zum Hauptinhalt
Andrea Zietzschmann ist seit 2017 Intendantin der Stiftung Berliner Philharmoniker

© Monika Rittershaus

Die Pläne der Berliner Philharmoniker für die kommende Saison: Helden wie wir

Mutige Menschen aus der Vergangenheit, spannende Künstlerinnen und Künstler von heute und Reisen an ungewöhnliche Orte: Ein Gespräch mit Intendantin Andrea Zietzschmann über die Pläne des Orchesters für 2023/24.

Am 1. Mai 1882 wurden die Berliner Philharmoniker gegründet, auf Initiative von 54 Musikern, als basisdemokratisch organisierte Vereinigung. Diesen Geburtstag feiert das Orchester seit über drei Jahrzehnten mit einem Europakonzert, das an wechselnden Orten stattfindet.

Gerade erst haben die Philharmoniker in einem der berühmtesten Gebäude der Welt gespielt, in Barcelona, in Antoni Gaudís visionärem Kirchenbau der Sagrada Familia. Im kommenden Jahr dagegen ist eine Location für das Europakonzert vorgesehen, die fast jeder auf der Landkarte suchen muss: das Landgut Zinandali in Georgien.

Europakonzert in Georgien

Die Anregung dazu kam von Lisa Batiashvili, die in der Saison 23/24 Artist in Residence ist. „Ich glaube, dieses Konzert wird das Highlight meines Lebens!“, schwärmt die georgische Geigerin in der Programmbroschüre, die am Montag veröffentlich wurde. Und auch Philharmoniker-Intendantin Andrea Zietzschmann zeigt sich im Interview mit dem Tagesspiegel begeistert von dem Dorf in der Region Kachetien, wo seit 1896 die Weißweinsorte Zinandali gekeltert wird.

„Auf einem Landgut aus dem 19. Jahrhundert mit historischem Garten und Blick auf die Berge wird jeden Sommer unter freiem Himmel ein Musikfestival veranstaltet“, berichtet sie. „Wir werden eines der ersten ausländischen Orchester sein, die dort gastieren.“ Für die georgische Kulturszene sei das Europakonzert, das stets im Fernsehen übertragen wird, ein starkes Zeichen. Denn das Land bemüht sich schon seit Langem um eine EU-Mitgliedschaft.    

Gute alte Bekannte

Um „Heroes“, also „Helden“, soll sich die kommende Spielzeit bei den Berliner Philharmonikern drehen. Wobei die weibliche Form mitgedacht ist. Die Beschäftigung mit den tatkräftigen – oder auch scheiternden – Männern und Frauen stellt sich bei näherer Betrachtung allerdings als geschickte Umetikettierung heraus. Denn unter dem markigen Motto begegnen einem lauter gute alte Bekannte aus dem Kernrepertoire, von Beethovens „Eroica“ über Smetanas „Mein Vaterland“ und Dmitri Schostakowitschs doppelgesichtige Sowjet-Sinfonien bis hin zur französischen Nationalheiligen Jeanne d’Arc (in der Vertonung durch Arthur Honeggers) sowie den Tondichtungen von Richard Strauss – im „Heldenleben“ feierte er ganz bescheiden sich selbst – und seiner „Elektra“-Oper. Alter Wein in neuen Schläuchen also.

26 Instrumentalistinnen spielen mittlerweile in den Reihen des Orchesters, seit Februar sitzt mit Vineta Sareika-Völkers die erste philharmonische Konzertmeisterin am vordersten Pult der 1. Geigen. In den großen Sinfoniekonzerten werden 2023/24 fünf Werke von Komponistinnen zu hören sein, drei davon sind zeitgenössisch.

Viel versprechende Debüts

Den Taktstock wird eine Dirigentin ergreifen, die Südkoreanerin Eun Sun Kim. „Wir beobachten die Dirigentinnen-Szene sehr genau“, betont Andrea Zietzschmann, „und sind mit einigen Künstlerinnen auch schon im Gespräch über mögliche Gastauftritte.“ Doch nicht jede junge Maestra will das Risiko eines Debüts beim berühmtesten Orchester der Welt schon wagen.

Manche lassen sich lieber Zeit, wollen erst noch mehr Erfahrung sammeln – was beileibe kein typisch weibliches Verhalten ist: Auch Simon Rattle hat es einst so gehalten oder aktuell der Chefdirigent des Deutschen Symphonie-Orchesters, Robin Ticciati: Erst jetzt fühlt er sich reif für eine erste Begegnung mit den Philharmonikern, die für Dezember programmiert ist. Weitere Debütanten der kommenden Saison sind die Dirigenten Hannu Lintu, Riccardo Minasi, Fabio Luisi sowie – in Doppelfunktion als Composer in Residence – der vielfach begabte Jörg Widmann.

Die Preise gehen rauf

Nur ganz klein gefeiert wird das 60. Jubiläum der Philharmonie-Eröffnung: Beim Programm von Zubin Mehta erklingt jene Fanfare des Komponisten Boris Blacher, die auch im Herbst 1963 gespielt wurde. Extragroß fällt dagegen die Asien-Tournee im November aus: Erstmals reist Kirill Petrenko mit seinem Orchester nach Fernost, zwölf Konzerte in Japan und Südkorea sind geplant.

Offen spricht Andrea Zietzschmann im Interview das Thema Preissteigerungen an: Obwohl das Publikum wieder in die Konzerte ströme, sei durch Inflation und Energiekrise eine „angespannte finanzielle Situation in der Stiftung Berliner Philharmoniker“ entstanden. „Mit Tourneen lässt sich inzwischen kaum mehr Geld verdienen, bei der Vermietung von Philharmonie und Kammermusiksaal sind wird bereits am Anschlag und auch die Auslastung der eigenen Veranstaltungen ist kaum noch steigerbar“, zählt die Intendantin auf. Traditionell hat das Orchester einen außergewöhnlich hohen Eigenfinanzierungsanteil, mit 58 Prozent spielt es das Dreifache dessen ein, was Durchschnitt in der staatlich subventionierten Kulturszene ist.

„Die letzte Preisanpassung hatten wir vor sieben Jahren“, betont Zietzschmann, „und wir haben versucht, die Erhöhungen sozialverträglich zu gestalten. Die Familienkonzerte sind nicht betroffen, die Tickets für Menschen unter 30 kosten weiterhin 15 Euro. Und bei den Abonnements haben wir darauf geachtet, die günstigen Kategorien möglichst stabil zu halten.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false