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Landpartie. Tizians Gemälde „Maria mit dem Jesuskind und der Heiligen Katharina“ von 1530.

©  Städel-Museum

Tizian-Ausstellung in Frankfurt: Der warme Schmelz venezianischer Kunst

Glanzvoll in Szene gesetzt: Die Ausstellung „Tizian und die Renaissance in Venedig“ im Frankfurter Städel-Museum.

Was für ein Selbstbewusstsein! In diesem Jahr, schreibt Philipp Demandt, „widmet das Städel-Museum einem der folgenreichsten Kapitel der europäischen Kunstgeschichte eine umfassende Schau: der venezianischen Malerei der Renaissance“. Die Worte des Frankfurter Museumsdirektors muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Als ob es eine Selbstverständlichkeit wäre, der Malerei Venedigs aus der Zeit der Renaissance eine Ausstellung zu widmen! Es ist das glatte Gegenteil. Wer je die Kirchen Venedigs durchstreift, die Schätze der Accademia bewundert hat, kann sich kaum vorstellen, dass jemals eine Ausstellung zu dieser Zentralepoche der venezianischen Kunst außerhalb der Lagunenstadt organisiert werden könnte. Es ist jedoch der Überreichtum der venezianischen Kunstproduktion – übrigens nicht nur des 16. Jahrhunderts – , der immer noch genügend Werke für die Museen dieser Welt übriggelassen hat, aus denen das Städel-Museum Leihgaben für seine rund 110 Arbeiten von 60 Leihgebern umfassende Ausstellung „Tizian und die Renaissance in Venedig“ gewinnen konnte.

Und dennoch! Eine Ausstellung solchen Titels muss man sich erst einmal zutrauen. Das Städel-Museum, Schöpfung einer kunstsinnigen Bürgerschaft und bis auf den heutigen Tag von mäzenatischen Bürgern getragen, hat in den vergangenen Jahren einen exzellenten Ruf als Ausrichter von sowohl publikumsträchtigen als auch wissenschaftlich gehaltvollen Ausstellungen zur Kunst der Alten Meister erworben. Dafür steht seit 2014 Bastian Eclercy ein, der nach einem längeren Intermezzo für die Stelle des an die Münchner Alte Pinakothek gewechselten Andreas Schumacher gewonnen werden konnte. Er hat denn auch die gegenwärtige Ausstellung erarbeitet und zeichnet gemeinsam mit dem Frankfurter Kunsthistoriker Hans Aurenhammer für den gehaltvollen Katalog verantwortlich. Tizian als Namenspatron der Ausstellung zu wählen, liegt einerseits auf der Hand, war doch der um 1480 geborene und bis ins biblische Alter von 86 Jahren unermüdlich tätige Tiziano Vecellio der unbestrittene Hauptkünstler der Serenissima durch das ganze, turbulente Cinquecento hindurch. Andererseits zeigt das Städel keine Tizian-Retrospektive mit Beilage, sondern ein Panorama der venezianischen Malerei dieser Epoche, aus dem sich gerade die Vielzahl der Namen und Begabungen einprägt.

Die große Politik in Portraits

Tizian in Gänze zu zeigen - das ist nun wirklich den größten Schatzhäusern etwa in Wien oder Madrid vorbehalten, wohin durch dynastische Erwerbungen und Vererbungen die Meisterwerke dieses ebenso geschätzten wie geschäftigen Auftragskünstlers gelangt sind. Tizian trat das Erbe der Malerfamilie Bellini an, die die spezifisch venezianische Malerei begründet und sogleich zur Höhe geführt haben. Ihr Kolorit blieb in der Lagunenstadt für immer Maßstab. Aber während die Bellini und ihr weiter Umkreis der christlichen Historienmalerei verpflichtet waren, weitet sich das Themenspektrum nach 1500 erheblich. Die Frankfurter Ausstellung ist darum klugerweise weniger chronologisch als thematisch gegliedert. Sie beginnt nicht allgemein mit Altarbildern – die auch im 16. Jahrhundert das bei weitem umfangreichste Segment blieben, zumal in Verbindung mit den angewandten Künsten, die für die Ausstattung prächtiger Kirchen und Versammlungsstätten benötigt wurden – , sondern mit dem Spezialthema der Sacra Conversazione, des „heiligen Gesprächs“ zwischen der Muttergottes und Heiligen, denen sich fallweise auch Kirchenleute zugesellen dürfen. Schon bei Lorenzo Lotto (um 1480-1557), der gegen Tizian in seiner Heimatstadt keinen Stich bekam und ein unstetes Wanderleben einschlug, weitet sich die Madonnendarstellung zur Landschaft. Bei Tizian selbst hat man 1530 den Eindruck, statt der „Madonna mit Kind und der heiligen Katharina“ eine Landpartie der Nobilität zuzusehen, die sich um diese Zeit entschlossen der terraferma, dem bis dahin missachteten Hinterland der Lagunenstadt, zuwandte.

