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Szene aus der "Orestie" mit Majd Feddah und Maja Beckmann als Aigisth und Klytaimnestra in der Badewanne.

© Sebastian Hoppe

"Dionysos Stadt" beim Theatertreffen: Und Zeus spricht Arabisch

Homer und Humor: Christopher Rüpings zehnstündiges Antikenspektakel „Dionysos Stadt“ beim Berliner Theatertreffen.

Das Theater und der Marathonlauf kommen aus der griechischen Antike. Und in der jüngeren Bühnengeschichte geraten sie bisweilen zusammen. Dabei dauert ein richtiger Theatermarathon mindestens vier- bis fünfmal so lang wie ein sportlicher Rekordlauf. Aber als „Antikenprojekt“ gehört er allemal zum Theaterolymp. So auch jetzt beim Berliner Theatertreffen. Die mit „10 Stunden Antike“ schon auf dem Programmheftcover annoncierte Unternehmung „Dionysos Stadt“ der Münchner Kammerspiele galt an diesem Wochenende, jeweils vom frühen Nachmittag bis gegen Mitternacht aufgeführt, als Tipp und Hit des Treffens.

Tatsächlich beginnt die Inszenierung von Christopher Rüping auf der zunächst fast kahlen, nach hinten nur zu einem tribünenartigen Stahlgestell geöffneten Bühne des Festpielhauses furios. Ein paar Akteure des überwiegend jungen Ensembles hängen in Alltagsklamotten irgendwie rum, da stürmt der Schauspieler Nils Kahnwald mit einem Mikro heran und startet eine Art Anmoderation. Man denkt, das ist nur ein flottes Intro, und dann geht es los. Aber es ist schon losgegangen.

Kahnwald beginnt, auf ein paar Modalitäten hinzuweisen, auf die drei Pausen, auf Oliven und Nüsse in den Foyers und den „Charlottenburger“ als Caterer draußen im Garten, auf mögliche Rücken- und Sitzfleischbeschwerden der Zuschauer oder Pinkelprobleme. Doch indem sich Kahnwald, ein schmächtiger Junge in Pulli und Jeans, immer wieder kunstvoll selbst ins Wort fällt, sich verheddert, vom Hölzchen aufs Stöckchen springt und dann wieder plötzlich beim Stammbaum (des Theaters, der alten Götter und der ganzen Menschheit) landet, einzelne Zuschauer direkt adressiert und schlagfertig improvisiert, indem er so den Stand-up-Comedian markiert, lockt er zugleich immer tiefer in die Tragödie: als göttlich-menschliche Komödie.

50 Euro, wenn Sie bis zum Schluss bleiben

Eben noch klebt der charmante Ankermann im Meer der Antikenmotive einen 50-Euro-Schein auf ein Kaugummi an der Wand als Belohnung für eine Zuschauerin, wenn sie entgegen ihrer Absicht bis zum Ende aushält, da switcht er von der Aufführungszeit in die reale Lebenszeit. Kahnwald rechnet aus, dass ungefähr zehn Zuschauer hier im Saal in einem Jahr aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr leben werden. Und in zehn Jahren? Irgendwann geht Holland unter, gehen in hundert Jahren einige Lichter aus und so fort, aber die sanfte Apokalypse hat etwas unaufgeregt und suggestiv Poetisches. Persönliches. Politisches.

Der erste von vier Teilen des langen Tages Reise in die Nacht heißt „Prometheus. Die Erfindung des Menschen“. Prometheus (Benjamin Radjaipour) schwebt gefangen in einem Stahlkäfig aus dem Bühnenhimmel herab, wird ab und an von einer milchweißen Flüssigkeit besprüht. Es soll der Kot des Adlers sein, der ihm, an einen Felsen des Kaukasus geschmiedet, die immerzu nachwachsende Leber rausreißt, frisst und ihm als einzige Nahrung selbst ins Gesicht scheißt. Zeus hat Prometheus derart verdammt, weil er den Menschen unerlaubt das Feuer und damit Energie, das Licht der Aufklärung und Selbstermächtigung gebracht habe. Zeus: „Daraus werden die Menschen einmal die Bombe bauen.“ Bomben gegen sich selbst und gegen die Götter.

Zeus in Gestalt des Schauspielers Majd Feddah spricht nur Arabisch und Englisch. Das wirkt erst als Gag. Wie die als mäende Schafe bisweilen fellbehängt herumkriechenden anderen Akteure. Doch irgendwie haben diese banalen Gags auch Geist. Eine am Rand der Bühne eingerichtete Raucherecke, die einzelne Zuschauer, wenn davor eine Ampel grün leuchtet, eifrig nutzen: nur doof? Eher: jein! Dort oben der Feuerzeuger Prometheus, und unten pafft die Gegenwart. Am Ende des zweistündigen Anfangs weitet sich mit Texten aus Heiner Müllers Version von Aischylos’ „Prometheus gefesselt“ der eigene, im Intro angesprochene Lebenszeitraum in die drei Mal dreitausend Jahre der prometheischen Leidens- und Erlösungsgeschichte. Womit das Theater bei seinem Marathon sich und das Publikum in der reflektierten Relation von Zeit und Raum vereint.

Riesenparty und ein überflüssiger Nacktauftritt

Leider hat die folgende Masse nicht mehr dieselbe Klasse. Es gibt eine zwischen Homer und Humorigem schwankende Nacherzählung des Trojanischen Kriegs nebst etwas absichtsvoller Einlage nach dem Motto „Frauen gegen den Krieg“, bei der die gefangenen Trojanerinnen zu Girlies im Tennisdress werden. Auch „Die Orestie“ (dritter Teil), halb als TV-Soap mit Live-Cams, bringt zwar eine Riesenparty mit auf die Bühne eilenden Zuschauern, Frei-Ouzo und einem überflüssigen Nacktauftritt (Nils Kahnwald als Orest). Doch außer ein paar aberwitzigen Szenen mit dem von Orest ermordeten Atridenpaar Aigisth und Klythaimnestra (Majd Feddah, Maja Beckmann) und einer Blutbadewanne fehlt’s an treffendem Drama.

Warum Dionysos hier der Namensgeber ist, wird auch nicht klarer im kurzen Epilog: nurmehr ein bisschen Kunstrasenfußball mit einer Hommage à Zidane (dem tragischen Helden des Berliner WM-Finales 2006). Man hat da erkennbar ausgespielt. Wer die Antikenprojekte von Peter Brook, Peter Stein, Klaus Michael Grüber oder Ariane Mnouchkine noch erinnert, verlässt das Theater – als leicht enttäuschter Liebhaber.

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