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Kein Licht am Ende der Stadt. Neapel unter dem schneebedeckten Vesuv.

© Ciro Fusco/dpa

„Die Geschichte der getrennten Wege“ von Elena Ferrante: Aufbruch der Frauen

Mit „Die Geschichte der getrennten Wege“ schreitet Elena Ferrantes Neapel-Saga in die wilden Sechziger. Brutal und virtuos erzählt sie von den Grenzen der Herkunft und der Unmöglichkeit der Liebe.

Sie kommt ein paar Monate später als vom Verlag angekündigt. Aber womöglich erreicht die deutsche Übersetzung des dritten Bandes von Elena Ferrantes Neapel-Tetralogie Deutschland gerade zur rechten Zeit, im Wahlkampf, da es von Plakatwänden und Straßenmasten herunter auf uns einhämmert, dass „Schulranzen die Welt verändern“.

Ferrantes „Geschichte der getrennten Wege“ spielt in Italien, wo die Behauptung des Aufstiegs durch Bildung von der Wirklichkeit schon allzu offen blamiert ist. Die Jungen, die womöglich bestausgebildete Generation der italienischen Geschichte, sind noch häufiger arm als die Alten, und die nationale Statistikbehörde machte in diesem Sommer kurz Schlagzeilen mit Zahlen zum Prekariat. Ein gutes Fünftel derer, die nur die Schulpflichtjahre absolviert haben, rutscht danach in einen ungesicherten Job. Von den Universitätsabsolventen trifft das allerdings auch mehr als ein Drittel.

Protagonistin Elena schafft es raus aus Neapel

Ferrante erzählt von einer anderen Zeit, den späten sechziger und frühen siebziger Jahren, der Zeit unmittelbar vor dem Ölschock und weit vor dem Mauerfall, als es Nachkriegswohlstand noch für alle zu geben schien. Doch Ferrantes opulenter Bildungsroman gibt seine Bildungsskepsis im dritten Band nicht auf – er dekliniert sie neu. Elena und Lila, die begabten Proletariertöchter aus Neapels Suburbia, sind inzwischen Mitte zwanzig. Während Lila, die „geniale Freundin“, ihren Bildungsaufstieg längst abgebrochen hat und nach einer kurzen, brutalen Ehe sich und ihren Sohn mit einem Elendsjob in der Wurstfabrik durchbringt, scheint Elena (Lenù) es geschafft zu haben: Sie ist raus aus Neapel, hat ein Diplom von Italiens Eliteschmiede, der „Normale“ in Pisa, und ist im Begriff, sich auch jenen Habitus zu holen, als Leihgabe wenigstens, von dem sie schon als Klassenbeste wusste, dass er mehr bewirkt als alles Büffeln. Sie wird einheiraten in „die kulturvollste aller Familien, die in Italien etwas zählen“, wie ihr Jugendfreund Nino sagt. Pietro Airota, ihr künftiger Mann, ist Professor wie sein Vater, die Schwiegermutter in spe eine Instanz in ihrem Mailänder Verlag. Sie veröffentlicht Lenùs ersten Roman und vermag es, mit ein paar Anrufen im fernen Neapel Scharen von Kontakten für ihre Schwiegertochter zu mobilisieren. Doch Sicherheit gibt Elena das alles nicht. Immer wieder stößt sie an Grenzen, selbst bei den Airotas, die sich, vermutet sie, etwas Besseres als ein strebsames Mädchen für den Sohn gewünscht hätten: „Ebenso wahrscheinlich war es, dass meine Herkunft, mein Dialekt, mein gesamter Mangel an Eleganz ihre Toleranz auf eine harte Probe stellten. Mit einiger Übertreibung hätte ich mir sogar vorstellen können, dass die Veröffentlichung meines Buches zu einem Notprogramm gehörte, das mich in ihrer Welt vorzeigbar machen sollte.“

Es ist aber gerade diese Ehe, die sie aus der Welt nimmt und Lenù wieder zurückwirft in eine luxuriösere Variante des Lebens, dem sie immer entkommen wollte: die Geburt eines schon in der Hochzeitsnacht gezeugten schwierigen Babys, eine zweite Tochter, ein Ehemann, der selbst nach dem – quälenden – Sex wieder an den Schreibtisch verschwindet und, am schlimmsten, die Leere im Kopf, die die Hausarbeit erzeugt und die alle beruflichen Möglichkeiten erstickt.

