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Die 12 Cellisten im Foyer ihrer Berliner Philharmonie.

© Peter Adamik

Die 12 Cellisten der Berliner Philharmoniker: Wie sich die Saiten ändern

Kollektive Virtuosität: Seit 50 Jahren begeistern die 12 Cellisten der Berliner Philharmoniker das Publikum weltweit.

Ein halbes Jahrhundert – dass es einmal zu diesem runden Jubiläum kommen würde, war nicht abzusehen, als der philharmonische Cellist Rudolf Weinsheimer seine elf Kollegen dazu überredete, 1972 erstmals gemeinsam aufzutreten. Denn diese Formation musste vom ersten Tag an jedes ihrer Konzerte mühevoll der Programmplanung der Berliner Philharmoniker abtrotzen. Ebenso wie jeden Tag im Aufnahmestudio.

Ohne ihre Kniegeiger können die Philharmoniker nun einmal nicht auftreten – und darum blieben dem fantastischen Dutzend für ihre kammermusikalischen Aktivitäten lediglich die freien Tage, die offiziellen Urlaubszeiten oder auch nur ein paar Stunden zwischen zwei Proben.

Wie oft sind sie losgeflitzt, kaum dass der Dirigent den Taktstock auf die Partitur niedergesenkt hatte, zum Bahnhof oder Flughafen, haben zur Begeisterung des Publikums ihren einmaligen Klangzauber entfaltet, sind erschöpft ins Hotelbett gefallen und mussten am nächsten Morgen in aller Herrgottsfrühe wieder raus, um pünktlich um 10 Uhr in Berlin einzutreffen, wo die Kolleg:innen schon auf sie warteten.

Rudolf Weinsheimer aber war erfüllt von der Idee, etwas Einmaliges auf die Beine zu stellen. Ein Ensemble aus lauter identischen Instrumenten, das es klanglich aber mit einem ganzen Orchester aufnehmen kann. Und er war geschickt genug, um von Anfang an gute Gagen für die 12 Cellisten zu verhandeln – so vermochte er selbst die Skeptiker innerhalb der Gruppe auch in monetärer Hinsicht vom Ertrag ihres aberwitzigen Unterfangens zu überzeugen.

Unermüdlich hat er damals Kontakte gesponnen, prestigeträchtige Gastspiele verabredet und dann logistische Meisterleistungen vollbracht, um sie tatsächlich stattfinden zu lassen. Wenn die 12 Cellisten am 9. Januar ihren 50. Geburtstag feiern, in der Philharmonie natürlich, wird Rudolf Weinsheimer als Ehrengast erwartet. Und wenn er kommt, dann kann der 90-Jährige zwei Stücke hören, die seit der ersten Stunde zum Repertoire seines Ensembles gehörten, Julius Klengels „Hymnus“ und Boris Blachers „Rumba philharmonica“.

Brillante Arrangements

Die übrigen Werke des Abends aber stammen aus der Zeit nach seiner Pensionierung 1996. Damals übernahm Martin Menking nicht nur Weinsheimers Position innerhalb der Sitzordnung der Cellisten – die Nummer sieben –, sondern auch die Managerfunktion und damit die Bürde der Büroarbeit. „Dafür musste ich mir schnell noch Computerkenntnisse aneignen und das Schreiben im Zehn-Finger-System lernen“, erzählt er. „Handys gab es ja damals noch nicht.“ Mittlerweile läuft die interne Kommunikation natürlich über eine Whatsapp-Gruppe.

Menking ist gerade einmal fünf Jahre älter als die Formation selbst. „Schon als Kind habe ich die Schallplatten der 12 Cellisten gehört, die bei meinen Eltern im Regal standen“, sagt er. Nach dem Studium in Basel und Lübeck und einem Engagement beim NDR-Orchester in Hamburg gewann er vor 25 Jahren das Probespiel bei den Berlinern. Und noch vor seinem offiziellen Einstand kontaktierten ihn schon die 12 Cellisten – um ihn einzuladen, auf einer Asienreise als Aushilfe mitzuspielen.

Auf die Geschäftsführung der 12 Cellisten hat sich Menking 1996 nur eingelassen, weil sein Kollege Georg Faust dringend Unterstützung brauchte. Der Solo- Cellist des Orchesters wollte die Gruppe damals künstlerisch neu aufstellen. Rudolf Weinsheimer hatte in den Anfangsjahren auf Uraufführungen gesetzt, bei Komponisten wie Iannis Xenakis oder Witold Lutoslawski neue Stücke bestellt.

