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Brav, tapfer und gut. Max Pallenberg 1928 als Soldat Švejk in einer Aufführung der Berliner Piscator-Bühne

© ullstein bild

Jaroslav Hašeks "Švejk" neu übersetzt: Die Donner des Bürokratismus

Längst überfällige Rettung eines modernen Klassikers: Jaroslav Hašeks Roman "Abenteuer des guten Soldaten Švejk im Weltkrieg" ist in einer großartigen Neuübersetzung erschienen

Krieg wird es geben, das ist für Švejk nach den Schüssen von Sarajevo klar. Gegen die Türken, versteht sich, die seit je mit den Deutschen zusammenhalten. Aber „Serbien und Russland werden uns in diesem Krieg helfen“, weiß Švejk als Bürger der Donaumonarchie, und man könne sich ja auch mit Frankreich verbünden, das es seit je auf Deutschland abgesehen habe. Spricht hier nun der „größte Trottel der Weltliteratur“ – oder treibt da jemand die Weltgeschichte in die Anarchie? Jedenfalls zögert Švejk nicht, sich trotz angeschlagener Gesundheit freiwillig zu melden. Von der guten Frau Müllerova lässt er sich im Rollstuhl zur Musterung schieben: „Bis auf meine Beine bin ich absolut gesundes Kanonenfutter.“ Ganz Prag ist gerührt vom „Patriotismus eines Krüppels“.

Jaroslav Hašeks Roman „Die Abenteuer des guten Soldaten Švejk im Weltkrieg“ wie der Titel nun in der großartigen Neuübersetzung von Antonin Brousek lautet, spielt an den Rändern des Krieges. Es geht zwar auch um Schlachten und Gemetzel, vor allem aber um den langen Weg dorthin, um die Menschen im Zustand der Mobilisierung. Um die entfesselte Gemeinheit. Um Machtgier, Völlerei, Geschäftemacherei – die höheren militärischen Ränge, die Juristen und Feldgeistlichen wirken in diesem Roman wie eine Ansammlung von Sadisten, Egomanen und Hohlköpfen, die vollends mit ihren kleinen Fehden untereinander beschäftigt sind, so dass sie den großen Krieg eigentlich gar nicht mehr brauchen. Eroberungen erotischer Art sind vordringlich. Von tiefschwarzer Komik sind die Darstellungen der Schikanen in den Musterungsanstalten, Hospitälern und Irrenhäusern, wo die Kranken und Kriegsunwilligen allesamt als Simulanten abgefertigt und brutal therapiert werden. Wirklich erheiternd ist allerdings, wenn nach den Aufzählungen martialischer Selbstverstümmelungspraktiken Švejk vor den Arzt tritt: „Melde gehorsamst, dass ich Rheuma habe!“

Die vergessene Südostfront des Ersten Weltkriegs

Der Erste Weltkrieg wird heute vor allem als Westfront erinnert. Hašeks Roman aber beschäftigt sich mit den Feldzügen im Südosten, wo die Donaumonarchie blamable Niederlagen erlitt; schon im September 1914 hatte sie 400 000 Soldaten verloren. Während der Karpatenschlacht im ersten Kriegswinter erfroren hunderttausende Soldaten. Auch diese katastrophische Kriegsführung hat zur miesen Stimmung in vielen österreichisch-ungarischen Einheiten beigetragen, wie sie im Roman gespiegelt wird. Hinter der satirischen Überzeichnung steckt viel Wahrheit: Tschechen oder Kroaten spürten wenig Lust, sich für den Vielvölkerstaat aufzuopfern.

„Die Donner des Bürokratismus dröhnten“, heißt es an einer Stelle – ein entscheidendes Stichwort für Hašeks Kriegsdarstellung. Der Sinn des Ganzen verendet im Drahtverhau des Kompetenzwirrwarrs, der sich widersprechenden Anordnungen und sinnfrei kreisenden Zirkuläre. Krieg ist Chaos. Und wenn der Gendarmeriewachtmeister Flanderka Švejk als russischen Spion zu entlarven sucht, sind Übereifer im Leerlauf und kafkaeske Logik zu bewundern.

Die legendären Verfilmungen mit Heinz Rühmann und Fritz Muliar haben das Groteske und den absurden Aberwitz vieler Szenen entschärft. Manches ist auch schlicht unverfilmbar, wie die furiosen Passagen über den Kadetten Biegler, einen von Größenfantasien geplagten Mann. Im „Traum des Kadetten Biegler vor Budapest“ fantasiert er sich als hochdekorierten General; nach schwerem Beschuss manövriert sein halbiertes Automobil durch die Milchstraße, weicht Kometen aus und erreicht schließlich die von Engeln bewachte Himmelspforte, wo sich bereits das Militär staut, lauter Gefallene, die ihre abgeschossenen Körperteile mit sich im Rucksack tragen.

