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"Entartete" Karikaturen im Kulturhistorischen Museum in Magdeburg

© dpa

Raubkunst: Die Spur der Bilder

Ein Fund der Berlinischen Galerie rekapituliert die Verkaufsgeschichte eines Gemäldes. Die Spurensuche zeigt: Galeristennachlässe sind wichtig für die Provenienzforschung – und für unsere Erinnerungskultur.

Im europäischen Schicksalsjahr 1914 war Jacoba van Heemskerck in Berlin eine gefeierte Malerin. Herwarth Walden zeigte die Niederländerin in seiner legendären Galerie „Der Sturm“ in der Potsdamer Straße 134 in zwei Ausstellungen und bot gleichzeitig ihr frisch entstandenes Gemälde „Landschaft. Bild 1“ an. Die Galerie Ernst Arnold in Dresden, die den Aufstieg der Moderne in Deutschland wesentlich mitgeprägt hat, entschied sich für eine Übernahme des Bildes und fand einen Käufer. Danach verschwand das Gemälde in Privatbesitz.

Als die „Landschaft“ fast siebzig Jahre später 1982 als Neuerwerbung für die Berlinische Galerie nach Berlin zurückkehrte, war über ihre Provenienz wenig mehr bekannt. Doch welchen Weg hatte dieses wichtige Gemälde bis dahin genommen? Ein verwertbarer Aufkleber auf der Rückseite besagt, dass eine Station die 1941 in Montreal gegründete Dominion Gallery war. Ab 1942 machte sie der aus Deutschland geflohene Kunsthändler Max Stern zu einer Anlaufstelle für europäische Emigranten. Im umfangreichen Nachlass der Galerie, der heute im Archiv der National Gallery of Canada in Ottawa betreut wird, ließ sich das Heemskerck-Gemälde zurückverfolgen.

Robert C. Schön, über dessen Biografie bis dahin nichts bekannt war, übergab es der Galerie mit einer Reihe hochkarätiger Werke von Lyonel Feininger, Wassily Kandinsky und Franz Marc zum Verkauf. 1948 konnte Max Stern es an einen kanadischen Sammler vermitteln. Nachdem aus einem Schreiben von Stern hervorgeht, dass Schön das Gemälde kurz nach dem Ersten Weltkrieg in der Galerie Arnold in Dresden erworben hatte, war zu vermuten, dass es sich bis in die vierziger Jahre hinein ununterbrochen in Familienbesitz befand. Doch wer war Robert Schön, der in Kanada einmal beste Werke der Moderne besaß?

Nicht-Jüdische Kunsthändler wurden Retter wie Profiteure "entarteter Kunst"

Ein Schlüssel dazu fand sich in den Künstlerarchiven der Berlinischen Galerie. Zur Unterstützung der Provenienzforschung wird hier seit 2006 der Nachlass der Galerie Ferdinand Möller untersucht. Schon 1984 wurde er dem Museum als Schenkung aus Familienbesitz übergeben und hat heute internationale Bedeutung. Möller, der 1913 Mitarbeiter der Galerie Ernst Arnold wurde und seine eigene Galerie zwischen 1917 und 1956 in Breslau, Berlin und Köln führte, setzte sich besonders für die Brücke-Künstler und die Bauhaus-Meister Lyonel Feininger, Wassily Kandinsky, Oskar Schlemmer und Paul Klee ein. Zu seinen Kunden zählten von Anfang an die wichtigsten jüdischen und nicht-jüdischen Sammler moderner Kunst in Deutschland.

Als nicht-jüdischer Händler konnte Ferdinand Möller sein Geschäft in Berlin auch nach 1933 fortführen. 1938 wurde er aufgrund seiner Kenntnis der Moderne, neben Hildebrandt Gurlitt, Bernhard Böhmer und Karl Buchholz, in die Verwertung der aus Museumsbesitz beschlagnahmten „Entarteten Kunst“ einbezogen und damit Retter und Profiteur zugleich. Da außer Frage stand, dass in den mehreren Tausend Geschäftsbriefen und anderen Geschäftsunterlagen, die der Nachlass enthält, dringend benötigte Informationen zur Umsetzung der Washingtoner Prinzipien verborgen sind, wird genauestens recherchiert: welche Kunstwerke im Bestand nachweisbar sind, wer mit ihnen befasst war, wann Besitzwechsel stattgefunden haben und welche Preise verhandelt wurden.

Fehlendes Wissen um den Kunstmarkt schadet auch der Erinnerungskultur

Inzwischen dokumentiert die Projektdatenbank gut 13000 Transaktionen, mit 8000 Kunstwerken zwischen 580 Personen. Einer der erfassten Sammler ist der ehemals in Berlin-Grunewald und später in Ascona ansässige Fritz Schön. In seinem Besitz ließen sich jene hochkarätigen Werke wiederfinden, die Richard Schön 1942 an die Dominion Gallery übergeben hat. Darunter auch eine „Landschaft“ von Jacoba van Heemskerck, die Möller ab 1936 in seiner Galerie am Schöneberger Ufer angeboten und im September 1937 an den Sammler zurückgegeben hatte. Akten des Schweizer Bundesarchivs klärten schließlich darüber auf, dass Fritz und Robert Schön Vater und Sohn waren. Fritz und nicht Robert muss deshalb als Käufer des Heemskerck-Gemäldes in der Galerie Arnold angenommen werden. Beide verließen Deutschland nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten, wurden Schweizer Staatsbürger und überführten die Sammlung der Familie später schließlich nach Kanada.

Dieses und andere Recherche-Ergebnisse hat die Berlinische Galerie zu einem Forschungsvorhaben zum Kunsthandel der Moderne in Berlin veranlasst. Obwohl die Stadt vor dem Zweiten Weltkrieg die führende europäische Kunstmetropole war, lässt sich das Profil nur noch für wenige Galerien nachvollziehen, die diesen Ruf begründet haben. Korrespondenzen und Geschäftsunterlagen existieren nicht mehr. Selbst biografische Daten ihrer Inhaber sind heute nur noch schwer recherchierbar.

Es ist deshalb höchste Zeit, an diesem Punkt anzusetzen, jetzt noch auffindbares Material zu erschließen und auszuwerten. Fehlendes Wissen um den Kunstmarkt ist auch fehlendes Wissen für die Erinnerungskultur in unserer Stadt und um die wegweisenden Sammler, die von den Nationalsozialisten vertrieben wurden. Fritz Schön ist einer von ihnen.

Der Auto ist Kunsthistoriker und Provenienzforscher an der Berlinischen Galerie. Er spricht auf dem Deutschen Kunstsachverständigentag in Köln, der am heutigen Montag zum Thema „Raubkunst/Beutekunst“ im Wallraf-Richartz-Museum stattfindet.

Wolfgang Schöddert

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