Jetzt sollten sich die Cellisten auch intensiver der populären Musik zuwenden, fand Faust. Aber in maßgeschneiderten Fassungen: Aus Filmmusiken, Jazz-Standards, altvertrauten Schlagern und Chansons schufen Arrangeure ihnen raffinierte, klangfarblich schillernde Virtuosen-Schaustücke, bei denen die Profis ihre Qualitäten voll ausspielen können.

Die Aufnahme einer CD mit Tango-Arrangements im Januar 2000 – während die übrigen Philharmoniker ihre Ferien genossen – markiert den Neuanfang. „Eine komplettes Programm, das wir noch nie live gespielt hatten, binnen einer Woche im Tonstudio aufnahmereif zu bekommen, das war eine echte Feuertaufe“, sagt Martin Menking. Selbstbewusst nahmen die Cellisten ihr Tango-Album dann mit auf die Südamerikatournee des Orchesters – und bekamen doch kurzzeitig Herzklopfen, als zur CD-Präsentation in Buenos Aires gleich mehrere Granden des Genres erschienen, im Anzug, mit Gamaschen und Spazierstock. Doch die Altmeister lächelten zufrieden, empfanden es gar als Nobilitierung ihrer Tanzmusik, dass sich Spitzenkräfte aus der „ernsten Musik“ in Europa so intensiv mit dem Tango befassten.

12 Cellisten oder besser 12 Celli?

Hatten in den 1980er Jahren die Glamour-Auftritte dominiert, in der Fernsehshow von Wim Thoelke, bei der KSZE- Konferenz, auf Auslandsreisen mit dem Bundespräsidenten, fokussierten sich die 12 Cellisten der Berliner Philharmoniker nun wieder mehr auf Konzerte für ganz normale Klassikfans. Und sie rangen darum, häufiger live auftreten zu können. „Wir haben in mancher Saison bis zu 30 Konzerte absolviert, neben unserem vollen Orchesterdienst“, sagt Martin Menking nicht ohne Stolz. „Das war eine enorme logistische Herausforderung.“ Viele Benefizabende waren dabei, sie haben bei der Verleihung des alternativen Nobelpreises gespielt, aber auch schon zwei Mal zugunsten der Suppenküche in Pankow.

Außerdem brachten sie zwischen 2000 und 2010 fünf CDs heraus. „Wir haben vieles ausprobiert, manches auch wieder verworfen, weil es nicht funktionierte. Zum Beispiel mussten wir feststellen, dass kein Mensch ein 12-Cellisten-Arrangement von Bachs 6. Brandenburgischem Konzert braucht. Weil das Werk für sich spricht. Ebenso wie die Klavierstücke von Schumann.“

Martin Menking (2. von rechts) managt die 12 Cellisten.
Martin Menking (2. von rechts) managt die 12 Cellisten.

© Peter Adamik

Martin Menking selbst sieht sich als „Verwaltungsdirektor“ der Truppe. Hilfe bekommt er von seinen Kollegen Nikolaus Römisch und Ludwig Quandt. Zu dritt kümmern sie sich ums Organisatorische. „Die Ideen und der künstlerische Input aber, das muss von allen kommen“, betont er. Denn immer und überall nur dasselbe Programm zu spielen – so wie in den Anfangsjahren, als es kaum Stücke für 12 Celli gab –, das reicht nicht.

Es geht den fest angestellten Spitzenmusikern ja nicht ums Geldverdienen, sondern darum, etwas künstlerisch Inspirierendes zu machen. Etwas, das ihren Horizont noch etwas weiter macht. Und falls das irgendwann nicht mehr der Fall sein sollte, da ist Menking knallhart, dann werde es eben auch keine 12 Cellisten mehr geben.

Der Name übrigens stimmt ja schon länger nicht mehr, sogar in doppelter Hinsicht. Denn bei den Berliner Philharmonikern wurde bereits in der Ära von Claudio Abbado eine 13. Planstelle in der Cellogruppe geschaffen, später dann sogar noch eine 14. Und die Herren sind nicht mehr unter sich, 2006 kam mit Solène Kermarrec die erste Cellistin dazu, 2009 mit Rachel Helleur eine zweite.

Sollte die Formation also „Die 12 Celli“ heißen oder, politisch ganz korrekt, „Die 12 Cellist:innen der der Berliner Philharmoniker:innen“? Martin Menking muss lachen bei dem Gedanken. „Solange ich dabei bin, werde ich gegen eine Namensänderung stimmen. Wenn nach meiner Pensionierung die Jüngeren übernehmen, müssen die sich neu entscheiden.“

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