Das Politische der Zeit wird klug aus dem Privaten erzählt

Ferrante erzählt die Zwangsläufigkeit dieser Bergab-Karriere so überzeugend wie in den Bänden zuvor den Aufstiegsverzicht Lilas, die im Viertel bleibt, weil sie den Wegen nach draußen und oben misstraut. Es ist die Zeit der neuen Frauenbewegung, und es spricht für Ferrantes guten Geschmack, dass sie weder Lenù noch Lila mit Aktivistinnenrollen befrachtet. Aber sie erzählt mit dem Leben beider, was in den Frauengruppen verhandelt wird. Lila verließ einen prügelnden, vergewaltigenden Ehemann, Lenù verzweifelt nun im goldenen Käfig der Professorengattin. Außer Haus folgen Demütigungen, im Falle Lenùs die Arroganz, die die Kritiker für eine Frau reservieren, und im Fahrstuhl die Übergriffe des Manns vom Verlag. Für Lila kommt zur Ausbeutung der alltägliche Missbrauch in der Fabrik. Sexismus ist klassenlos.

Die Studentenbewegung, der Linksterrorismus – auch hier zieht Ferrante das Politische der erzählten Zeit klug aus dem Privaten. Oder aus Miniaturen, wie in der Schilderung einer Vollversammlung an der Uni, die Optimismus und Solidarität der aufbegehrenden Jungen fast körperlich spürbar macht. Der Weg des Jugendfreunds vom PCI-Funktionär in die Illegalität wird nicht an seinem Tun entlangerzählt – das Ferrante im Ungefähren lässt –, sondern an seinen Worten und Gesten und deren zunehmender, verzweifelter Rohheit. Besonders virtuos spiegelt die Autorin – in der fließenden, eleganten Übersetzung von Karin Krieger – die Zeit in einer Person, die aus ihr gefallen zu sein scheint: Elenas Mann Pietro, linksliberal, also nicht links genug für seine Studierenden, ein besessener Gelehrter ohne Begabung zum Salonlöwen, wird an der Universität bedroht und immer einsamer. Zu Hause zerbricht die Ehe des farblosen, rechtschaffenen Pietro an der elementaren Wut und den Angriffen der gar nicht mehr braven Lenù, gegen die seine bildungsbürgerliche Herkunft ihm keine Waffen gegeben hat.

Ferrantes Erzählung macht die Rechnung auf, die der Aufbruch der Frauen hinterließ

Die Szenen einer Ehe, die Ferrante ausmalt, sind von einer Brutalität, auch gegen die Töchter des Paars, die selbst bei wiederholtem Lesen noch den Herzrhythmus verschiebt, am stärksten die, in denen Lenùs unerfüllte Jugendliebe Nino ihren Ehemann mit Worten geradezu exekutiert. Ferrantes Erzählung nimmt nicht Stellung, aber diese Szenen machen auch die Rechnung auf, die der Aufbruch der Frauen mancherorts hinterließ.

Aber weil Ferrantes Opus magnum nicht nur ein Bildungs-, sondern ein Liebes(unmöglichkeits)roman ist, führt über die Amour fou zwischen Nino und Lenù, die hier beginnt, natürlich auch kein Weg ins Licht. Mitten in Liebesbesessenheit, zwischen endlosen Telefonaten und Sex im ehelichen Badezimmer beginnt Elena zu zweifeln: „Konnte er nur auf diese übertriebene Art lieben und verführen, … war unsere Amour fou die Reproduktion anderer Amours fous?“ Ein perfekter Cliffhanger für den vierten und letzten Band

Elena Ferrante: Die Geschichte der getrennten Wege. Aus dem Italienischen von Karin Krieger. Suhrkamp Verlag, Berlin 2017. 540 Seiten, 24 €.

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