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Sechs mal acht: "Six Times Eight, Dreaming" heißt die Fotoarbeit von Peter Phillips, 1974

© Copyright Peter Phillips Courtesy: Tate/Waddington Galleries

Rückkehr des Glam: Eine Ausstellung in Frankfurt: Die Schirn feiert den Glitzerpop des Glam

Als in England und den USA die Geschlechtergrenzen fielen: „Glam – The Performance of Style“. Frankfurts Schirn feiert den Glitzerpop der sechziger und siebziger Jahre.

Von Jörg Wunder

Es gibt dieses alte Familienfoto. Mutter, Vater, Oma und ich, der Zehnjährige, sehen wie normale Landeier aus. Meine älteren Brüder hingegen tragen Schlaghosen, die im Schritt knalleng sind, schrill gemusterte Hemden, Koteletten, toupierte Haare, der Älteste hat sogar Plateauschuhe an. Mitte der Siebziger waren die modischen Attribute des Glam in der niedersächsischen Provinz angekommen, wenn auch in einer ästhetischen Schwundstufe.

Die Ausstellung „Glam – The Performance of Style“ in der Frankfurter Kunsthalle Schirn beleuchtet den Siegeszug eines kulturellen Phänomens, das mit seiner kaleidoskopischen Vielfalt den musealen Rahmen sprengt. Eine Definition von Glam gibt es nicht, die Ausstellung umkreist den Begriff assoziativ, der oft auf Musik verkürzt wird. Jeder kennt die Glam-Rockstars der frühen 70er Jahre: David Bowie mit seiner exhibitionistischen Verwandlungswut, die Band Roxy Music mit dem aristokratischen Bryan Ferry und dem androgynen Paradiesvogel Brian Eno, Alice Cooper mit Horrorfilm-Maskerade. Wie sehr sie in eine breite kulturelle Strömung eingebettet waren, das wird mit rund 200 Exponaten und in vertiefenden Essays im Katalog unter Beweis gestellt.

Wie der Titel der von der Tate Liverpool übernommenen Ausstellung suggeriert, versteht Kurator Darren Pih Glam als Performance des Lebens. Jeder ist Hauptdarsteller seines eigenen Films. Schminke und ein paar Klamotten vom Flohmarkt reichten aus, um die Begrenzungen des Alltags mit Fantasie, Ironie und Mut zu überwinden. Wie das aussehen kann, zeigen anrührende Schwarzweiß-Fotos von Nancy Hellebrand und Martin Parr. Jugendliche Fans von David Bowie, Marc Bolan und der Teenagerband The Osmonds inszenieren das richtige Leben im Falschen: Sie hocken in winzigen, mit Postern vollgehängten Kinderzimmern oder grinsen tapfer gegen eine trostlose Stadtbrache in Manchester an.

Es lebe die Dekadenz: Glam ging in Großbritannien mit einer Rezession einher

In England ging die Hochphase des Glam mit einer Rezession einher. Anfang der Siebziger stiegen Inflation und Arbeitslosenzahlen dramatisch an, das Land wurde bestreikt. Die Protagonisten des Glam zelebrierten den Tanz auf dem Vulkan, der Eindruck einer vermeintlich vor dem Kollaps stehenden Gesellschaft weckte Erinnerungen an den Untergang der Weimarer Republik, deren dekadenter Chic auf Plattencovern, in Modemagazinen und in Bob Fosses erfolgreicher „Cabaret“-Verfilmung gefeiert wurde. England ging dann doch nicht unter, aber immerhin wurde im Zuge der Ölkrise der TV-Sendebetrieb eingeschränkt. Das führte indirekt zu einem Abebben der Glam-Welle, weil die Sendung „Top of the Pops“ als Werbeformat für Teeniestars wie Slade oder The Sweet vorübergehend wegfiel.

Die Ursprünge des Glam liegen in den frühen Sechzigern. Auf beiden Seiten des Atlantiks beginnen junge Künstler, heterosexuelle Rollenmuster in Frage zu stellen. In den Experimentalfilmen von Kenneth Anger und Jack Smith tauchen schwule Lederrocker und flamboyante Drag Queens auf und konfrontieren eine erstaunte Öffentlichkeit erstmals mit einer Welt, die gut ein Jahrzehnt später mit der „Rocky Horror Picture Show“ den Mainstream erreichen wird.

