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Statt Keksen: Garndosen in der Kostümwerkstatt der Komischen Oper.

© Heidi Specker

Dreiklang mit Garnrollen: Ein Bildband der Fotokünstlerin Heidi Specker feiert die Komische Oper

Die Liebe zum Detail: Mit der Sanierung des Musiktheaters werden die vielen Gebrauchsspuren der 75-jährigen Geschichte des Berliner Musiktheaters bald verschwinden.

Wie viele Opernfans, von den Wohlklängen enthusiasmiert oder noch ganz benommen, werden wohl schon auf diesem ockerfarbenen Polsterhocker Platz genommen und die Pause zwischen zwei Akten mit einem Glas Sekt begossen haben! Unzählige, man sieht es dem Möbelstück, zu finden im Umgang des 2. Rangs in der Komischen Oper, deutlich an. Eine Naht hat die jahrzehntelange Belastung nicht ertragen, und so hängt die Borte mit den Fransen, die den Hockerfuß kaschieren sollen, etwas schlapp, ja schlampig herab.

Gut möglich, dass der marode Hocker mittlerweile geflickt oder ganz aus dem Publikumsverkehr gezogen wurde, aber sein fast symbolhaftes Konterfei ist geblieben und findet sich nun in dem neuen, der Komischen Oper gewidmeten Bildband der Berliner Fotokünstlerin Heidi Specker. Symbolhaft, weil auch das Opernhaus in der Behrenstraße in die Jahre gekommen ist, nicht künstlerisch, aber bautechnisch.

Naht defekt. Ein maroder Polsterhocker im Umgang des 2. Rangs

© Heidi Specker

Kürzlich wurde dort mit Georg Friedrich Händel Oratorium „Saul“ die vorerst letzte Premiere gefeiert, und ab Herbst spielt die Komische Oper für Jahre im Charlottenburger Schillertheater. Ihr Gebäude sei „zuletzt in den 1960er Jahren renoviert und umfassend in Stand gesetzt“ worden, Generalsanierung und Erweiterung seien „dringend notwendig“, schreibt das Intendanz-Duo Susanne Moser und Philip Bröking im Geleitwort.

Neben der Würdigung des in dieser Spielzeit gefeierten 75. Jubiläums der Komischen Oper erfüllt der Fotoband also zugleich die Funktion, deren Freunde und Freundinnen über die Durststrecke der in Berlin bezüglich der Dauer nie ganz kalkulierbaren Bauarbeiten hinwegzuhelfen und den vertrauten Zustand zu dokumentieren, und dies beides ausdrücklich als „Porträt“. Schade nur, dass die Fotos häufig auf einer Doppelseite gedruckt wurden, geteilt also durch den Mittelknick des Buches.

Panorama? Nein danke!

Nun darf man bei einer Fotografin wie Heidi Specker allerdings keine in der neobarocken Pracht des Innenraums schwelgenden Panoramaaufnahmen oder gar Fotos aktueller Aufführungen mit glamourös in Szene gesetzten Arienstars erwarten. Sie setzt aufs Detail, beispielsweise den schon etwas lädierten Hocker, setzt ihr Porträt aus vielen Einzelbeobachtungen zusammen. Deren Objekte erschließen aber selbst einem mit dem Ort bestens vertrauten Stammgast oft genug erst aus der Bildlegende als zur Komischen Oper gehörig.

Das können – nun gut, die erkennt der Ortskundige – kunstvoll geschmiedete Treppengeländer sein, von Patina überzogene Wanduhren, Schuhe, Hüte, Anzüge und Kleider aus dem Kostümfundus, Klavier- oder Paukenpedale, alte Keksdosen voller bunter Garnrollen – oder auch für ein Musiktheater nicht gerade typische Bodenbleche im Kellergeschoss, hinter denen sich wer weiß was verbergen mag.

Kostüm des Silvius aus „Die Perlen der Cleopatra“ von Oscar Straus

© Heidi Specker

Aber selbst diese Fragmente des Kosmos Komische Oper bietet die Fotografin meist nur partiell, zeigt etwa nicht das komplette von ihr ausgewählte Kostüm aus Jacques Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“, vielmehr nur einen Ausschnitt ästhetisch drapierter Stoffbahnen, die als Teile eines Kostüms wiederum nur durch die Bildlegende entzifferbar werden.

Oft scheinen nicht die Objekte selbst, sondern nur ihre Oberflächen, ihre durch die stets perfekte Bildkomposition sichtbar gemachten Strukturen die Fotografin zu interessieren, sei es der runde Dreiklang der mit Garnrollen gefüllten Keksdosen aus der Kostümwerkstatt oder die strenge Geometrie der Fugen an der Schmuckfassade des Funktionsgebäudes Unter den Linden.

Pedale eines Klaviers im Studierzimmer (Funktionsgebäude)

© Heidi Specker

Stehen Heidi Speckers Fotos für die allerdings mit den Gebrauchsspuren der Vergangenheit übersäte, bald der Sanierung anheim gegebene Gegenwart des Gebäudes, so feiert ihr Buch mit dazwischen gestreuten Aufnahmen aus dem Archiv der Komischen Oper zugleich deren große künstlerische Tradition.

So tauchen zwischen all den vertrauten Objekten ihres Alltags nun doch auch die diesen erschaffenden oder genießenden Menschen auf, hier eine Baukolonne in den 1960er Jahren, als der alte Theaterbau seine moderne Hülle erhielt, dort das Orchester im Jahr 2020, Chöre, die gesamte Belegschaft, schließlich das Publikum auf Ticketjagd vor dem Eingang oder staunend in den Theatersesseln.

Und nicht zuletzt tauchen auch die Heroen der Komischen Oper auf, die deren Kunst prägten, Männer wie Harry Kupfer, Barrie Kosky, Kirill Petrenko, Kurt Masur und selbstverständlich, sogar gleich dreifach, ihr Gründer, Regisseur und langjähriger Intendant Walter Felsenstein.

Eines der Fotos zeigt ihn um 1965 mit einem Bauarbeiter bei der Grundsteinlegung des Anbaus. Mit Heidi Speckers auf derselben Doppelseite gezeigtem Foto eine Bildauswahl voller Hintersinn: Hier der einsame Zylinder des Arbeiters auf der Baustelle, dort gleich ein ganzes Zylinderquartett, auf einem Hutständer im Kostümfundus dekorativ drapiert.

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