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Schattengestalten. Woyzeck und Marie auf der schiefen Bahn.

© Sandra Then

"Woyzeck" beim Theatertreffen: Die Welt ist eine schräge Scheibe

Auf der Suche nach einem politischen Theater: Ulrich Rasches Baseler „Woyzeck“-Inszenierung gastiert beim Berliner Theatertreffen.

Ulrich Rasche ist ein Regisseur, der gern sein ausgeprägtes Interesse an politischen Stoffen betont. So geschehen schon auf der Pressekonferenz des diesjährigen Theatertreffens. In Dresden, erzählte Rasche da, habe er jüngst Ágota Kristófs Roman „Das große Heft“ auf die Bühne gebracht, diese Geschichte einer Verrohung und moralischen Verhärtung in Kriegszeiten. Welcher Lokalbezug damit insinuiert wird, kann man sich ungefähr vorstellen.

Auch Büchners „Woyzeck“ ist natürlich eine sehr politische Angelegenheit. Obgleich Rasche im Programmheft seiner Basler Inszenierung, die jetzt beim Theatertreffen gastiert, zugesteht: „Angesichts der weltweiten Krisen und des Erstarkens ultrarechter politischer Kräfte in Europa oder den USA findet man bei Büchner nicht unbedingt ein Werkzeug, den Gang der Welt zu ändern.“ War halt ein alter Fatalist, der Georg. Vielleicht ist es sowieso ein bisschen viel verlangt, vom deutschsprachigen Subventionstheater den sofortigen Sturz des Donald Trump oder die moralische Läuterung der AfD zu erwarten, auch wenn viele Künstler das anders sehen. Schade bleibt, dass sich an diesem „Woyzeck“ – wie schon am gruseligen Theater-Missverständnis „Beute Frauen Krieg“ von Karin Henkel – mal wieder die unselige Tendenz beweist, der Gegenwart mit Klassikern hinterherzulaufen und dabei „schlimm, schlimm!“ zu rufen.

Eine Metapher für irgendwas Gesellschaftliches

Rasche, der auch Bühnenbildner ist, hat ein gigantisches Rad auf die Bretter montieren lassen. Ein Wunderwerk der Schweizer Präzisionskunst. Eine Drehscheibe, die aus verschiedenen metallenen Ringen besteht, die gegenläufige Bewegungen zulassen. Sie kann hydraulisch hochgefahren und in gefährliche Schräglagen gekippt werden. Und sie ist bestimmt auch eine dramaturgisch durchdachte Metapher für irgendwas Gesellschaftliches.

Die Schauspieler – zuvorderst Woyzeck-Darsteller Nicola Mastroberardino – müssen sich jedenfalls öfter mal anleinen, um nicht runterzufallen vom Rad. Vermutlich gab es deshalb am Ende der Vorstellung Standing Ovations fürs Ensemble. Ist ja schon fast artistisch, dieser Kraftsport mit Büchner. Dessen knappes Dramenfragment wird zur live intonierten Minimal Music von Monika Roscher in einem zerdehnten Kunsthessisch auf die schleppenden Beats gesprochen, sodass die ganze Chose letztlich dreieinhalb Stunden dauert.

Rasche will den Einfühlungskitsch vermeiden, nicht das Krokodilstränen-Drama der geschundenen Kreatur vom sozialen Rand erzählen, und das ist ja erst mal löblich. Die schwangere Marie (Franziska Hackl), der Tambourmajor (Michael Wächter), der Doktor (Florian von Manteuffel), der Hauptmann (Thiemo Strutzenberger) und natürlich Woyzeck selbst sind hier Teil desselben repressiven Räderwerks, das unentwegt Konkurrenz, Ungerechtigkeit und Ausweglosigkeit hervorbringt. Wie heißt es im Text? „Jeder Mensch ist ein Abgrund; es schwindelt einem, wenn man hinabsieht.“ Um das zu begreifen, braucht man allerdings kein Theater, da genügt das Anstehen an der Kasse im Bio-Supermarkt.

Kraftmeiernd kreiselt dieser „Woyzeck“ vor sich hin, markige Kerls mit nacktem Oberkörper performen schummrig ausgeleuchtete Bildwucht. Das Problem ist weniger dieser Formalismus selbst als die Tatsache, dass er die vermeintlich kritisierten Verhältnisse letztendlich nur reproduziert. Wo sind die Gegenwelten, die ja weiß Gott keine heilen sein müssen? Wo ist der Wille, sich aus den herrschenden Narrativen der Verrohung auszuklinken? Das wäre dann wirklich mal politisches Theater.

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