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Die Kunst des Fugens: Ein Besuch in der Werkstatt des Pergamonmuseums

Sensationelle Funde, in Einzelteile zerschlagen und von der Zeit gezeichnet: Vor der großen Berliner Pergamon-Schau wächst in den Museumswerkstätten zusammen, was seit Jahrtausenden zusammengehört.

Es ist eine Sensation. Der Hinterkopf einer pergamenischen Frauenstatue wurde Ende des 19. Jahrhunderts in Bergama, dem antiken Pergamon, gefunden. Flach liegt das Fragment auf einer Filzmatte in der Steinwerkstatt der Staatlichen Museen zu Berlin. Das Gesicht ist vollständig abgeschlagen, nur noch Locken, Haare, Bruchkanten. Dann zeigt Chefrestaurator Wolfgang Maßmann einen flachen Gipsabguss eines Frauengesichts – das Kinn fehlt – und legt ihn auf den Hinterkopf. Passt!

Gefunden hat das Gesicht Philipp Brize vom Deutschen Archäologischen Institut in den 80er Jahren in Bergama. Und er hatte die Idee, dass dieses Gesicht zu dem Hinterkopf in Berlin passen könnte. Archäologen haben diesen Blick, der scheinbar Zusammenhangloses verbindet. „Man nennt ihn jetzt den Brize-Kopf“, erzählt Ralf Grüßinger, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Antikensammlung. Es sei, sagt er, großes Glück, „dass wir von der Türkei überhaupt die Erlaubnis bekommen haben, einen Abguss von dem Gesicht zu nehmen, das ist nicht selbstverständlich.“ Nun entwickelt Maßmann ein Verfahren, den Brize-Kopf wieder zusammenzufügen. Original und Abguss werden eine Einheit bilden, der klaffende Spalt wird zurückhaltend geschlossen, so dass man am Ende sieht, was Original, Abguss und heutige Ergänzung ist.

Die Besucher der großen Sonderausstellung „Pergamon – Panorama der antiken Metropole“, die vom 30. September an ein Jahr lang im Pergamon-Museum zu sehen sein wird, bekommen größtenteils Skulpturen und Objekte zu sehen, die mehr als 100 Jahre im Depot geschlummert haben. Ein Schatz wird gehoben, denn kein Museum besitzt so viele Objekte des pergamenischen Reiches wie die Berliner Antikensammlung. Zwar wurden in dem ersten Pergamonmuseum ab 1901 schon Funde der Grabung aus dem damaligen Osmanischen Reich gezeigt, doch 1908 wurde das zu kleine Museum abgerissen und dann das heute bekannte Pergamonmuseum errichtet. Erster Weltkrieg, Revolution und Inflation hatten die Fertigstellung verzögert. Im Zweiten Weltkrieg hat die Sammlung schwer gelitten, und nachher wurden bedeutende Kunstschätze nach Moskau abtransportiert.

So werden jetzt die hundert Skulpturen für die Sonderschau gereinigt, restauriert und dann erstmals geschlossen der Öffentlichkeit gezeigt. Nach den wiedergekehrten Göttern von Tell Halaf ein weiterer Coup der Staatlichen Museen zu Berlin, der für Aufmerksamkeit und Aufregung sorgen wird. Die Tell-Halaf-Ausstellung, die noch bis August läuft, zählte bis jetzt eine halbe Million Besucher.

Es herrscht Hochbetrieb in der Steinwerkstatt von Chefrestaurator Wolfgang Maßmann, der mit zwei Festangestellten und zwei Praktikanten den Depotschätzen im Erdgeschoss des noch immer vom Krieg gezeichneten Museums zu neuer Schönheit verhilft, während neun freie Restauratoren an weiteren Großobjekten arbeiten, um pünktlich zur Eröffnung die Stücke präsentieren zu können.

