19. Jahrhundert ein gesamteuropäisches Phänomen. In Dresden ist sie in ihrer frühen, noch ganz unvermittelten Form des königlichen Besitzerstolzes zu erleben.

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