Die große Politik kommt in Frankfurt in Portraits zur Anschauung, die Tizian mit dem Bildnis des Dogen Francesco Venier (1558) und Jacopo Tintoretto mit dem des Prokurators Paolo Tiepolo (um 1578) glanzvoll in Szene zu setzen wissen. Von Paolo Veronese stammt das eminent wichtige Bildnis des Humanisten Daniele Barbaro (um 1562), der als Bearbeiter der bis dahin besten Vitruv-Ausgabe und Förderer des aufstrebenden Andrea Palladio einen Platz in der Architekturgeschichte einnimmt. Kriegsleute werden von Sebastiano del Piombo oder Jacopo Bassano nicht zuletzt um der Lichteffekte ihrer schimmernden Rüstungen willen dargestellt.

Ausblick auf nachfolgende Kunst

Der warme Schmelz der venezianischen Kunst bleibt jedoch den Damen der Gesellschaft vorbehalten. Paris Bordone malt um 1550 „Venezianische Frauen bei der Toilette“ und zeigt, wie sie sich auf ihren Auftritt wo auch immer vorbereiten. Freizügige Einblicke gehörten offenkundig dazu, wie schon Palma in Vecchio um 1525 mit der „Hofdame“ bestätigt; züchtiger geht es in dessen Bildnis einer „Jungen Frau in blauem Kleid“ von circa 1514 zu, wie auch in Sebastianos Bildnis einer Dame in ebenfalls blauem, jedoch seidenglänzenden Kleid von 1511. In dieser Abteilung, „Belle Donne“ überschrieben, darf natürlich eines der Lieblingsbilder des Städel-Publikums nicht fehlen, das (brustfreie) „Idealbildnis einer jungen Frau als Flora“ um 1520 von Bartolomeo Veneto. Zum Abschluss dieses Kapitels entzückt das aus der Berliner Gemäldegalerie entliehene Bildnis der zweijährigen Clarice Strozzi mit ihrem ersichtlich spielkameradentauglichen Hündchen von 1542, eines der frühesten Kinderbildnisse überhaupt, wenngleich voller Anspielungen auf die erwartete Zukunft als Ehefrau und Mutter.

Dass die Ausstellung mit einem Ausblick auf nachfolgende Kunst schließt, ist nicht verkehrt, aber auch nicht übermäßig erhellend. Kunst kommt immer von Kunst, und so lässt sich von El Greco über Rubens bis zum Fotografen Thomas Struth der Einfluss der venezianischen Malerei ohne Mühe belegen. Im Gedächtnis haften bleibt das unglaublich reiche und dabei so harmonische Kolorit der Venezianer. Um dessen Wirkung ganz zu erleben, bedarf es allerdings des Besuchs der Kirchen Venedigs mit ihren prachtvollen Altarbildern.

Dass Großformate in Frankfurt fehlen, mit Ausnahme von Veroneses „Ruhe auf der Flucht“ (von der Münchner Alten Pinakothek 1926 als vermeintliche Werkstattarbeit nach Amerika veräußert), ist ein Manko. Die Reise der Bilder kann eben die Reise des Betrachters an deren Herkunftsort doch nicht ersetzen.

Städel-Museum Frankfurt, bis 26. 5. Katalog bei Prestel, 39,90 €. - www.staedelmuseum.de/de/tizian-renaissance-venedig

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