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Die fünfte. Monika Grütters ist seit Dezember 2013 Kulturstaatsministerin.

© picture alliance / Soeren Stache

20 Jahre Bundeskulturpolitik: Die Leute vom grünen Wagen

Mit Macht für die Künste: Seit 20 Jahren leistet sich der Bund Kulturpolitik im Kanzleramt.

Am Montag hat Kanzlerin Angela Merkel einen ihrer selteneren Kulturtermine. Sie spricht beim Festakt zum 20. Geburtstag des höchsten Kulturamts der Bundesrepublik, auf der Baustelle des Humboldt Forums. 20 Jahre Bundeskulturpolitik – erinnert sich noch jemand an den ersten Kulturstaatsminister-Witz? „Was ist ein Naumann? Die kürzeste Entfernung zwischen einem Statement und seinem Dementi.“

Was wurden sie anfangs belächelt, das Amt und der Neue, als Kanzler Schröder mit seiner Regierung auch den ersten Kulturstaatsminister der Nation vorstellte, damals noch in Bonn, Ende Oktober 1998.

Es war ein Coup. Michael Naumann, der eloquente Verleger, Journalist und Kosmopolit, hatte das SPD-Wahlkampfteam mit seinem Esprit bereichert und preschte gleich vor. Mit meinungsstarken Äußerungen zu den „drei Hs“, wie Frank Schirrmacher in der „FAZ“ schimpfte, zu Holocaust, Hohenzollern und Hollywood, sprich: den Debatten über das Berliner Schloss wie über das Holocaust-Mahnmal und über den international herzlich wenig geschätzten deutschen Film. Naumann suchte die Nähe zu Künstlern und Lobbyisten, lud zu runden Tischen, beförderte die Selbstverständigung der Künste wie der Kulturnation. Allmählich verstummten die Unkenrufe.

Rückblende: Die Ära Kohl war vorbei, in Frankreich stritt ein Jacques Lang zur Rettung der Kulturfinanzierung für die exception culturelle, denn Brüssel und internationale Handelsabkommen bedrohten die Kulturförderung. Und in Deutschland schenkte der neue Kanzler dem amerikanischen Präsidenten Bill Clinton zum Staatsbesuch kein Werk von Goethe, sondern ein Computerspiel. Es herrschte Aufbruchstimmung.

Im Kanzleramt waren sie nicht glücklich über die Neuen

Alte Zeiten sind bekanntlich zäh. Der Widerstand gegen Naumann und seine Leute fiel auch intern beträchtlich aus. Knut Nevermann, erster Amtschef und Abteilungsleiter der damals noch umständlich als „Beauftragter der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien beim Bundeskanzler“ titulierten Behörde, weiß noch, wie sie im Kanzleramt nicht glücklich waren über die Neuen. Nach dem Motto: „Kultur – diese Leute vom grünen Wagen –, die können nicht mit Geld umgehen und wollen lieber auffallen, als diskret zu funktionieren“. Vor der Installierung des BKM war Kultur Sache des Innenministers gewesen, quasi der verlängerte Arm der inneren Sicherheit. Noch in den Achtzigern hatte Friedrich Zimmermann dem Anarcho-Bayern Herbert Achternbusch Filmpreisgelder verweigert, weil ihm dessen Jesus-Satire „Das Gespenst“ nicht gefiel.

