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Bridge Markland: Die Allein-Unterhalterin

Die Neuköllner Verwandlungskünstlerin Bridge Markland spielt Schillers "Die Räuber" auf eigenwillige Art – als multiple Persönlichkeit.

Es ist vorbei: Räuber Moor verlässt den Raum. Applaus setzt ein, laut und lang. Als wollten die wenigen Zuschauer im Stadtbad Steglitz die leeren Sitzplätze mit ihrem Klatschen ausfüllen. Sie sind begeistert und werden noch lauter, als die Künstlerin erneut auftaucht. Nach 100 Minuten Drama lacht sie jetzt, bedankt sich und bewirbt noch ein paar andere ihrer Shows. Eine Zuschauerin raunt ihrer Nachbarin zu: „Ick dacht’ erst, das wär’ ne Frau und dann war’s ’n Mann. Aber es is ja doch ’ne Frau!“ Die andere nickt, applaudiert noch immer und antwortet: „Ja, ihre Hände verraten sie.“

Bridge Markland gibt dem Publikum gerne Rätsel auf. Nach der Aufführung sitzt die 51-Jährige im Café Freistil des Stadtbads und löffelt in einer Paprika-Mais-Cremesuppe. Eine kleine Frau, die mit ihrer Stimme locker den ganzen Raum ausfüllt. Sehr oft enden ihre Sätze in schallendem Gelächter. Zum Beispiel, wenn sie auf die Frage antwortet, wie ihr Verhältnis zu den Puppen ist, die in ihrem Stück die Räuber spielen: „Den Abend vor der Premiere durfte Karl bei mir mit im Bett schlafen.“

Karl hießt vorher „Captain Li Shang“ und entsprang dem Disney-Film „Mulan“. Er ist eine der Barbie- und Ken-Puppen, die als Nebendarsteller in Marklands neuem Stück „Räuber in the Box“ mitspielen. Im ersten Moment wirkt es durchaus albern, wenn sie mit den Plastikfiguren herumhantiert. Doch am Ende sind alle Puppen zu echten Charakteren geworden. Denn wenn Markland als Karl spricht, setzt sie eine ernste Miene auf, die keinen Zweifel zulässt: Es geht um Leben oder Tod. Spielt sie den Franz, verzieht sich ihr Gesicht zur fiesen Grimasse. Spielt sie Amalia, verdreht sie die Augen und lässt Franz pure Abscheu spüren. Bridge Markland vollzieht, wofür sie seit Jahren bekannt ist: Geschlechtsverwandlungen im Sekundentakt. Ihre Trickkiste ist die große Pappbox mitten auf der Bühne. Seit fast 15 Jahren spielt die Berlinerin mit dieser Box. Die kleinen, mittlerweile zugeklebten Fenster erinnern noch an die Kunstpeepshow, die sie in den Neunzigern damit veranstaltete. Später packte sie die Biografien von Valeska Gert und Anita Berber in die Box und schließlich, 2005, im Schillerjahr, auch die Biografie dieses deutschen Klassikers. So begann die Reihe „Classic in the Box“, für die sie auch „Faust“ und den „Zerbrochenen Krug“ inszenierte.

Dabei spricht Markland selbst kein Wort. Der Text kommt von verschiedenen Sprechern auf CD, dazu stellt sie Musik zusammen. Für die Räuber benutzte sie 157 Lieder – von Katja Eb- bis Rammstein. „Playbacks sind ja typische Stilmittel von Drag-Shows und Travestie,“ erzählt sie, noch immer mit ihrer Suppe beschäftigt. Für Performances dieser Art ist sie bei vielen Berlinern bestens bekannt. Mit der Klassikreihe im Stadtbad Steglitz erarbeitet sich Markland gerade ein neues Publikum: „Das ist schon ziemlich schräg, was ich da mache. Aber es spricht wirklich Leute von 15 bis 95 an. In der Klassiker-Verpackung jubele ich den Zuschauern sogar Genderperformance unter, wo sie sie nicht unbedingt erwarten. So öffne ich die Leute für andere Kunstformen, die sie sonst vielleicht gar nicht so toll finden würden.“ Nach dem Applaus der letzten Vorstellung zu urteilen, geht das Konzept auf. Unter den Gästen war auch ihre Mutter: „Sie ist ein bisschen ein Fan und pilgert mir manchmal sogar nach.“ Die Mutter war es auch, die der pubertierenden Tochter das erste androgyne Outfit besorgte: „Ich hab mir in den Siebzigern einen Nadelstreifenanzug von ihr kaufen lassen, hab mich aber trotzdem geschminkt und halblange Haare getragen.“ Da tanzte Markland gerade zu Rockstars wie David Bowie, Roxy Music oder auch T-Rex.

Mittlerweile trägt die in Neukölln lebende Künstlerin seit über 20 Jahren Glatze. Der kahle Kopf hat sich als praktisch erwiesen: Je nach Perücke, Mütze oder Make-up kann Markland wie ein Mann oder eine Frau aussehen. Auch die Bewegungen passt sie dem jeweiligen Geschlecht an. Schon in der Schultheatergruppe war ihre erste Rolle mit 13 Jahren ein Mann, ein König sogar. Seitdem wollte sie zum Theater – und machte erst eine Ausbildung zur Gymnastiklehrerin, Ergebnis einer Beratung auf dem Arbeitsamt: „Das habe ich tatsächlich gemacht!“ Sie schüttelt verwundert über sich selbst den Kopf – und lacht. Ihre Gymnastiklehrerin war Gisela Colpe, eine ehemalige Schülerin Mary Wigmans. So kommt Markland zur Improvisation. Noch heute liebt sie große Gesten und „völlig intensive Gesichtsausdrücke“ und setzt diese auch im deutsch-australischen Kinder- und Jugendtheater Platypus ein. Irgendwo lauern immer neue Projekte in ihrem Leben. Sie sei arbeitssüchtig und müsse sich zwingen, mal nichts zu machen: „Letzte Woche hatte ich ein freies Wochenende. Das war anstrengend!“

Ob sie nie Lust auf ein festes Gehalt, geregelte Arbeitszeiten hatte? „Gerade heute habe ich darüber nachgedacht, ob ich jetzt mal alles hinschmeißen soll. Aber ich war noch nie fest angestellt, ich kenn’ das gar nicht!“ Seit 27 Jahren steht Bridge Markland regelmäßig auf kleinen Bühnen in Deutschland, Kanada und den USA, war schon unzählige Male Frau oder Mann oder beides gleichzeitig. So eine schmeißt nicht einfach hin und lässt sich auch nicht von anderen Großereignissen abschrecken. So eine löffelt ihre Suppe mit Genuss aus und macht weiter: „Ich spiel noch bis Ende Juni hier – trotz Fußball-EM.“

„Räuber in the Box“, wieder vom 21. bis 23. Juni, sowie am 29. und 30. Juni, jeweils 20 Uhr im Stadtbad Steglitz, Bergstraße 90. Infos: www.stadtbad-steglitz.de

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