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Seit 2012 in Bagdad: die Kulturvermittlerin Hella Mewis.

© dpa

Entführung von Hella Mewis: Die Mittlerin

2012 kam sie nach Bagdad, blieb und engagierte sich für junge Künstler: Wer ist die entführte Kuratorin Hella Mewis?

Hella Mewis kam 2012 nach Bagdad, als die Stadt noch um einiges unsicherer war. Sie verliebte sich in den unwirtlichen Ort, kaum dass sie das Flugzeug verlassen hatte, und sie blieb. 2015 gründete sie das Künstlerkollektiv Tarkib, 2017 das Kulturhaus Bait Tarkib im Stadtteil Abu Nawas. Das erste, nahe dem Trigris gelegene Zentrum für zeitgenössische Kunst in Bagdad wurde zur Heimat für junge irakische Künstler, für junge Menschen überhaupt.

Tarkib heißt so viel wie „Zusammenfügung, Installation“. Das Haus sei eine „Plattform für Produktion und Präsentation der Gegenwartskunst, wo drängende Fragen unserer Zeit offen gestellt und diskutiert werden können“, lautet die Selbstbeschreibung auf der Webseite.

Am Montagabend ist Hella Mewis auf offener Straße entführt worden, auf dem Fahrrad, unweit des Bait Tarkib. War es der IS, waren es die Schiitenmilizen? Die Hintergründe sind unklar. Angeblich sahen Polizisten zu, ohne einzuschreiten. Das Auswärtige Amt hat seinen Krisenstab einberufen.

Hat die langsam aufgehende Saat der Zivilgesellschaft, die Hella Mewis ganz offenbar säte, den Fundamentalisten in der Region nicht gepasst?

Im Bait Tarkib organisierte die gebürtige Ost-Berliner Kulturvermittlerin Workshops und Diskussionen, Performances, Ballett- und Malkurse für Kinder, Stipendienprogramme für Deutschland-Aufenthalte oder Kunstspaziergänge durch Bagdad. Der letzte, mit dem Goethe-Institut veranstaltete „Baghdad Walk“ mit Open-Air-Ateliers zum Thema Erinnerungskultur fand Anfang März statt - einige Teilnehmer trugen schon Mundschutz.

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Den öffentlichen Raum zurückerobern, frei atmen, ohne Kopftuch ausgehen, Protestbewegungen unterstützen, eine Frauenfahrrad-Demo organisieren, wie Mewis es 2016 tat: So mancher junge Iraki blieb nicht zuletzt wegen ihres offenbar ansteckenden Optimismus im Land.

Hella Mewis wird als vertrauensvolle, mutige, bestens vernetzte Kuratorin geschätzt

Ihr Freiheitsgeist und ihre Erfahrung werden gleichermaßen geschätzt. Von zur Konzertreise eingeladenen, wegen Corona nun ausgebremsten jungen Musikern, die sich auf Twitter erschüttert über die Entführung zeigen. Oder vom Goethe-Institut in Erbil, dessen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jetzt vielleicht selber gefährdet sind, wenn sie ihrer Sorge und Solidarität Ausdruck verleihen. Die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Mewis sei für Goethe von unschätzbarem Wert, heißt es aus der Münchner Zentrale.

Auch der in Deutschland lebende Schriftsteller Najem Wali, der sie schon in ihrer Anfangszeit in Bagdad erlebte, berichtet von der Energie der bestens vernetzten Kulturmanagerin und NGO-Aktivistin. Dem BR sagte er, er habe sich immer gewünscht, dass mehr Frauen und Männer den Mut haben, so wie Hella Mewis kulturelle Arbeit in Bagdad zu leisten.

Welch persönliches Risiko Kulturvermittlung in nichtdemokratischen Ländern tatsächlich bedeuten kann, das wird durch ihre Entführung jetzt schmerzlich bewusst. chp

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