Während Homosexualität junge Amerikaner vor der Einberufung zum Vietnamkrieg schützen kann und in den USA zum Politikum wird, schaffen die Briten sie 1967 als Straftatbestand ab. Die Verwischung der Geschlechtergrenzen wird ein Hauptmotiv des Glam. Prominentestes Beispiel sind die Arbeiten unter dem Titel „Transformer“ von 1972/73: die Transgender-Fotos von Jürgen Klauke, die Diaüberblendungen von Katharina Sieverding und Lou Reeds Album aus dem Jahr 1972, auf dem er seine Transvestitenhymne „Walk On The Wild Side“ singt.

Roxy Music, eine Original-LP-Hülle von 1972.
Roxy Music, eine Original-LP-Hülle von 1972.

© Original LP Hülle Courtesy Universal Music

Die Trash-Ästhetik eines bewusst gewählten Eklektizismus, der sich im Fundus der Film-, Musik- und Modegeschichte bedient, wird zum konstituierenden Element des Glam. Neues entsteht nicht durch Erfindung, sondern durch die Collage vorhandener Stile. Mit dieser Haltung stellte sich Glam in Opposition zum Fortschrittsanspruch der Moderne, weshalb gerade im Bereich der bildenden Künste Verwerfungen nicht ausblieben. Die Verteidiger der „macho-minimalistischen Welt der Spätmoderne“ (Neil Mulholland im Katalog) hatten für die verspielten, noch dazu gegenständlichen Bildwelten von David Hockney oder Richard Hamilton wenig übrig.

In Amerika blühte Glam in den Subkulturen der Metropolen

Zu den großen Pionieren des Glam zählte ab Mitte der Sechziger Andy Warhol. Im Dauerausnahmezustand seiner Factory entfaltete sich ein exzentrischer Mikrokosmos aus Musikern, Künstlern und Selbstdarstellern, dessen kommerzielles Potenzial der begnadete Vermarktungsstratege Warhol auszureizen wusste. Vom Popularitätsschub für die Kultur des Abseitigen, aber auch von den modischen Unterweisungen des Meisters profitierte nicht zuletzt der junge Bowie, der als späthippiesker Folkrocker in New York ankam und als Glam-Prinz und kommender Weltstar nach England zurückging.

New York, San Francisco, Los Angeles, Detroit: War Glam in den USA hauptsächlich eine Subkultur der Metropolen, gingen in England wichtige Impulse von den Kunsthochschulen aus. Die progressiveren, etwa das Royal College of Art in London, entwickelten sich zu Schutzräumen für interdisziplinäres Arbeiten. Der Maler Richard Hamilton oder die erste britische Modeprofessorin Janey Ironside unterrichteten junge Leute, die später Modedesigner wurden, etwa Ossie Clark und Antony Price. Diese knüpften wiederum Kontakte zu späteren Popstars wie Bowie, Eno oder Ferry. Das Ergebnis waren Glam-Gesamtkunstwerke, zum Beispiel die Cover der ersten Roxy-Music-Alben oder Bowies LP „Aladdin Sane“.

Der Ort für die Ausstellung ist gut gewählt. Die Schirn ist verspäteter, gebauter Glam: ein Mitte der Achtziger entstandener, auf das ästhetische Mittelmaß der Bundesrepublik heruntergebrochener Museumsbau der Postmoderne, in dessen erratisch um eine Rotunde angeordneten Räumlichkeiten man sich ebenso verlieren kann wie in der audiovisuellen Reizüberflutung der Ausstellung.

Es ist nicht leicht, in der Fülle aus Fotografien, Gemälden, Videoprojektionen, Installationen, Filmstills, Plakaten, Grafiken, Plattencovern, Kleidungsstücken, Plastiken, in diesem Wirbel aus Künstlernamen und Jahreszahlen den Überblick zu behalten. Weil das Multiperspektivische, das nicht Zielgerichtete aber zum Wesen der in Zitaten schwelgenden Kultur des Glam gehört, passt die Sinnesverwirrung nur zu gut zum Thema der Schau.

Bis 22. 9., Katalog 25 Euro. Info: www.schirn-kunsthalle.de

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