Von den Kollateralschäden des Pflichteifers

Während die titelgebenden „Abenteuer“ Švejks im Ersten Weltkrieg in Brouseks Neuübersetzung geblieben sind (obwohl es sich wörtlich eher um „Schicksale“ handelt), hat sich das Adjektiv vom „braven“ zum „guten“ Soldaten gewandelt. Das entspricht dem Originaltitel besser und trägt dem Umstand Rechnung, dass beim Wort „brav“ kaum jemand die Bedeutung des „Tapferen“ (wie im Englischen „brave“) mithört. Zwar ist der „gute“ Švejk im Zivilleben ein Schlitzohr, das als Hundehändler ergraute Köter jugendfrisch lackiert und ihre Gebisse strahlend schmirgelt. In der Regel aber kann er kein Wässerchen trüben. Die Kollateralschäden seines Pflichteifers und seines allzu wortwörtlichen Gehorsams können allerdings beträchtlich sein. „Immer möchte ich irgendwas in Ordnung bringen, und es kommt nie etwas dabei heraus als irgendeine Unannehmlichkeit für mich und für meine Umgebung“, entschuldigt sich Švejk nach einem weiteren Malheur bei seinem Leutnant Lukáš, der ihn als „göttlichen Idioten“ schätzt. Womit von fern schon Dostojewski anklingt.

Hašek selbst las bevorzugt Fachzeitschriften für Imker, Geflügelzüchter oder Bierbrauer; auch Anzeigen, Fahrpläne, Amtliches, Militärkalender, Enzyklopädien konsultierte er gern und ließ Details daraus in den „Švejk“ einfließen. Eine Zeitlang war er Chefredakteur der Zeitschrift „Die Welt der Tiere“, verfasste mithilfe von „Brehms Tierleben“ Reportagen, die sich ins Surreale auswuchsen, Berichte über die Entdeckung eines prähistorischen Flohs oder eines Riesenkaninchens am Südpol. Bis seriöse Naturforscher Protestbriefe schrieben und Hašek seinen Redakteursstuhl räumen musste. Immerhin haben sich seine „Forschungen“ auch im „Švejk“ niedergeschlagen. Ausgiebig berichtet der Freiwillige Marek, Hašeks anderes Alter Ego, wie er als Tierwelt-Redakteur unbekannte Arten entdeckte oder bekannte wie den Eichelhäher in „Nussling“ umtaufte.

Die überfällige Rettung eines modernen Klassikers

Švejks charakteristischste Eigenschaft ist die Schwadronierlust. Er quillt über vor Assoziationen, Anekdoten, Vergleichen und weltklugem Hörensagen. Als wandelnde Abschweifung verkörpert er die Poetik des Romans – auch er ein Mann vieler, oft abwegiger Kenntnisse; eine informierte, urbane Type, nicht der bauernschlaue Schlawiner oder Trottel, als der er lange begriffen wurde. Dazu hat auch Grete Reiners erste, bisher einzige „Švejk“-Übersetzung von 1926 beigetragen. Dort spricht Švejk sein charakteristisch fehlerhaftes, „böhmakelndes“ Deutsch. Dieses erscheint heute als befremdliches, manchmal schwer verständliches, schwer zu verortendes, nicht übermäßig lustiges Idiom. Ein größeres Problem besteht darin, dass Tschechen oder „Böhmen“ zu K.-u.-k.-Zeiten so geklungen haben mögen, wenn sie Deutsch sprachen; nicht jedoch der originale Švejk im Roman. Der plaudert ein umgangssprachliches, keineswegs fehlerhaftes, sondern pointiertes Tschechisch. Vor diesem Hintergrund erscheint Antonin Brouseks präzise „Švejk“-Neuübersetzung als überfällige Rettung eines modernen Klassikers aus dem K.-u.-k.-Komödienstadel.

Nach knapp 900 Seiten hat Švejk die Front noch immer nicht erreicht. Zu Kriegsgefangenschaft und Rückkehr nach Prag (Verabredung im „Kelch“ um sechs nach dem Krieg!) ist der gute Mann nicht mehr gekommen: Jaroslav Hašek starb nach einem überaus ungesunden Leben mitten im vierten von geplanten sechs Bänden, gerade 39 Jahre alt. Die zeitgenössische Kritik war über den „Švejk“ zunächst empört, bevor er zur tschechischen Nationaldichtung und Inspiration von passiver Widerständigkeit wurde. Zynisch, defätistisch, vulgär, lauteten die Vorwürfe. Max Brod, der Freund und Förderer Kafkas, dagegen sprach von einem Geniestreich. Wie recht er hatte, zeigt diese Neuübersetzung.

Jaroslav Hašek: Die Abenteuer des guten Soldaten Švejk im Weltkrieg. Roman. Aus dem Tschechischen von Antonín Brousek. Reclam Verlag, Stuttgart 2014. 1008 S. 29,95 €.

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