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 Nick Carter

© Christophe Gateau/dpa

Die Backstreet Boys in Berlin: Zurück ins Jugendzimmer

Die Backstreet Boys tanzen sich in der Arena am Ostbahnhof durch eine Erinnerungsrevue - und wissen dabei genau: Es sind nicht die neuen Songs, die die Fans hören wollen.

Sie hatten es angedroht. Schon 1997 in ihrem Hit „Everybody“: „As long as there be music, we’ll be coming back again.“ Nun sind sie schon wieder zurück. Ihr aktuelles Album ist ihr neuntes. Es brachte den nach einem Flohmarkt in Orlando, Florida benannten Backstreet Boys in den USA den ersten Platz in den Charts ein. Hier immerhin den zweiten. Die Arena am Ostbahnhof ist komplett ausverkauft und das Publikum so homogen, wie ein Publikum nur homogen sein kann. Geschätzt 90 Prozent der stehenden, tanzenden Menschen sind weiblich und in den 80ern geboren. Sie alle sind hier, um sich gemeinsam an eine Zeit zu erinnern, in der sie ihre Sexualität entdeckten, aber noch nicht wirklich ausleben wollten, und gleichaltrige Jungs eh noch zu nichts zu gebrauchen waren. Was lag da näher, als seine Sehnsüchte auf entfernte, ältere Jungs zu projizieren, die unablässig von Liebe sangen, während sie Hüftschwingend durch Kunstregen tanzten? Da war der wilde AJ, der junge, süße Nick, der ältere, gediegenere Kevin, die Familienvaterversprechung Brian und Howie, der Sanfte. Nun sind diese Jungs Männer, zwischen 39 und 47 Jahren alt, und tanzen noch immer zur gleichen Musik, die in Arena vom Band kommt.

Familienväter singen "Got a million options next to me"

Die Bässe allerdings sind ein vielfaches satter. Die Charakteristika der 90er- Jahre-Produktion – etwa die scheppernden Beats – wurden ausgetauscht gegen sattere, modernere Alternativen. Der Sound dröhnt wie bei einer Dolby Digital Präsentation. Schwitzend stehen die Boys unter farbwechselnden LED-Rohren. Der Backdrop stellt sie vor stimmungsvolle Naturlandschaften: Wasserfälle, Tropfen an Blättern, fantasievolle Wälder. Und dann auch mal vor ein rot illuminiertes Stundenhotel – bei „New Love“. Einem neuen Song, in dem die Familienväter singen: „My sex ain’t got no rules. Got a million options next to me, yeah.“ Die neuen Songs sind den alten nachempfunden, und mit einem Schuss „Was-würde-Justin-Bieber-jetzt-rausbringen?“ abgemischt. „Breathe“ und „No Place“ heißen die gelungensten Songs, die sie auch ausspielen, den Rest vom neuen DNA-Album spielen sie immer nur als „Samples“ an, so sagen sie das auch auf der Bühne. Denn die Band weiß sehr wohl, dass streng genommen niemand neue Songs hören will. Das hier ist kein Konzert, es ist eine Revue zurück ins Jugendzimmer. Niemand nimmt die Backstreet Boys als eine Band ernst. Sie sind Figuren, mit denen man gedanklich mal gespielt hat, und genau als diese will das Publikum sie auch zurück. Die Boys aber versuchen neben einer liebevollen, jugendfreien Daueranimation auch das neue Album zu verkaufen. Immer wieder fragen sie, wer es schon hat. Dann folgt das Servierhäppchen eines neuen Songs, es bricht ab, und ein alter Song und Jubel folgen.

Ungetragene Schlüpfer fliegen ins Publikum

In vielen kleinen Einzelansprachen erzählen sie, was bekannt ist: Ihre Karriere begann in Deutschland. Sie sagen: Wir haben euch vermisst. Auf Deutsch. Jubel. Sie sagen: Ich möchte dich küssen. Jubel. Und: Wir sind alle zusammen erwachsen geworden. Yeah. Habt ihr schon unser neues Album? Dann singen sie A-Capella zum Backingtrack und ziehen sich hinter einem Paravent um, um ungetragene Schlüpfer ins Publikum zu werfen: „Nach all den Jahren müssen wir mal was zurückgeben.“ Trotz aller künstlerischen Leere ist das alles insgesamt wirklich ganz goldig. Denn der Gesang sitzt. Und die Herren wirken so, als hätten sie wirklich Spaß bei dem was sie da machen. Die Tanzschritte wirken nur beim Ältesten – Kevin Richardson – ein bisschen knieschmerzvermeidend. Insgesamt aber hat man Lust, die großen Ausfallschritte, in den Schritt-Greifer und Armwedler nachzumachen, am besten synchron, mit all seinen Freunden. Denn besonders das letzte Segment der Show, in dem alle alten Hits – „Everybody“, „We’ve got it goin’ on“ und „I want it that way“ – hintereinander abgefeuert werden, macht all jenen, die in den Achtzigern geboren wurden, unweigerlich Spaß. Das war sie, unsere Jugend. Irgendwie erschreckend peinlich, aber eben wirklich auch ganz goldig.

Julia Friese

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