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Fröhlicher Clown. Herbert Fritsch wurde 1951 in Augsburg geboren. Von Anfang der Neunzigerjahre bis 2007 war er Schauspieler an Frank Castorfs Volksbühne, nebenbei trieb er sein Filmprojekt „Hamlet X“ voran. Als Regisseur arbeitete er u. a. in Luzern, Halle, Oberhausen, Wiesbaden – und demnächst wieder an der Volksbühne.

© Silke Winkler

Nachwuchsregisseur des Jahres: Des Wahnsinns nette Leute

Und der Gewinner heißt: Herbert Fritsch. Der Schauspieler, einst Star der Volksbühne, ist mit gleich zwei Regiearbeiten zum Theatertreffen eingeladen: „Nora“ aus Oberhausen und „Der Biberpelz“ aus Schwerin. Im Interview spricht er über iPhones, Fußball und Schweinehälften.

Herr Fritsch, Sie inszenieren ausschließlich Klamotten und Komödien. Und wenn ein Stück mal nicht wirklich komisch ist, wie „Nora“ zum Beispiel – bei Ihnen schlägt das Komödiantische stets knallhart durch. Sind Sie verrückt?
Die Leute zum Lachen bringen, das ist doch das Elementare des Schauspielerberufs. Das fünffach vermittelte, um drei Ecken gedachte politische Theater interessiert mich nicht. Das Grundmoment des Theaters ist Unterhaltung, auch wenn es traurig zugeht.

Es ist nicht lange her, da hat sich das Theater viel ernster genommen, es fühlte sich als politische Kraft, zumal in Berlin. Soll das alles ein Irrtum gewesen sein? Sind Sie ein Revisionist?
Anfang und Mitte der neunziger Jahre traf das zu, was Sie meinen. Das Theater hatte eine politische Funktion, es wirkte integrierend, viel wurde da aufgewühlt ...

Sie meinen die Volksbühne, zu deren überdrehten Protagonisten Sie gehörten.
Ja, eine extrem wichtige Zeit. Aber jetzt sind wir in einer anderen Situation. Ich kann auf der Bühne soziale Probleme nicht einfach so behaupten, das ist unecht, das nimmt dir keiner mehr ab. Es geht uns hier verdammt gut, wir leben so geschützt, und das Theater wird Gott sei Dank immer noch von der Gesellschaft finanziert. Also haben wir die Pflicht, glücklich zu sein, wie es bei dem französischen Philosophen Alain heißt. Wir müssen den Kopf frei haben und offen in die Welt schauen. Mit einem ernsten, angespannten Gesicht sieht man nicht gut. Wenn wir auf traurig machen und miese Stimmung im Theater verbreiten, ist niemand geholfen, schon gar nicht in Japan oder Afrika, wo Kinder für unsere iPhones schinden.

Das ist die komplette Umkehrung der Theatergeschichte der letzten zwanzig, dreißig, vierzig Jahre.
Finde ich nicht. Theater ist ein alternatives Kraftwerk, hier werden Schwingungen erzeugt und Menschen so bestrahlt ...

Windenergie oder Sonnenenergie?
Sonne im Herzen, Wind aus dem Mund, aber nein: Theater ist spezielle Energie. Ich sage den Schauspielern: Wir bauen eine Strahlenkanone, und damit schießen wir auf die Zuschauer, hysterisieren sie, bringen sie an den Punkt, dass sie nicht mehr wissen, wie sie nachher nach Hause kommen sollen. Wir geben ihnen die Möglichkeit der Regression – eine Form des sich Erholens. Ich kann doch einem Anwalt oder Arzt nichts von Armut und Elend erzählen, das wissen die im Zweifel besser. Aber ich kann ein Publikum in einen Zustand versetzen, dass es mit dem Elend in der Welt viel besser umgeht.

Sie sind ein alter Spaßvogel: Genauso hat damals die Volksbühne gearbeitet, in den besten Zeiten mit Frank Castorf.
Absolut. Die Jahre dort sind ja nicht spurlos an mir vorübergegangen, ich habe mein Päckchen mitgenommen, positiv wie negativ. Diese Kraft will ich nutzen, und zwar so, wie ich sie jetzt brauche. Für diese ganze Politik, so wie sie heute läuft, bin ich zu doof. Das Einzige, was ich kann, ist Grimassen schneiden und meinen Körper verrenken. Und das bringe ich den jungen Schauspielern bei.

Warum so bescheiden?
In meinem Alter will ich mich freuen, ich will mich nicht mit Regisseuren oder politischen Themen herumärgern.

Was empfinden Sie, wenn Sie an die Volksbühne denken?
Es war eine große Zeit, eine tolle Zeit, und jetzt ist es eben ein bisschen anders. Daran ist nichts Tragisches: Sachen, die lebendig sind, können auch sterben. Totes kann ja gar nicht sterben. Das Verwelken einer schönen Blume fällt natürlich besonders auf und schmerzt auch mehr.

Sind Sie ein Opfer oder ein Held des Regietheaters?
Na ja, die Steins und Zadeks haben immer starke Schauspieler hervorgebracht, aber sie haben auch darauf geachtet, dass sie selbst im Vordergrund standen.