In der Mitte des Raumes steht ein kopfloser Triton, ein Meeresgott, dessen Körper in Fischschuppen übergeht. In einem anderen Raum stehen ein weiterer Triton und Poseidon. Alle drei Figuren befanden sich einst mit weiteren Figuren und Pferden auf dem Dach des Pergamonaltars. „Sie sind so, wie sie gefunden wurden, ins Depot gewandert“, erzählt Maßmann, „und werden nun behutsam zusammengesetzt.“ Dem zweiten Triton fehlt vollständig der Kopf, dafür hält er aber eine wunderbar erhaltene Muschel in der Hand. Die Poseidon-Figur ist etwas dunkler als die recht weißen Tritonen. Das hängt davon ab, wo die Figuren im Erdreich gelagert oder wo sie aufgestellt waren. Das bestimmt die heutige Farbigkeit.

Zum Vergleich zeigt Maßmann ein Schulterstück einer anderen Figur, das recht graugrün und düster wirkt, ein eindrucksvoller Vorher-Nachher-Effekt. Nach der Reinigung wird die Fuge zwischen den beiden Teilen behutsam aufgefüllt, es geht darum, der Körperform zu folgen und den Schwung der Hüfte mitzunehmen. „Früher hätte man noch die einzelnen Gliedmaßen ergänzt, aber das macht man heute nicht mehr“, erklärt der Chefrestaurator die Philosophie der Werkstatt. „Wir verwenden heute auch sanftere Mörtel, jede Klebeverbindung könnte im Notfall wieder gelöst werden.“ Die Archäologen haben dazugelernt: „Im 19. Jahrhundert hat man auch schon geklebt und ergänzt und den Skulpturen zum Teil hässliche Betonsockel verpasst, wenn die Beine oder Füße fehlten", ergänzt Grüßinger. Diese Verschlimmbesserungen werden jetzt zurückgenommen.

Ein weiteres Prunkstück ist ein überlebensgroßer Kopf mit ausdrucksstarkem Gesicht. Die Haare an der Stirn wirken in einem breiten Streifen wie abgeschmirgelt, einige große Löcher sind in regelmäßigen Abständen zu erkennen. „Man sieht Spuren einer Abarbeitung“, erklärt Maßmann, „hier war früher mit Dübeln ein Lockenkranz angesetzt. Dann hatte man ihn verklebt, wir geben ihm jetzt die Dübel zurück.“ Ein bedeutendes Objekt, denn „es handelt sich um eines der wenigen Porträts des Attalos, des ersten pergamenischen Königs, das sicher zu datieren ist“, erklärt Grüßinger den beeindruckenden Kopf aus der Zeit um 200 vor Christus.

In der Ausstellung wird auch zu sehen sein, wie unterschiedlich Restauratoren zu den verschiedenen Zeiten gearbeitet haben. Die beiden Spezialisten zeigen einen etwa 1,50 Meter langen Fries, den praktisch in einer Sinuskurve ein üppig aus dem Stein geschnittenes Rankenmotiv ziert. Der Hintergrund des Frieses ist aus Gips wiederhergestellt. Damals hat man versucht, den Fries zu rekonstruieren und die fehlenden Ranken in den Gips eingeritzt, um so ein Gesamtbild des Dekors zu erhalten. Das Foto aus dem Depot zeigt ein stark verschmutztes Objekt, bei dem man versucht hat, den Untergrund farbig zu gestalten. Zwei Praktikantinnen waren ein halbes Jahr damit beschäftigt, eine geeignete zarte Farbgebung für den Hintergrund zu finden. Dabei half ihnen der Zufall. Aus den Resten einer Latexform des Hintergrunds gossen sie neue flache Dekordetails aus Gips, um die geeignete Farbe zu finden, die einerseits das Ergänzte betont, andererseits das Original auch zur Wirkung kommen lässt.

Allein die Reinigung eines solch fragilen Stückes ist ein Abenteuer. Japanpapier wird aufgelegt und befeuchtet, wie eine Kompresse. Nach dem Einwirken wird es abgenommen und nimmt den Schmutz der Jahrhunderte auf. Oder man rollt den Schmutz vorsichtig mit Wattebällen ab. Es ist ein Abenteuer, das auch nach mehr als hundert Jahren noch nicht beendet ist.

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