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Werner Herzog.

© dpa

Werner Herzog im Interview-Wahn: Dichtung und Wahrheit

Bei über 800 Interviews könnte man meinen, Regisseur Werner Herzog hätte irgendwann genug davon, aus seinem Leben zu erzählen. Doch weit gefehlt. Über die Kunst des öffentlichen Gesprächs.

Von Gregor Dotzauer

Marlene Dietrich, die Göttin vor der Kamera, erklärte im Gespräch mit Maximilian Schell einmal: „I have been photographed to death.“ Werner Herzog, der Berserker hinter der Kamera, könnte von sich behaupten: „I have been interviewed to death.“ Doch der 71-Jährige, mit seiner Frau, der Fotografin Lena Herzog, seit langem in Los Angeles zu Hause, scheint mit jedem der weit über 800 Interviews, die der amerikanische Germanist Eric Ames seit Ende der 60er Jahre gezählt hat, nur noch lebendiger zu werden. Ames vermutet im Vorwort des von ihm jüngst herausgegebenen Bandes „Werner Herzog: Interviews“ (University Press of Mississippi) treffend, dass der Filmemacher die Kunst des öffentlichen Gesprächs als Form der autobiografischen Selbstvergewisserung betreibe – die klassischen Themen von Moral, Wahrheit, Authentizität und Individualität eingeschlossen.

Und Herzog denkt nicht daran, das Weiterspinnen seiner Lebenserzählung einzustellen: mit einer Schlagfertigkeit, einem Witz, einer Klugheit und Entschiedenheit, die schon deswegen so unvergleichlich sind, weil er sich zugleich hartnäckig weigert, sein Seelenleben zu zergliedern. Alles quälend Selbstreflexive ist ihm verhasst. Gerade ist mit „A Guide for the Perplexed“ (Faber & Faber) eine aktualisierte Neuausgabe seiner mitreißenden „Conversations with Paul Cronin“ erschienen, die nun von den bayerischen Anfängen bis zur „Höhle der vergessenen Träume“ und seinen amerikanischen Reisen zu den Mördern und Mörderinnen „On Death Row“ reicht.

Wo Herzog mit Cronin die Felsbrocken wälzt, da rollt er mit anderen die journalistischen Kiesel. Auch sie haben ihren Reiz, wie die Gespräche zeigen, die er aus Anlass seiner 16 Filme mit neu eingesprochenem Audiokommentar umfassenden Blu-ray-Box „Herzog: The Collection“ geführt hat. Sowohl das Interview von James Rocchi auf blogs.indiewire.com als auch das von Steve Marsh für www.vulture.com führen den unendlichen Selbstentwurf temperamentvoll fort und bescheiden sich nicht damit, das Bekannte noch einmal abzufragen.

Die Unvermeidlichkeit der Wiederholung

Bei einem Interview-Maniac wie Herzog gelangen aber auch die intelligentesten Frager an objektive Grenzen. Herzog indes kann für sich beanspruchen, aus der Unvermeidlichkeit von Wiederholungen eine Tugend gemacht zu haben. Eric Ames hat über Jahrzehnte hinweg praktisch gleichlautende Passagen ausfindig gemacht, die zum Repertoire des Regisseurs gehören, doch immer wieder von Neuem erweitert werden.

Herzog spielt mit seinen Themen und deren Variation. Ames entdeckt in diesem Prozess etwas den Filmen methodisch Verwandtes: nämlich eine Dynamik, die den Stoff von der ersten szenischen Ausarbeitung, dem Einüben, der Inszenierung, dem Zitieren, dem Hinzufantasieren, der Verwandlung bis zum improvisierenden Umgang erfasst. Autobiografisch betrachtet, findet eine fortwährende Verfestigung des noch Unbegriffenen statt, eine geradezu rituelle Bekräftigung des Geschehenen, die bis zur Legendenbildung führen kann. Es scheint dies aber auch Herzogs schlagkräftigstes Mittel gegen die Zumutung einer von Dritten geschriebenen Biografie zu sein, die ihm tatsächlich wie eine prämortale Einbalsamierung vorkommen muss.

Fliege an der Wand - oder Hornisse mit Stachel?

Die Selbststilisierung berührt auch die für Herzog zentrale Frage nach dem Verhältnis von Wirklichkeit und Erfindung. Seine sogenannten Dokumentarfilme, die er gegen die Spielfilme gar nicht prinzipiell abgegrenzt wissen will, beantworten sie seit Jahren im Namen einer „ekstatischen Wahrheit“, die sich nicht am rein Faktischen messen lassen will. Die inszenatorische Geste übertrifft das bloß registrierende Auge, wie es ein cinema verité bevorzugt, dem er seine Verachtung gerne in dem Diktum entgegenschleudert: „Ihr sollt nicht Fliegen an der Wand sein, sondern Hornissen, die stechen!“

Nun steht für ihn erst einmal die Rückkehr zu den Wahrheiten des Spielfilms bevor. Mit „Queen of the Desert“ hat er gerade das Leben der britischen Schriftstellerin, Geheimdienstlerin und Irakmitbegründerin Gertrude Bell verfilmt. Hauptdarstellerin Nicole Kidman, sagt er inzwischen landauf, landab in Interviews, habe noch nie so gut gespielt wie hier.

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