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Friedrich Christian Delius, 1943-2022.

© pa/dpa/dpa-ZentralbildJens Kalaene

Die Erinnerungen von F.C. Delius: Eine schöne Anleitung zum A-Sagen

Kurz vor seinem Tod im Mai 2022 konnte der Berliner Schriftsteller noch sein autobiografisches Buch „Darling, it´s Dilius“ beenden. Es erscheint nun pünktlich zu seinem 80. Geburtstag.

Mit Romanen und Erzählungen wie „Mogadischu Fensterplatz“, „Die Birnen von Ribbeck“ und „Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde“ ist Friedrich Christian Delius zum literarischen Chronisten der Bundesrepublik geworden. Kurz vor seinem Tod im vergangenen Mai konnte der Berliner Schriftsteller noch einen Band mit Erinnerungen beenden, der nun pünktlich zu seinem achtzigsten Geburtstag erscheint.

Im Vorwort von „Darling, it’s Dilius“ spricht er sich gegen das Abrundende, Sinnstiftende, Lineare von Autobiographien aus. So zielführend sei das Leben doch nicht! Stattdessen bevorzugt er ein Selbstporträt als Collage. Dafür hat eine aparte Form gefunden: ein Wörterbuch. Allerdings findet man darin nur Einträge mit „A“, was den Anschein des Fragmentarischen noch verstärkt.

Aber natürlich fehlen nicht die Bände „Delius von B bis Z“. Vielmehr hat der Autor immer einen Dreh gefunden, um das, was er zu sagen hat, mit einem A-Stichwort zu überschreiben.

 Auch ein großer Verleger und Narziss kann, wenn ein anderer seine Schwächen kennt, zum Giftzwerg werden.

F.C. Delius

Etwa unter „Aussprache“ die Verfeindung mit Klaus Wagenbach, der ihn anfangs gefördert und als Lektor in seinen Verlag geholt hatte, bis Delius sich 1973 mit dem Wagenbach-Kollektiv von dem in RAF-Sympathisanten-Nähe abdriftenden Verlagspatriarchen trennte, um Rotbuch zu gründen. Was ihm Klaus Wagenbach nicht verzieh. Ein Versöhnungsversuch scheiterte, und Delius tritt nun seinerseits noch einmal nach: „Auch ein großer Verleger und Narziss kann, wenn ein anderer seine Schwächen kennt, zum Giftzwerg werden.“

Natürlich geht es um Selbstdarstellung und protestantische Selbstrechtfertigung. Delius, wie Delius ihn sieht: als in Rom geborener, immer wieder nach Rom zurückgekehrter Kosmopolit, als jugendlicher Stotterer und schüchterner Schweiger, von daher prädestiniert zum Beobachter, als bildungsbürgerlicher Linker und moderater Achtundsechziger, der mit der Historisierung von 1968 hadert.

Die ikonischen Bilder seien ja halbe Lügen: „Sie zeigen die wildesten Gesichter, die nacktesten Kommunarden, die rotesten Fahnen… Zitiert wird das auffälligste Polit-Kauderwelsch, nicht die skeptischen Stimmen.“ So ist das. Nur die Lauten, Entschiedenen machen Geschichte.

„Adam und Eva“ und „Abraham-Isaak“ sind Stichworte, unter denen Delius seinen religiösen Herkunftskomplex als Sohn aus dem evangelischen Pfarrhaus noch einmal rekapituliert. Er beschwört das bedrückte Lebensgefühl seiner Pubertät, die Sorge, ein kompletter Nichtskönner zu sein.

Bis sich ihm dann die Freuden der Lektüre und des sprachlichen Ausdrucks eröffneten. Aber bis zuletzt blieb offenbar einiges zu kompensieren, weshalb er nicht verschweigt, wer bei welcher Gelegenheit seine Werke gerühmt habe.

Auch mehr oder weniger augenzwinkerndes Eigenlob ist Delius nicht fremd, wenn er etwa mitteilt, dass er mit dem Bielefeld-Roman „Adenauerplatz“ – Hauptfigur ist ein Flüchtling aus der chilenischen Diktatur – 1984 einen der ersten deutschen Romane zum Thema „Asyl“ geschrieben habe, mit den „ersten Visionen von Einwandererströmen aus den armen Ländern nach Europa“. Wiederholt kritisiert er in den Erinnerungen die verkorkste Migrationspolitik Deutschlands, das kein Einwanderungsland sein wollte und deshalb keine funktionierenden Regeln für Migranten schuf, weshalb es zur massenhaften Einwanderung im Zeichen des ausgeleierten Asylbegriffs kam.

Am besten kommt Delius‘ nuancierte, in langen, wohlrhythmisierten Sätzen ausschwingende Darstellungskunst in den autobiographisch ergründenden Passagen zur Geltung. Sehr witzig, wenn er sich erinnert, wie er 1967 in London ein Konzert der frühen Pink Floyd besuchte und ihn mittendrin eine Japanerin aufforderte, mit in den Keller zu kommen, damit sie seinen nackten Po fotografieren könne.

Treffen mit Yoko Ono

Verdattert sagte der schüchterne Delius „Sorry, no“ – und erfuhr Wochen später, dass es Yoko Ono war, die da an ihrem ikonischen Kurzfilm „Bottoms“ werkelte. Sehr beklemmend, wenn er schildert, wie er nach einem Zusammenbruch in Rom eine „Horrornacht“ auf einer chaotischen Notaufnahme verbringen musste, umgeben von Schreienden, Stöhnenden und Sterbenden. Sehr berührend, wenn er den allerersten Blickwechsel mit seiner Tochter in den Minuten nach der Geburt beschreibt: „Schauen und Staunen sind eins... Sobald die sich öffnenden Blicke auf dich gerichtet sind, wollen sie wissen: Wer bist denn du?“

Ja, wer bist du? In diesen Erinnerungen lernt man F.C. Delius persönlich kennen wie in keinem anderen seiner Bücher. Vor allem aber geht es ihm hier darum, sein Lebenswerk zusammenhalten. Also bei allem Lob des Fragmentarischen doch etwas Abgerundetes. Ein solcher, mehr als ein halbes Jahrhundert umspannender Werkbegriff hat heute etwas Trotziges.

Was nicht aktuell ist, ist ja meist schon fast vergessen. So gibt es kaum einen Eintrag in diesem Wörterbuch, in dem der Schriftsteller nicht auf eigene Werke verweist und Ausrufezeichen der Bedeutsamkeit setzt. Er will noch einmal den großen, bewahrenden Delius-Zusammenhang stiften. Und gibt hier gewissermaßen eine Anleitung, wie er zu lesen sei: möglichst vollständig.

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