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Schöner schnattern. Während am Hang Feng-Shui-Gärten angelegt werden, erobert sich die Natur den künstlichen See.

© realfictionfilme

Dokumentarfilm „Göttliche Lage“: Wo die wilden Gänse wohnen

In Ulrike Frankes und Michael Loekens neuer Doku „Göttliche Lage“ wandelt sich ein altes Dortmunder Stahlwerksgelände zum Villenviertel. Und ein paar Problemgänse stören das dort penibel kalkulierte Ökosystem.

Vergrämung durch Raubvögel? Abschuss nach Ende der Schonzeit? Oder Gift? Die Pläne sind martialisch. Dabei zielen sie auf wenig bedrohliches Getier: ein paar Gänse, die mit dem Umzug an den künstlichen See einer neu geplanten Luxussiedlung das dort penibel kalkulierte Ökosystem stören könnten. Ein Fall gewöhnlicher Migration also. Doch mit derlei Launen der Natur hatten die Planer ebenso wenig gerechnet wie mit feiernden Jugendlichen, die Steg und Seepromenade belagern. Der neue schicke Stadtteil liegt in einem ehemaligen Arbeiterviertel des Ruhrgebiets, wo der Abbau von 18000 Stahl-Arbeitsplätzen binnen Jahrzehnten neben Armut auch Leerstand und Vandalismus geschaffen hat. „Prekäres Milieu“ nennt das einer der Häuschenkäufer. Das Milieu selbst wiederum sieht sich von „Neureichen“ erobert.

Vor zehn Jahren waren die Dokumentarfilmer Ulrike Franke und Michael Loeken für „Losers and Winners“ dabei, wie eine Dortmunder Kokerei zum Abtransport nach China demontiert wurde. Es folgte „Arbeit Heimat Opel“ über Jugendliche in Bochum. Nun sind sie für den letzten Teil ihrer Ruhr-Trilogie nach Dortmund zurückgekehrt, in den Stadteil Hörde. Dort wird auf dem einstigen Gelände des Stahlwerks Phoenix-Ost die Villenanlage Phoenix-See gebaut, die mit „maritimer“ Anmutung den „Farbklang des Ruhrgebiets“ (so der Werbesprech) vom Grau ins Sonnige wandeln soll. Fünf Jahre lang begleiten die beiden das gigantische Vorhaben, von ersten Werbetouren bis zur Eröffnung mit Händels Wassermusik und – ironische Volte? – Dallas- Ölbaron-Darsteller Larry Hagman.

Die Feng-Shui-Gärten hinterm Zaun

Auch sonst sind die Leute von der städtischen Entwicklungsgesellschaft um blumige Werbe-Slogans für ihre Modellhäuser mit Terrassenpools im Toskana- und Bauhaus-Stil nicht verlegen. Mitsamt pseudokünstlerischen Schnörkeln, etwa der Idee, eine riesige Thomas-Birne aus der Frühzeit der Stahlproduktion teilweise im See zu versenken, womit nichts Geringeres als der Untergang der Industriekultur symbolisiert sei – ein Vorhaben, das der Heimatverein noch ein bisschen umbiegen kann. Bald stehen die ersten Villen, und während hinter den Zäunen Feng-Shui-Gärten angelegt werden, sorgt der Wachschutz für die Durchsetzung des Badeverbots. Und wochenends kommen Radtouristen zum Staunen.

„Göttliche Lage“ besichtigt, höchst anschaulich, die postindustriellen Lebenswelten des Ruhrgebiets, wobei die Dinge unkommentiert für sich sprechen. Zu sehen und zu hören gibt es genug, denn Franke und Loeken durften das Bauprojekt in allen Phasen und auch bei internen Besprechungen begleiten. Diese ungewöhnlich offenen Einblicke in den Kosmos der Bauleute machen „Göttliche Lage“ auch zu einem – oft komischen – Lehrstück darüber, wie marketingorientiertes Denken längst auch öffentliche Großprojekte bestimmt. Und wie ein paar Problemgänse zum Dauersujet behördlicher Herrenrunden werden können. Dabei gibt es neben reichlich Grund zum Frösteln durchaus auch Hoffnung. Denn mit klugem Management und Bürgersinn könnte am Ufer des Phoenix-Sees vielleicht wirklich eine neue attraktivere Wohn- und Lebenslage entstehen.

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