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Erinnerungsmusik. Die Dresdner Sinfoniker spielen "Aghet" - unter anderem gefördert von der EU-Komission.

© Filip Zorzor

Die Türkei, Armenien und Europa: Völkermord, bitte löschen

Die Türkei versucht die EU-Kulturpolitik zu kontrollieren - Auslöser ist ein Konzertprojekt der Dresdner Sinfoniker über den Genozid an den Armeniern.

Es ist schon wieder passiert mit der Türkei. Diesmal nährt sich die gesteuerte Erregung nicht von Erdogans gekränktem Ehrgefühl. Diesmal zielt sie weiter: Die Ständige Vertretung der Türkei bei der EU verlangt von der Kommission, die Förderung eines Konzertprojekts zu stoppen – und die Beschreibung aus dem Internet zu tilgen. Betroffen ist eine europäische Koproduktion der Dresdner Sinfoniker mit Musikern aus der Türkei, Armenien, den ehemaligen jugoslawischen Staaten und Deutschland.

Sie greift eines der letzten Tabus des 20. Jahrhunderts auf, den ersten Völkermord, dem schreckliche folgen sollten. „Aghet“ heißt Katastrophe – und nichts anderes war der Genozid an den Armeniern, der vor 101 Jahren begann und bis zu 1,5 Millionen Menschen das Leben kostete. Es ist ein Dogma der Türkei, sich dafür nicht schuldig zu bekennen und daher den Begriff des Völkermords entschieden zu bekämpfen.

Jetzt erreicht dieser Kampf, der in der Türkei zu langen Haftstrafen und zur Ermordung des Journalisten Hrant Dink führte, die EU-Kommission. Die wartet eigentlich darauf, dass Ankara endlich alle Voraussetzungen für die eingeforderte Visa-Erleichterung erfüllt. Dabei geht es auch um eine solide Rechtsstaatlichkeit, die jeden Tag schwerer nachweisbar wird. Ablenkung kommt da gerade recht. Denn „Aghet“ feierte im November unbehelligt seine Premiere in Berlin. Hier weiß man, dass sich hinter dem ambitionierten Projekt keine billige Stimmungsmache verbirgt. Der Komponist und Gitarrist Marc Sinan, Wahlberliner und einer der Initiatoren, hat deutsch-türkischarmenische Wurzeln. Seit vielen Jahren bereist er die Orte seiner Herkunft auf der Suche nach Musik und Geschichten, die in Vergessenheit zu geraten drohen. Unweigerlich stieß der Musiker dabei auf das Drama der Armenier: Seiner Großmutter, die den Völkermord überlebte, widmete Sinan „Aghet“.

Das Projekt hat viele Förderer, auch die EU-Kommission. Nur bekennen will sie sich nicht mehr dazu. Klickt man auf die Website von deren Exekutivagentur Bildung, Audiovisuelles und Kultur (EACEA) und schaut nach den Projekten zur „Stärkung des gemeinsamen Europäischen Kulturraums“ , findet man nur den Eintrag: „Page not found“. Ein ehrlicher Dialog mit der Türkei sieht anders aus. „Ich bin die wunde Stelle zwischen Orient und Abendland“: Das Zitat steht über der Homepage des Dresdner Völkerverständigungsprojekts (www.aghet.eu). Um sie zu heilen, muss die Musik weiter spielen. Und Klartext gesprochen werden.

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