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Wer tuten kann, der kann auch dichten. Klaus Wallendorf.

© Monika Rittershaus

Dicke Lippe, heiße Wurst: Der Hofpoet der Berliner Philharmoniker legt nach

Hornist Klaus Wallendorf erzählt in seinem Buch „Zwischen Mundstück und Mikrofon“ wieder feuchtfröhliche Geschichten aus dem Orchestergraben.

Halten Sie Hirsche in der Wohnung? Nein, nur einen Hornisten. Solchen Hausflur-Dialogen sehen sich Eltern angehender Blechbläser ausgesetzt.

Wenn man Klaus Wallendorf glaubt, der mit „Zwischen Mundstück und Mikrofon. Aus den Papieren eines philharmonischen Hornisten“ (Galiani Verlag, Berlin 2020, 208 S., 20 €) erneut ein spaßiges Buch mit Notizen aus dem Orchestergraben vorlegt.

Der acht Jahre alte Vorläufer „Immer Ärger mit dem Cello“ geriet zum Verkaufsschlager. Wallendorfs bis 2016 währendes Walten als Musiker und Gebrauchslyriker der Berliner Philharmoniker hat ihm Prominenz beschert.

Bei seiner Verabschiedung durch Sir Simon Rattle verlieh ihm das versammelte Orchester den zuvor nie vergebenen Titel eines „Hofpoeten auf Lebenszeit“. Als launiger Moderator wirkt er dort immer noch. Und ist als musikalischer Unruheständler mit den Ensembles German Brass und der musikkabarettistisch angehauchten Kleinen Lachmusik unterwegs.

Wallendorf wurde 1948 in Elgersburg im Thüringer Wald geboren und lebt seit seinem ersten Preis beim Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ 1965 vom Hornspielen. Wie man im „Gehversuche“ überschriebenen, autobiografischen Buchteil erfährt, wäre er jedoch fast unter die Paukisten gegangen.

Kantinengeschichten von Düsseldorf bis Deutsche Oper Berlin

Mit einer rotweißen Kindertrommel, wie sie klein Klaus zum fünften Geburtstag bekommt, hat schon so manche Blechtrommler-Karriere begonnen. Als Schüler eines Düsseldorfer Gymnasiums versucht er sich dann erstmals am Waldhorn. Auf die beim ungelenken Hineinpusten entweichenden „Würgelaute einer verendenden Echse“ folgt ab dem Alter von zwölf Jahren eine tägliche Übungsroutine, die andauert, „bis das Instrument meinen alterswelken Händen entgleiten wird“.

[Lesung: 8.12., 20 Uhr, Bar jeder Vernunft]

Mindestens so viel Raum wie Lippentraining, Tonhalte-Übungen samt Kieksern und Gurglern, Orchester-Stationen, Hornliteratur, Instrumentenkunde und Dirigenten-Anekdoten nimmt in Wallendorfs Kompendium die Blechbläser-Geselligkeit ein. Sie gelten im Orchester als willige Zecher. Ein Klischee, das Klaus Wallendorf detailreich zu untermalen weiß.

Auch der im Heeresmusikkorps 7 abgeleistete Wehrdienst gestaltet sich feuchtfröhlich. Ebenso wie die Kantinengeschichten von Düsseldorf bis zur Deutschen Oper Berlin, wo „dynamischer musiziert und konzentrierter getrunken wurde“ als im Rheinland.

Zum sinfonischen Küchendienst herangezogen

In seiner Zeit am Aachener Stadttheater erlebt jung Wallendorf eindrücklich, dass Kunst und Gastronomie eins sind. Dort wurden die stets hinten im Orchester platzierten Hornisten zum „sinfonischen Küchendienst“ herangezogen.

In ihren Noten habe jeweils zehn Minuten vor der Pause neben den musikalischen Einzeichnungen auch die Anordnung „Würstchen heiß machen!“ gestanden, schreibt er. Woraufhin sich die Musiker brav hinter die Bühne begaben, um per Tauchsieder „neben dem Publikum nun auch die Pausenwürstel zum Sieden zu bringen“.

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Einen selbstironischen Einblick in die Niederlagen des bei Wallendorf sehr unterhaltsam ausfallenden ernsten Metiers liefert eine andere Episode. Da verschlägt es den zwischenzeitlich zum ersten Hornisten an der Münchner Oper gereiften Bläser, als Solohornisten zu den Bayreuther Festspielen. Als Einspringer für einen erkrankten Kollegen.

Um sich für diesen Ritterschlag der Klassikwelt zu rüsten, packt er mehrere Tiegel „Böthels Lippenkraft“ ein. Hilft aber nichts. Er erleidet vor Aufregung einen „Labialvorfall“, also akutes Lippenversagen, und wird von Pierre Boulez ausgetauscht.

Nur gut, dass ihn die dicke Lippe nicht auch beim Vorspielen vorm gestrengen Herbert von Karajan ereilt, als er nach 15 Lehr- und Wanderjahren bei den Philharmonikern anheuert. Sonst wäre er nie Hofpoet geworden.

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