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Schwarzes Schaf. Der Thriller "Nur die Tiere" erzählt von einem einsamen französischen Bauern, der Schafe züchtet.

© Patrick Sinkel/ddp

Halb Sozialkrimi, halb Spukgeschichte: Die Tote im Heuschober

In Frankreich ein Bestseller, im Sommer als Verfilmung im Kino: Colin Niels Thriller „Nur die Tiere“ erzählt von einem einsamen Schafzüchter.

Wo Leidenschaft endet und Krankheit beginnt, lässt sich mitunter nur schwer sagen. Joseph Bonnafille hat der Frau, die er begehrt, einen Tempel errichtet, ein Haus aus Heuballen mitten in seinem Stall, dessen Eingang nur er kennt.

Manchmal setzt sich der Schafzüchter mit seinem Mittagessen zu ihr in die enge Kammer, hingerissen von ihrer Schönheit. Einer sehr speziellen Schönheit. „Im Gesicht wurde die Haut langsam grünlich, die Haare fielen aus und mischten sich mit den Halmen am Boden.“

Die stolze Pariserin riecht streng

Évelyne, einst eine stolze Pariserin, beginnt streng zu riechen. Sie ist bereits länger tot. Trotzdem: „Was ich für diesen vertrockneten Kadaver empfand“, gesteht Joseph, „kam vielleicht Liebe am nächsten“. Ihn aber für nekrophil zu halten, wäre falsch. Er ist nicht einmal ihr Mörder. Er war bloß sehr lange sehr einsam.

Colin Niels Thriller „Nur die Tiere“ führt mitten hinein in ein Milieu, das man in Deutschland noch am ehesten aus Reality-TV-Formaten wie „Bauer sucht Frau“ kennt.

Frankreich wurde vor einiger Zeit von statistischen Zahlen der nationalen Gesundheitsbehörde erschüttert, nach denen sich alle zwei Tage ein Landwirt das Leben nimmt.

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Nicht nur, dass der Preisverfall ihrer Produkte die Bauern unter ökonomischen Druck bringt. Ihr Beruf ist inzwischen so übel beleumundet, dass es nur wenigen gelingt, eine Familie zu gründen. Joseph wirkt wie ein Prototyp dieser Modernisierungsverlierer.

Von den einst zehn, zwölf Kollegen auf der Causse, einer abgelegenen Hochebene im französischen Zentralmassiv, hat er als einziger durchgehalten. Als seine Mutter stirbt, soll die Sozialarbeiterin Alice dem vom Papierkram überforderten Joseph beistehen. Sie beginnt eine Affäre mit dem Sonderling, dessen grobe Hände schon lange keinen fremden Körper mehr berührt haben. Er trennt sich von ihr, weil er, nun ja, in ein Gespenst verliebt ist.

Cover von "Nur die Tiere".

© Lenos Verlag

[Colin Niel: Nur die Tiere. Roman. Aus dem Französischen von Anne Thomas. Lenos Verlag, Basel 2021. 286 Seiten, 22 €.]

Niels Buch, halb Sozialkrimi und halb Spukgeschichte, war in Frankreich ein Bestseller. Die Verfilmung soll im Sommer unter dem Titel „Die Verschwundene“ in die deutschen Kinos kommen. Erzählt wird die Geschichte einer Toten, deren Leiche nie entdeckt wird, aus fünf Perspektiven.

In einem klassischen Whodunit-Plot würde sich dabei wie bei einem Puzzle ein immer klareres Bild ergeben. Doch „Nur die Tiere“ schlägt kunstvoll Haken, es gibt viele Verdächtige, jede neue Erzählung wirkt wie das Dementi der vorhergehenden.

Hauptdarsteller ist aber die majestätische Natur, von der Alice einmal schwärmt: „Auf der anderen Seite lagen die sanfte Silhouette meiner Berge und ein paar ausgefranste Wölkchen, die den Gipfel zu suchen schienen wie ein Lamm das Mutterschaf.“ Der Schnee deckt das Grauen zu.

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