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Revolutionsmerchandising. Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg als Pfeffer- und Salzstreuer.

© Stadtmuseum

Die Novemberevolution 18/19 im Stadtmuseum: Die verdrängte Zeit

Das lange Leben der Novemberrevolution 18/19 – eine Ausstellung im Berliner Stadtmuseum über ihre Folgen und Wirkungen.

Revolution? War da nicht was? Richtig, am 9. November 1918, wurde in Deutschland die Republik ausgerufen. Das Datum ist symbolschwer, trotzdem sind solche Umwälzungen natürlich nie auf einen Tag beschränkt. Es ging den ganzen Winter so weiter: Weihnachtskämpfe, Spartakusaufstand im Januar, E rmordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, Wahlen zur Nationalversammlung. Inmitten der Fülle an Veranstaltungen zum Jubiläum setzt das Berliner Stadtmuseum im Märkischen Museum einen eigenen Schwerpunkt. Die von Gernot Schaulinski und Martin Düspohl kuratierte Ausstellung „Berlin 18/19 – Das lange Leben der Novemberrevolution“ erzählt mit wenigen, prägnanten Exponaten die Umstürze nach – und beleuchtet ihre Folgen und Wirkungen bis heute. Außerdem wird die Revolution auf ihre lokalgeschichtliche Bedeutung hin untersucht: Wie prägten jene Ereignisse das Leben in Berlin?

Rasende Autos, schemenhafte Gestalten, schwarze Bäume, ein Brandenburger Tor, das sich zu ducken scheint: Die Litografien von Ernst Stern, Chefbühnenbildner unter Max Reinhardt am Deutschen Theater, fangen Dynamik, Impetus und Schrecken jener Monate zwischen November 1918 und März 1919 ein. Berlin war eine ausgehungerte Metropole, der Ufa-Film „Die Wirkung der Hungerblockade auf die Volksgesundheit“ (1921) präsentiert gesunde Menschen zu Beginn des Krieges – und dieselben Personen vier Jahre später, ausgemergelt. Es wuchs aber auch, berufstypisch, der Vergnügungscenter. Neben einem riesigen Grammofon tanzt Berlin in Gestalt einer Frauenfigur mit einem Skelett auf einem Litfasssäulen-Plakat. Dazu die Warnung: „Berlin, halt ein! Besinne dich. Dein Tänzer ist der Tod.“

Liebknechts Schädeldecke war total zerstört

Politisch konzentrierte sich das Geschehen auf zwei Berliner Gebäude: Im heute nicht mehr existenten Zirkus Busch am Spreeufer, dessen Bauform die Ausstellung durch ein Modell nachvollziehbar macht, tagten am 10. November 3000 Arbeiter- und Soldatenräte und bestätigten den Rat der Volksbeauftragten um Friedrich Ebert als provisorische Regierung. Im Preußischen Landtag kam vom 16. bis 20. Dezember der Reichsrätekongress zusammen und stimmte mit den Stimmen der gemäßigten Mehrheit gegen eine Räterepublik und für die Einberufung der Nationalversammlung in Weimar, aus der letztlich die Weimarer Republik hervorgehen sollte. Dem gingen Aufstände im Januar und März 1919 voraus, die die SPD-geführte Regierung unter Mithilfe rechtsgerichteter Freikorps brutal niederschlagen ließ. Zu den Tausenden Todesopfern gehörten auch Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, dessen friedlich dreinblickende Todesmaske nichts von der Gewalt verrät, der er ausgesetzt war. Seine Schädeldecke war so zerstört, dass der Gerichtsarzt sie vor dem Abnehmen der Maske durch eine andere ersetzte.

Die Revolutionsgeschichte von 1918/19 ist später von anderen Katastrophen überlagert und verdrängt worden. Symbolhaft für diesen Prozess des Verschwindens steht das Denkmal, das Mies van der Rohe 1926 im Auftrag der KPD für den Zentralfriedhof Friedrichsfelde schuf und das aufgrund seiner auskragenden Platten gleichermaßen von monumentaler Wuchtigkeit und Dynamik war. In der Ausstellung erinnern ein Modell und eine historische Fotografie an das Bauwerk, das die Nazis abreißen ließen. Die Zeiten waren radikal andere geworden: eine Fotografie belegt, wie im Frühjahr 1933 das Porträt von Wilhelm II. wieder im Magistratssaal des Berliner Rathauses aufgehängt wird.

Die DDR fürchtete sich vor Chaos und Anarchie

Anders als man glauben könnte, berief sich die DDR nicht auf die Novemberrevolution, sondern fürchtete eher Chaos und Anarchie, die mit der Erinnerung verbunden waren. Erst der schon darniederliegende DDR-Staat knüpfte wieder an den revolutionären Charakter von 1918/19 an, wie ein SED-Plakat zum 70. Jahrestag 1988 zeigt, das sich der Ikonografie von Lastwagen, Matrosen und roter Fahne bedient. In der frühen Bundesrepublik sah man in der Revolution zunächst den Versuch, einen deutschen Bolschewismus zu etablieren. Die Proteste von 1968 bezogen sich dann positiv auf 1918/19 – eine Sicht, die schließlich auch vom Staat übernommen wurde: Ein Plakat von 1975 lädt Schüler zum Wettbewerb um den „Gustav-Heinemann-Preis zum Verständnis deutscher Freiheitsbewegungen“ ein.

Und heute? Gibt es eine Rosa-Luxemburg-Straße und eine gleichnamige Stiftung, in Berliner Andenkenläden kann man Rosa und Karl als Salz- und Pfefferstreuer erwerben. Dezenter Hinweis darauf, dass beide bis zu ihrer Ermordung die Revolution mit ihren Theorien kräftig mitgetürmt haben? Wohl eher ein postideologisches Spielchen mit dem, was einst explosiv war und heute niemandem mehr weh tut. An die realen, handfesten Fortschritte, die die Revolution brachte, an den Freiheitsschutz erinnert in der Ausstellung ein Epilog, der gerne ausführlicher hätte geraten dürfen: allgemeines und gleiches Wahlrecht, 8-Stunden-Tag, betriebliche Mitbestimmung. Eine differenzierte Auseinandersetzung, heißt es vorsichtig, scheint erst jetzt, 30 Jahre nach dem Fall der Mauer, möglich. Klingt wie eine Einladung zum Nachdenken. Gerade weil der Revolution ihr Zünder gezogen ist, kann man sie heute umso klarer sehen.

Märkisches Museum, Am Köllnischen Park 5, bis 19. Mai, Di–So 10–18 Uhr

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