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Christos mit leuchtendem Stoff umhüllte Stege führten zu zwei Inseln auf dem lombardischen Iseosee.

© Alamode Filmverleih

Dokumentarfilm über Christo: Der Stoff, aus dem die Stege sind

Sommermärchen 2016: Der Dokumentarfilm „Christo – Walking on Water“ führt den Zuschauer hinter die Kulissen der Floating Piers auf dem Lago d’Iseo.

Wer da war, sah ihn mitunter. Auf dem großen Kamerafloß, von dem aus sein Team die Besucher auf den „Floating Piers“ filmte. Wie Gottvater stand Christo oben an der Reling, mit weißem, wehendem Haar. Ein gütiger Gott, wach und scheu blickte er auf sein Werk. Auf die leuchtend gelben Stoffbahnen, die sich über den Lago d’Iseo erstreckten, vom Festland hinüber auf Monte Isola und eine weitere, kleinere Insel – ein Parcours von drei Kilometern. Und auf die vielen Leute, die über die sanft schaukelnden Stege flanierten, viele von ihnen barfuß. So hatten Christo und Jeanne-Claude es sich gedacht: dass die Menschen über das Wasser wandeln.

Ein italienisches Sommermärchen, für 16 Tage: Am Iseosee unweit von Bergamo konnte man im Juli 2016 die Schönheit erleben. Christo verhüllte die Wasserwege, wie er einst den Reichstag verhüllt hatte. Die Besucher erlebten aber auch: Gluthitze, Starkregen, Stürme. Die „Floating Piers“ drohten zum Desaster zu werden, weil gleich am zweiten Tag 55.000 Menschen die Stege fluteten. Die Folgen: stundenlange Warterei, Gedrängel, Unfallgefahr, Warnstufe Rot. Erst als Christo das Projekt abzubrechen drohte, begannen die Behörden, die Besucherströme wenigstens etwas einzudämmen. Am Ende waren es trotzdem 1,2 Millionen Besucher, doppelt so viele wie angenommen.

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Nun gibt es das Making of zum Projekt, den Dokumentarfilm „Christo – Walking on Water“ von Andrey Paounov. Der Regisseur ist Bulgare, wie Christo. Die Bilder wurden von zehn Crews zusammengetragen, 700 Stunden Material, aus dem Paounov seinen 100-Minuten-Film montiert hat. Wer nun eine Hagiographie befürchtet, eine PR-Aktion für ein Kunstwerk, dessen 15-Millionen-Euro-Budget Christo nicht mit öffentlicher Förderung oder Sponsoren finanzierte, sondern wie üblich durch den Verkauf seiner Kunst, sieht sich auf angenehme Weise eines Besseren belehrt.

„Walking on Water“ ist eine Nahaufnahme im Stil des Cinéma verité, das ungeschönte Porträt eines Künstlers, der begeistert mit den Kids in einer New Yorker Schulklasse diskutiert, während er beim VIP-Empfang zwischen den Adabeis doch eher fremdelt. Und eines leidenschaftlichen Teamworkers: Beim Skypen mit den Katalog-Machern wird Christo wütend – und diese wettern munter zurück.

„Unsere Kunst ist vollkommen nutzlos“, sagt er vor italienischen Politikern und Behördenchefs. „Sie existiert einzig und allein, weil Jeanne-Claude und ich sie sehen wollen“.

Die Bürokratie, die Unwetter: Kunst kommt von Katastrophenbewältigung

Kunst kommt von Staunen. Und von Sturheit im Angesicht der Katastrophe. Da ist zunächst eine traurige Stille, die Einsamkeit im Atelier nach dem Tod von Jeanne-Claude 2009. Es folgt der Kampf mit der Bürokratie (begleitet von einem ironisch-minimalistischem Soundtrack), mit der bald doch nicht mehr so begeisterten Politik und den Fallwinden über dem Lago. Mit der Technik steht Christo öfter auf Kriegsfuß. Ob Beamer, Mikrophon oder Computer, kaum ist er in der Nähe, funktioniert etwas nicht. Und wenn 220 000 Kunststoffwürfel zusammengesetzt und zu Wasser gelassen werden, steckt die Tücke erst recht im Detail.

Bestürzung, Angst, Hoffnung: Christos Gesicht kann man lesen wie ein Buch.
Bestürzung, Angst, Hoffnung: Christos Gesicht kann man lesen wie ein Buch.

© Wolfgang Volz

Wie das güldene Polyamidgewebe darauf befestigen? Christos Assistent ist Vladimir Yavachev, sein Neffe. Ein Hüne von Mann, künstlerischer Koordinator, Galerist, Bodyguard, Krisenmanager, Mädchen für alles. Über die Befestigungsfrage – dicke Kette, dünne Kette, Holz? – streiten sich die beiden erbittert. Und wenig später versorgt Yavachev den mittlerweile 83-jährigen Künstler wie ein Kleinkind, klebt ihm große Pflaster ins Gesicht, schimpft ihn aus. Christo war gestürzt, er trug die falschen Schuhe. Immer diese Sturheit.

Der Film ist auch eine Hommage an Christos entwaffnendes Wesen

Die schönsten Szenen: Christos Verteidigung der Wirklichkeit gegen das Virtuelle. „Real wind, real dry, real wet, real fear, real joy,“ sagt er und strahlt. Als der erste Steg tatsächlich in den Wellen zu schwanken beginnt, freut er sich königlich. Und als der Stoff trotz Unwetter schließlich festgezurrt ist, kann er sein Glück kaum fassen. Aber ebenso groß ist seine Verzweiflung, als viele, zu viele kommen und ein sechsjähriges Mädchen in der Menge verschwunden ist.

Bestürzung, Angst, Hoffnung: Christos Gesicht lässt sich lesen wie ein Buch. Vielleicht ist das die Erklärung dafür, warum er immerhin 23 seiner 47 schier unmöglichen Projekte mit Jeanne-Claude realisieren konnte: sein entwaffnendes Wesen. Er und sein Team ackern unermüdlich und doch gelassen, mit reichlich Humor in eigener Sache. Und wenn er Kraft braucht, schlürft er ein rohes Ei. Als nächstes hat er ein Projekt in der Wüste.

Ab Donnerstag in acht Berliner Kinos (OmU).

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