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Erst kamen die Piraten, nun auch noch eine Meuterei: Die Begriffe der Abenteuerliteratur feiern derzeit ein erstaunliches Comeback in der Wirklichkeit.

© dpa / alliance

Glosse: Die Lust am schönen alten Wort

Erst kamen die Piraten, jetzt gibt es auch noch eine neuzeitliche Meuterei: Die Vergangenheit kehrt zurück, zumindest in den Begriffen. Was das zu bedeuten hat? Am ehesten, dass die deutsche Sprache lebt.

Der Eindruck der Bildungsbürgerschaft trügt: Es wird überhaupt nicht alles immer schlimmer, es ist vielmehr alles schon da gewesen. Das Dschungelcamp ist in Kombination mit einer Chipstüte reinstes spätrömisches „panem et circenses“ für das Fernsehvolk, die Imperatoren sind diesem Volk angemessen und auch sonst neigen die Zeitläufe nur zu variierter Wiederholung: Krieg und Krisen kannte die Welt schon vor der FDP.

Dass jetzt aber alle erdenklichen Retro-Phänomene zurück ins Licht der Öffentlichkeit drängen, erscheint doch etwas übertrieben. Erst verließen die Piraten die Kinosäle und Abenteuerbücher, jetzt wird auf See auch noch gemeutert. Was passiert, wenn der Trend das Festland erreicht? Hexenverbrennungen in mitteldeutschen Altstädten? Indianeraufstand in den USA? Ritzt sich Kate Middleton vor ihrer Hochzeit mit Prince William beim CDs-Brennen mit einer Rohlingsspindel in den Finger und verfällt in einen hundertjährigen Schlaf?

Wohl kaum, und auch die bereits bekannten maritimen Wiederentdeckungen sind ja keine Kopien im eigentlichen Sinne: Die heutigen Piraten kommen in Schlauchbooten, und die heutigen Meuterer enden nicht am Galgen oder am Mast, sondern, aller Meuterei zum Trotz,  in der Offizierslaufbahn, zumindest ist ihnen und der Marine genau das zu wünschen.

Was aber bleibt, ist die offensichtliche Faszination der berichtenden Medien für manch schönes altes Wort, gerade aus der Seefahrt: So wurde nicht nur in den Überschriften des letzten Tages erstaunlich oft und erstaunlich lustvoll „Meuterei“ ausgeschrieben. Auch war neulich auf einem deutschen Medienjournalismusportal im Netz zu lesen, ein Chefredakteur habe sein „Flaggschiff“ „kielgeholt“.  „Hätte er es lieber ganz versenkt“, werden vielleicht einige angesichts des betroffenen Produkts gedacht haben, aber mindestens genau so viele werden gedacht haben: „Kielholen – schönes Wort, viel schöner als Relaunch oder Recrush!“

Es geht also weniger um Phänomene, sondern vielmehr um die deutsche Sprache, die sich inzwischen deutlich erholt präsentiert vom Anglizismenwahn vergangener Jahrzehnte. In den 90ern hätten ja auch die so breit verachteten Dschungelprüfungen des RTL-Lagers „Challenges“ geheißen. Dass sie es nicht tun, wenigstens das ist doch aus kulturkonservativer Sicht anerkennenswert. Oder?

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