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Kultur: Die Einzelmännchen

„One on One“ in den Berliner Kunst-Werken lädt jeden Ausstellungsbesucher solo zum Rundgang.

Es ist noch nicht lange her, da hatte der französische Künstler Cyprien Gaillard in den Berliner Kunst-Werken eine Bierpyramide aufgebaut und die Besucher aufgefordert, sie gemeinschaftlich wegzutrinken. Ausgerechnet an diesem Ort, der gern das kollektive Erlebnis zeitgenössischer Kunst zelebriert, ist nun alles anders, zumindest für die Dauer einer Ausstellung. Schluss mit dem gemeinsamen Herumstehen vor der Kunst, mit Zerstreuung in Räumen voller Besucher: In der Schau „One on One“ wird jeder einzeln losgeschickt.

Es gilt: nur der Besucher und jeweils ein Werk. An der Kasse bekommt man ein Schild à la „Bitte nicht stören“, wie es sie in Hotels gibt. Sobald man einen Raum betritt, hängt man es an die Tür. Das verspricht maximale Aufmerksamkeit und Intimität. Was einige der 17 teilnehmenden Künstler auch zu nutzen wissen: Der in Berlin lebende Kanadier Jeremy Shaw versucht, sich mit einem einlullenden Video und einer hypnotischen Stimme dem Unterbewusstsein des Besuchers zu nähern, er verwendet unter anderem Methoden von Scientology. Hans-Peter Feldmann lockt mit Schokoriegeln auf einem Sockel, auf dem Messingschild darunter ist ein unmissverständliches „Nein“ eingraviert. Eine simple Idee. Wie sehr sehnt man sich nicht nur nach Süßem, sondern nach lockender, verführerischer Kunst.

Im weißen Raum des albanischen Künstlers Anri Sala wiederum befindet sich ein kleines Guckloch. Durchschauen oder nicht? Durch den Spion blickt man geradewegs in eine weitere Ausstellungskoje und beobachtet einen anderen Museumsgast, der sich alleine und unbeobachtet wähnt. Der Kunstfreund als Voyeur: Das Prinzip von „One on One“ wird ad absurdum geführt.

Auf dem Plakat zur Ausstellung sind zwei Boxer zu sehen, der eine bekommt etwas auf die Nase. Zu Schaden kommt man zwar nicht in den Kunst-Werken, aber provoziert wird man schon: Manche Koje sorgt für Überraschungsmomente.

Elf Sekunden. So lange verweilt der Besucher in einer normalen Ausstellung durchschnittlich vor einem Kunstwerk. Das ergab im Frühjahr eine Studie des Kulturwissenschaftlers Martin Tröndle von der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen. Die Kunst-Werke-Schau hält dagegen. Alicja Kwades Beitrag etwa liest sich wie ein Kommentar zu Tröndles Studie. Eine Uhr tickt an der Wand eines lang gezogenen, mit kalten Leuchtstoffröhren ausgeleuchteten Raumes. Der Sekundenzeiger steht auf der Stelle – was sich dreht, ist das Zifferblatt. Tick, tack.

Eine ungewöhnlich stille Ausstellung. Es herrscht gespannte Ruhe in den vier Etagen, immer wieder gehen die weißen Türen der mal größeren, mal kleineren Kojen auf, man wartet geduldig, wenn sich eine kurze Schlange vor einem Raum gebildet hat. Das Museumspersonal ist streng, Pärchen werden getrennt. In Zeiten von Twitter und Facebook schotten die Kunst-Werke die dauerberieselten Kunst- und Medienkonsumenten konsequent ab. Kuratorin Susanne Pfeffer und ihre Künstler schaffen Exklusivität. Gerne können andere Ausstellungsmacher sich ein Beispiel daran nehmen.

Hinter einer Tür im dritten Stock erklingt Klaviermusik. Über einen Vorraum gelangt man in das Musikzimmer einer bürgerlichen Wohnung. Die beiden jungen Musiker am Flügel unterbrechen ihr Spiel und strafen den eintretenden Störenfried mit vorwurfsvollem Blick. In der konzentrierten Inszenierung von Annika Kahrs enthüllt sich der Kern alles Performativen. „Ein Mensch geht durch den Raum, während ihm ein anderer zusieht. Das ist alles, was zur Theaterhandlung notwendig ist“, sagte der englische Regisseur Peter Brook einmal. Bei Annika Kahrs ist man beides, Zuschauer und Spieler. Und der Ausstellungsort wird zur Bühne.

Den Abgang macht man durchs Treppenhaus, elektrisiert. Da fällt der Blick auf eine zusammengeknüllte bunte Verpackung auf dem Fensterbrett. Ist das nicht? Ja, doch, das war einmal ein Schokoriegel. Anna Pataczek

Kunst-Werke, Auguststr. 69, bis 20.1., Di–So 12–19 Uhr, Do 12–21 Uhr

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