Die Kulturstaatsminister mussten um Akzeptanz kämpfen

Knut Nevermanns „Rückblick auf eine Geburt“ findet sich neben 70 weiteren Beiträgen im dicken Jubiläumsband, den Kulturrats-Geschäftsführer Olaf Zimmermann herausgegeben hat. „Wachgeküsst. 20 Jahre neue Kulturpolitik des Bundes 1998 – 2018“ (492 S., 22,80 €) verzichtet leider auf Beiträge von Künstlerinnen und Kulturschaffenden, zugunsten der Stimmen von Mitarbeitern, Politikern (einschließlich sämtlicher bisheriger Amtsinhaber) und Kulturchefinnen und -chefs wie Hortensia Völckers, Klaus-Dieter Lehmann oder Hartmut Dorgerloh. Aber die Kärrnerarbeit einer nationalen Kulturpolitik in der föderalistischen Bundesrepublik, die jene „Angelegenheiten“ der schönen Künste ja eigentlich den Ländern und Kommunen vorbehält, wird eindrücklich vor Augen geführt. Auch der Kampf um ihre bloße Akzeptanz. Und dazu die Chronik eines Amts, dessen Erfindung sich übrigens auch dem Mauerfall und der wendebedingten Zusammenlegung zahlreicher Ost- und Westinstitutionen verdankt. Witze über den oder die BKM reißt schon lange keiner mehr.

Heute ist Bundeskulturpolitik eine Selbstverständlichkeit. Kein Sahnehäubchen, kein Luxus, kein Exotismus, keine Berliner Amtsanmaßung, auch keine Sonntagsredenhuberei. Sie ist nicht mehr wegzudenken aus der DNA der Nation. Eine Verfassungsklage zur Filmförderung stellte Anfang 2014 übrigens auch juristisch klar: Der Bund darf auch Kultur.

Ein Diskurswerfer und Visionär

Dass Skepsis und Spott gewichen sind, hat auch damit zu tun, dass die Arbeit der Amtsinhaber erstaunliche Kontinuitäten aufweist, allen unterschiedlichen Temperamenten zum Trotz. Michael Naumann, Julian Nida-Rümelin, Christina Weiss, Bernd Neumann und Monika Grütters – das macht fünf Kulturstaatsminister in 20 Jahren. Drei Männer, zwei Frauen, drei Quereinsteiger, zwei Politprofis, drei unter SPD-Regierung, zwei CDU-Mitglieder unter Angela Merkel. Ein Diskurswerfer und Visionär, ein Philosoph und Ordnungspolitiker, eine umsichtige „Kultur ist Investition“-Verteidigerin in der Finanzkrise, ein bestens vernetzter Pragmatiker (Spitzname „Bernd, das Brot“), eine streitlustige Wertkonservative – alle gemeinsam haben sie das Amt konsolidiert.

Und sie konnten die Haushälter zu der Einsicht bewegen, dass es selbst in mageren Zeiten keinen Sinn hat, bei der Kultur zu streichen, da sie nicht mal ein Prozent des 343-Milliarden-Bundesetats ausmacht. Der Spareffekt ist gleich null, umso größer der öffentliche Schaden.

Die Angst vor Zentralismus ist gewichen

Seit 1998 hat sich der Etat fast verdoppelt, auf knapp 1,8 Milliarden Euro. Die Zahl der Mitarbeiter stieg von rund 150 auf über 300, die Summe der Institutionen unter dem Dach des Bundes beläuft sich auf 74. Neben dem ebenfalls 1998 ins Leben gerufenen Bundeskulturausschuss wurde 2002 die Bundeskulturstiftung gegründet, die Exzellentes genauso fördert wie das Experiment. Der Hauptstadtfinanzierungsvertrag wurde verlängert und aufgestockt: Sogar bei der Musik mischt der Bund jetzt mit in Berlin und kofinanziert die Philharmoniker.

Und zwar, Überraschung, ohne Murren seitens der Länder. Sie fürchten keinen preußischen Zentralismus mehr, sondern wissen im Gegenteil um die belebende Wirkung konzertierter Aktionen. War das ein Zoff, als Naumann damals die Länderkulturhoheit als „Verfassungsfolklore“ schmähte. Neulich haben die Länderchefs sogar eine eigene Kulturministerkonferenz beschlossen, zur gemeinsamen überregionalen Willensbildung. Zweimal im Jahr wollen sie sich treffen. Wer weiß, vielleicht lockert sich das Kooperationsverbot bald auch offiziell, wie bei der Bildung. Bei der Rettung des Filmerbes ziehen sie nach zähen Verhandlungen jedenfalls endlich an einem Strang und bringen die Millionen gemeinsam auf, der Bund, die Länder, die Branche.

