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Sprung ins Ungewisse. Flötistin Valeria Steidle und Oboistin Lokyu Cecilia Wan. Foto: Christian Mang

© Christian Mang

Kultur: Diesseits von Utøya

Die Deutsch-Skandinavische Jugendphilharmonie gastiert wieder in Berlin, mit einem Requiem-Programm. Probenbesuch beim Orchesterkurs.

Einatmen. Ausatmen. Und schon schwingen die Bögen der Streicher im 5/4-Takt über die Saiten. Violinen und Bratschen spielen pianissimo, fast klingt es, als würden die Instrumente weinen. Dann holen die Musiker erneut Luft, drücken ihre Bögen fest gegen die Saiten und gehen entschlossen ins Crescendo über. Die Passage mündet in einer kraftvollen Aussage: Das „Requiem für Utøya“ hat Andreas Peer Kähler für die Deutsch-Skandinavische Jugendphilharmonie (DSJP) komponiert.

Vor 33 Jahren hatte Kähler das Drei-Länder-Projekt zwischen Dänemark, Schweden und Deutschland ins Leben gerufen. Seitdem finden die Orchesterkurse jedes Jahr in Berlin statt. Studenten können dabei genauso teilnehmen wie Berufsmusiker. Kählers Requiem ist den 77 Menschen gewidmet, die Anders Breivik am 22. Juli 2011 auf der norwegischen Ferieninsel erschossen hat. Zwischen der Ouvertüre zu Wagners „Meistersingern“ und Verdis „Requiem“ bildet Kählers Komposition das Herzstück des Konzertprogramms. Dem Komponisten geht es bei seiner Totenmesse nicht nur um die Opfer, sondern auch um die Hinterbliebenen. Während der Arbeit an der Partitur wurde ihm schnell klar, dass keine eingeschüchterten und gelähmten Menschen im Zentrum stehen sollten. Sein Werk sollte nicht dem Tod gewidmet sein, sondern den Lebenden. Das kommt im gemeinsamen Atmen genauso zum Ausdruck wie in den Takt- und Tempowechseln.

Der 80-köpfige „Requiem“-Chor besteht aus Studenten des Königlichen Konservatoriums Kopenhagen und der Musikhochschule Malmö, hinzu kommen vier Gesangssolisten des Kopenhagener Opernstudios. Anders als in den Vorjahren stehen mit Wagner und Verdi erstmals zwei nicht-nordische Kompositionen auf dem Programm. Der auf Norwegisch singende dänische Chor betont derweil den nordischen Aspekt des Abends.

Neben Deutschen und Skandinaviern sind in diesem Jahr auch viele Chinesen, Schweizer, Spanier und vor allem serbische Musiker dabei, erzählt Andreas Peer Kähler. „Unser Orchester ist international geworden.“ Der trilaterale Ansatz, der das Projekt zu Beginn kennzeichnete, hat sich mittlerweile zum multilateralen weiterentwickelt. Das „Skandinavische“ sei ohnehin nur ein Konstrukt, so Kähler. Statt einer Geografie beschreibe es eine Idee. Und über die Kursteilnahme entscheidet sowieso die Qualität, nicht die Nationalität.

Die 19-jährige Valeria Steidle kommt aus der Schweiz, sie spielt Querflöte und nimmt zum ersten Mal an der Orchesterwoche teil. Sie bewarb sich, wurde angenommen und genießt die intensiven Proben. Wegen Verdi und Wagner macht sie sich keine Sorgen. „Hier kenne ich die Noten, und die Stücke konnte ich mir im Vorhinein auf CD anhören“, sagt sie. Mit Kählers Requiem sei das etwas anderes. Die Komposition ist erst vor wenigen Wochen fertig geworden, eine Aufnahme gibt es nicht. Besonders anspruchsvoll erscheinen ihr das gemeinsame Atmen im 5/4- Takt und die Partien, in denen sie improvisieren soll.

Auch für die 24-jährige Oboistin Lokyu Cecilia Wan aus Hongkong ist das Werk eine Herausforderung und ein Sprung ins Ungewisse. Sie ist ebenfalls erstmals dabei. Mit dem Auftritt in der Philharmonie geht für sie ein lange gehegter Wunsch in Erfüllung. In ihrem Studium musste sie sich entscheiden, in welche musikalische Richtung sie gehen möchte: Pop, chinesische Musik oder Klassik. Als ihr dann eine CD der Berliner Philharmoniker in die Hände fiel, war sie sofort begeistert und entschied sich für die Klassik. Ihr Traum, eines Tages selbst in der Philharmonie aufzutreten, wird am heutigen Dienstag wahr. Stella Marie Hombach

7. Januar, Philharmonie, 20 Uhr

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