Gilt das auch für Castorf?
Er hat den Schauspielern in den ersten Jahren eine große Freiheit geschaffen, für das Ensemble und im Ensemble, er hat gezeigt, wie man sich frei bewegen kann. Ich rede in den Proben viel von Fußball. Man muss zur Rampe und das Tor machen, aber man muss auch abgeben können, man muss wissen, wie und wann man nach vorn geht. Ob man ein Stürmer ist. Und dass man richtig gestaffelt steht und ein Raumgefühl hat. Das hat für den Zuschauer auch etwas Ästhetisches. Im Fußball wird der Trainer immer seine Stars pushen, er hat ein Konzept, aber dieses Konzept sieht man nicht. Ein Trainer freut sich, wenn sein Stürmer Torschützenkönig wird. Beim Regietheater war es genau umgekehrt. Die Regisseure haben damals furchtbar hierarchisch gedacht und sich auch so verhalten. Und diese Hierarchie ist in Wirklichkeit das Altmodische am Theater – das Theater selbst ist nicht altmodisch. Es ist das, was im Moment passiert, vor unseren Augen.

Wie halten Sie es jetzt aus, der Trainer zu sein, es durchzuckt Sie doch immerzu?
Ich versuche, den Schauspielern etwas von mir abzugeben, ihnen die Angst zu nehmen. Ich sehe auf den Bühnen, ob in Berlin oder in der sogenannten Provinz, viele ängstliche Gestalten herumspringen, die in irgendwelchen Korsetts von Regie drinhängen. Sicher, Angst hat man immer, das kenne ich. Denn es ist eine Anmaßung, auf die Bühne zu gehen. Man muss diese Angst zertrümmern.

Herbert Fritsch und ängstlich? Sie sind mal mit einer lebendigen Riesenschlange aufgetreten, zusammen mit Henry Hübchen, und bei anderer Gelegenheit knallte ein Fleischklops knapp neben Ihnen auf die Bühne, ein Kollege titelte: „Rampensau beinahe von Schweinehälfte erschlagen“ ...
Das war bei Christoph Schlingensiefs „Atta Atta“ (lacht). Irgendwann merkt man, dass der Hammer überall an der gleichen Stelle hängt. Ich sage dem Schauspieler: Spiel drauflos, zeig deine Lust! Ich bin stockkonservativ. Ich gehe weit zurück, noch vor die Neuberin, die berühmte Theaterchefin, die im 18. Jahrhundert in Leipzig auf dem Marktplatz den Hanswurst verbrannt hat. Ich will den Hanswurst wieder, man hat ihn immer bekämpft. In der Endphase der Volksbühne wurde mir vorgeworfen, ich sei ein Klamottier. Damit habe ich überhaupt kein Problem. Ich bin ein Klamottier, ein Fratzenschneider. Ich schwelge in Euphorie und versinke in tiefster Depression, so ist das. Schauspieler wissen, wovon ich rede. Wir sind da doch alle verwandt.

Und jetzt wird Ihnen vorgeworfen, es sprängen lauter kleine Herbert Fritschs in Ihren Inszenierungen herum.
Ja, so ist es. Diesen Typus gibt es übrigens nicht sehr oft in Deutschland – diese körperliche Spielweise, diese Fähigkeit, Schwachsinn zu machen, die Bühne in Besitz zu nehmen über die Rampe hinaus. Wir haben es, wohin man schaut, mit ehrlichen und anständigen Schauspielern zu tun, die ihre politische Aufgabe ordentlich erfüllen. Die Theater bekommen von der Politik eine schwere Last aufgebürdet: Sie müssen den Eindruck erwecken, es herrsche hier Meinungsfreiheit und es gehe irgendwo noch um Inhalte. Wie langweilig! Ich halte den Gestus der Guttenberg-Ehrlichkeit nicht mehr aus! Ich will verführt werden. Ist doch toll, wenn ein Schauspieler dich verarscht, es macht Riesenspaß, auf einen charmanten Betrüger reinzufallen. Aber bloß nicht dieser langweilige Realismus, dieser Anständigkeitswahn!

Mit zwei Inszenierungen sind Sie jetzt beim Theatertreffen. Wieder einmal, nach über zwanzig Jahren. Damals haben Sie mit Frank Castorfs „Miss Sara Sampson“ das Publikum schockiert.
Und ich war danach nie wieder mit einer Inszenierung beim Theatertreffen. Irgendwann habe ich zu Castorf gesagt: Frank, besetz mich lieber nicht, sonst wirst du nicht zum Theatertreffen eingeladen. Die „Dämonen“ wurden eingeladen, nachdem ich ausgestiegen war. Damit will ich nichts gegen das Theatertreffen sagen. Ich bin nur etwas traurig, dass ich nur mit zwei Inszenierungen dabei bin (lacht).

Sie haben jetzt einen Riesenerfolg und werden auch wieder an der Volksbühne inszenieren. Sie zeigen eine geradezu kriminelle komische Energie. Aber es gibt auch den stillen, demütigen, gläubigen Herbert Fritsch. Versteckt er sich?
Ich habe als Schauspieler oft extrem viel nachgedacht, gegrübelt, habe mich mit Wissen bepackt und damit alles kaputtgemacht auf der Bühne. Aber wenn ich Vertrauen habe, wenn ich daran glaube, dass etwas in mir ist, das ich nicht regulieren muss, das heraus will, dann kann ich Rausch empfinden, Ekstase, Freiheit. Kriminelle Energie finde ich gut für einen Schauspieler. Damit kann man Gesetze brechen, es muss ja nicht ein Mord sein.
Das Gespräch führte Rüdiger Schaper.

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