Alle BKM sind mit Erinnerungspolitik befasst

Bayreuth und die Berliner Festspiele, Gurlitt und das Urheberrecht, Buchpreisbindung, Kulturgutschutz, Gedenkstätten, Filmförderung, Teilhabe und Integration, das Humboldt Forum im Schloss, der Museumsneubau am Kulturforum und das ewige Gezerre um das Einheitsdenkmal – die Liste der Dauerbaustellen ist lang. Kein Kulturstaatsminister, keine Kulturstaatsministerin, die nicht mit der Wagner-Trutzburg, der auskömmlichen Finanzierung der Kreativen, der Künstlersozialkasse, den Herausforderungen der Digitalisierung oder der Raubkunstdebatte samt Provenienzforschung und Kolonialgeschichtsaufarbeitung, sprich: der Erinnerungspolitik befasst gewesen wäre.

Aber etliche Probleme sind auch gelöst, wichtige Personalentscheidungen gefällt. Hartmut Dorgerloh ist Humboldt-Intendant, Carlo Chatrian wird Berlinale-Chef. Fehlt „nur“ noch die Reform der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, dieses unbeweglichen, riesigen Tankers.

Christina Weiss und die Rettung der Berliner Opern

Anekdoten gefällig? Aber bitte. Der coolste Satz? „Michael, du bekommst die Millionen“. Den Zettel soll Kanzler Schröder Michael Naumann im Kabinett zugesteckt haben, als es darum ging, die Sammlung Berggruen nach Berlin zu holen. Der Bund war mit 200 Millionen Mark dabei. Die Nähe zur Macht hat sich seitdem bewährt. Die heikelste Nummer? Die Rettung der Berliner Opern. Christina Weiss entlastete den Hauptstadthaushalt, indem sie unter anderem die Akademie der Künste in die Obhut des Bundes nahm. Das war nicht verfassungsgemäß, von wegen Bevorzugung. Aber dank der vorgezogenen Bundestagswahlen 2005 kam es nicht zur Klage.

Der größte Streit? Galt dem Kulturgutschutzgesetz, das unter anderem den Export von national wertvollen Werken neu regelte. Der Kunsthandel wütete, schürte Panik von wegen Enteignung, Stars wie Georg Baselitz und Gerhard Richter drohten mit der Entfernung ihrer Bilder aus den Museen. Monika Grütters stellte sich ihren Widersachern, besserte nach. Seit 2016 ist das Gesetz ratifiziert.

Haltung finden und verfechten - eine der wichtigsten Aufgaben

Die Freiheit der Kunst und ihre Spielräume verteidigen, von „Charlie Hebdo“ bis Feine Sahne Fischfilet. Die Untrennbarkeit von Reichtum und Haltung verfechten, von Geld und Moral, auch das ist Bundeskulturpolitik. Die ethische Verpflichtung, die aus der NS-Barbarei erwächst, haben sich alle Amtsinhaber zur vornehmsten Aufgabe gemacht. Dazu braucht es kein Staatsziel Kultur im Grundgesetz, auch kein vom Kanzleramt getrenntes Kulturministerium – das dann bestimmt mit Bauen oder Bildung liiert und prompt zweitrangig wäre.

Die Offenheit und Vielfalt als Wesenskern der Demokratie versteht sich nicht mehr von selbst, seit Pegida demonstriert und die AfD im Bundestag sitzt. Beim Festakt zum ersten runden Geburtstag 2008 sagte die Kanzlerin: „Man muss die eigene Kultur kennen, um andere Kulturen zu verstehen.“ Vielleicht wiederholt sie die Sätze am Montag ja – im künftigen Museum für die Kulturen der Welt. Die Wahl des Orts für den Festakt ist jedenfalls Programm.

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