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Hélène Grimaud

© Imago

Dialog und Distanz : Hélène Grimaud spielt Beethoven, Brahms und Bach

Die französische Pianisten kommt mit Werken dreier deutscher Komponisten in die Philharmonie – aber findet erst spät den Zugang zu ihnen.

Spätwerke sind am Dienstag in der Philharmonie erklungen, doch enthalten sie nichts von dem, was der Begriff vielleicht an Negativem implizieren mag. Vielmehr sind sie radikale Selbstzeugnisse, Kunst, auf die Spitze getrieben, Ausdruck eines Komponisten-Ichs, das sich seiner Meisterschaft bewusst ist und im Grunde nicht mehr für die Öffentlichkeit schreibt, sondern in der Musik die Auseinandersetzung, das Resümee mit sich selbst und dem eigenen Denken sucht.  

Das gilt für die letzten Klaviersonaten Beethovens, auch für op. 109 von 1921, das alle Schattierungen von E-Dur durchspielt und schon gleich in den ersten Takten eine ganze Welt eröffnet, indem sich linke und rechte Hand beim jovial-ätherischen Sechzehntel-Hauptthema gegenseitig antworten und sogleich das kunstvoll integrierte Adagio, das den nicht vorhandenen langsamen Satz ersetzt, einen Gegenpol eröffnet.

Und es gilt für die Klavierstücke op. 116 und 117 von Brahms, entstanden 1892 als Sammlung von Intermezzi und Capriccios. Brahms nimmt hält Rückschau, erinnert sich an die hanseatischen Landschaften seiner Kindheit, versucht auch den Schmerz nach dem Tod der Schwester Elise zu bannen. 

Hélène Grimaud wirkt bei ihrem Auftritt wie eine, die sich dem Gehalt dieser Musik voll bewusst ist – und doch den Zugang zu ihr immer wieder verpasst. Eine Suchende, keine Findende. Technisch souverän, doch seltsam spröde, nüchtern, distanziert, ohne innere Beteiligung „handelt“ sie Beethoven und den ersten Brahms-Teil ab, so als wolle oder könne sie als Künstlerin in keinen Dialog mit den Werken treten, diese nicht mit ihrer eigene Persönlichkeit, ihrer eigenen Geschichte färben: ein Neutrum.  

Nach der Pause, in Brahms‘ op. 116, sucht Grimaud ihr Heil in expressivem, kernigen Spiel, doch ohne dabei einen Schritt voranzukommen. Erst, als das Konzert schon weit vorangeschritten ist, ändert sich das langsam. Ein Hebel scheint umgelegt im ersten der beiden E-Dur-Capricci, das ob seiner kompositorischen Dichte als Gravitationszentrum des Zyklus gilt.

Jetzt präsentiert die Französin nicht mehr nur stupende technische Fertigkeiten, eine Wahrheit scheint sich hinter den Tönen aufzutun, eine Ferne, wenn man so will: eine Aura. Die erblüht schließlich vollends im letzten Werk des Abends, der monumentalen Busoni-Bearbeitung von Bachs Chaconne aus der Partita Nr. 2 d-Moll. Der Saal jubelt, zurecht. Doch warum gibt Grimaud erst so spät Anlass dazu? 

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