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Tod durch Herzbruch. Beatrice Uria-Monzon als Didon in David Pountneys Berliner Inszenierung.

© Eventpress Hoensch

Deutsche Oper: Der verschenkte Gaul

Beethoven und Wagner hat man hierzulande einfach im Blut. Für Berlioz hingegen muss man etwas tun. Donald Runnicles ringt an der Deutschen Oper mit Berlioz’ "Die Trojaner".

Man muss nicht Kassandra heißen, um das Unheil kommen gesehen zu haben. Etliche Musikfreunde nämlich, einheimische wie zugereiste, gaben sich am Sonntag die volle Dröhnung: vormittags das Beethoven-Finale mit Christian Thielemann und den Wienern in der Philharmonie – und ab 16 Uhr Berlioz’ Monumentalschinken „Die Trojaner“ an der Deutschen Oper. In der Summe macht das siebeneinhalb Stunden Kunstgenuss, und wer in diesem Clash der Musikkulturen obsiegen würde, das war nicht nur eine Frage der Ästhetik, der Prägung und des Geschmacks, sondern ganz profan auch eine der Kondition.

Eine so zufällige wie ungerechte Konstellation – und doch auch eine, die die Sinne anspitzte. Beethoven, den genialen Tektoniker, den Formenrüttler und Geistesgiganten, hat man hierzulande im Blut (wie Richard Wagner). Das ist weder gestrig-böse noch ideologisch, das ist einfach so. Für Berlioz hingegen, den passionierten Vergil- und Shakespeare-Leser und genialisch begabten Instrumentator, muss man etwas tun. Zu übermächtig ist das Wagner’sche Musikdrama, als dass man sich mit der gleichen Inbrunst dessen Gegenkonzept hingäbe und in den riesigen Chortableaus und ausufernden Balletteinlagen, dem Montageprinzip, den vielen mäandernden Selbstläufern der Grand Opéra aufginge. Eine Hypothek, an der selbst positive Beispiele aus der Aufführungsgeschichte wie Ruth Berghaus’ legendärer Wurf an der Frankfurter Oper 1982 oder Sebastian Baumgartens wildwütiger Aufriss 2003 in Mannheim wenig zu ändern vermochten.

Berlioz also dem Repertoire (zurück?) zu gewinnen, Berlin nach 80 Jahren (endlich?) wieder eine „Trojaner“-Inszenierung zu bescheren und Generalmusikdirektor Donald Runnicles mit dieser Premiere seine (lang erwartete!) erste, wirklich eigene Visitenkarte abzuluchsen: Der Legitimationsdruck an der Bismarckstraße war hoch. Kirsten Harms jedenfalls, die scheidende Intendantin, räumte vorsorglich ihre angestammte Loge links zugunsten eines Platzes auf der rechten Seite. Vielleicht hat sie geahnt und gefürchtet, dass die Meinung über Berlioz immer nur so gut sein kann wie die jeweilige Aufführung. Und dass der Bregenzer Seebühnen-Intendant und Regisseur David Pountney hier nichts, aber auch gar nichts verloren hat.

Pountneys Ansatz ist so simpel wie undifferenziert und lässt Ästhetik getrost Ästhetik sein: Troja präsentiert sich in martialisch-archaischem Schwarz-Rot als kriegerische Männerwelt (Bühne Johan Engels, Kostüme Marie-Jeanne Lecca), das Pferd darf wie ein sauriergroßes Holzplastinat aus dem Schnürboden lugen, und die Seherin Cassandre gibt sich in der Mitte eines rostig aufklappbaren Lebensrades in den Tod. Dasselbe Bild stellt sich Ende des fünften Aktes noch einmal ein, wenn Didon stirbt, die Karthager-Königin, an gebrochenem Herzen, weil ihr geliebter Énée (Aeneas) lieber nach Rom will, statt weiter mit ihr in sonnig-weiblichen Kuschelkissenbergen zu poussieren oder zum Liebesvollzug („Nacht der Trunkenheit und der Ekstase“) als Seifenblase am Firmament zu schweben, während unten am Boden zwei Tänzer heftig kopulieren. Kitsch, Ironie, keinerlei Bedeutung?

Donald Runnicles im Graben gibt sich alle Mühe, nicht laut zu sein – und leuchtet die monströse Partitur prompt eher horizontal aus, setzt mehr auf deren flächige Effekte denn auf Kontraste oder harsche Brüche. Das Orchester der Deutschen Oper klingt so zwar nicht schlecht, aber doch fünf Stunden lang ziemlich gleich, was die Spannung nicht gerade ins Unermessliche steigern hilft. Abgesehen von Ian Storeys forcierendem Aeneas schlägt sich das Sängerensemble gleichwohl wacker: mit Petra Langs ebenso versierter wie unterkühlter Cassandre, mit Béatrice Uria-Monzon als darstellerisch bewundernswert engagierter, stimmlich allerdings arg lyrischer Didon, mit Liane Keegan als deren Schwester Anna und der jungen Heidi Stober, die als Aeneas- Sohn Ascagne aufhorchen lässt.

Am Ende, nach Fluch, Hass und Verderben: viel Jubel. Für die kollektive Kraftanstrengung, fürs eigene Sitzfleisch. An der deutschen Berlioz-Rezeption aber kratzt dieser Abend nicht.

Wieder am 11., 16. und 19. Dezember.

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