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Mehr Rechte, mehr Beteiligung. Karlheinz Braun rief einst den Verlag der Autoren ins Leben.

© Alexander Paul Englert

Erinnerungen an den Verlag der Autoren: Der Traum von Herrschaftsfreiheit

Frankfurter Weltgeschichte: Karlheinz Braun erinnert sich in "Herzstücke" an sein Leben und sein liebstes Kind, den Verlag der Autoren.

Von einem „Finale des Lebens“ wollte er 2007, als ihm die Stadt Frankfurt ihre Ehrenplakette verlieh, nichts wissen. Da hatte sich Karlheinz Braun zwar schon vier Jahre vom Verlag der Autoren verabschiedet, jenem Verlag, den er 1969 nach dem Lektorenaufstand im Suhrkamp Verlag zusammen mit vier Kollegen – Walter Boehlich, Klaus Reichert, Peter Urban, Urs Widmer – als Theaterverlag ins Leben rief. Doch heute, zwölf Jahre nach der Ehrung, feiert er das fünfzigste Jubiläum des Hauses noch munter mit. Als Geschäftsführer hat er ihn zum Medienverlag ausgebaut – samt Filmverlag der Autoren und einer Beteiligung am Deutschen Hörverlag. Der ist inzwischen an Random House verkauft, dafür erscheinen inzwischen neben Theatermanuskripten auch ganz normale Bücher.

Auf 700 Seiten hat er nun sein Leben mit den Autoren des Verlags unter dem bei „seinem“ Autor Heiner Müller geborgten Titel „Herzstücke“ festgehalten. Es ist keine Autobiografie, weil die beinahe hundert eingestreuten Porträts von H. C. Artmann bis Jochen Ziem vor der Darstellung seiner persönlichen Biografie stehen. Es ist auch keine Vorwegnahme der Dokumentation „Fundus“, die die Verlagschronik in genau 2313 Fragmenten bis auf den heutigen Tag fortführt.

Zu Wort kommen dort Autoren mit guten Wünschen (Harald Sommer: „Wenn Sie mit jedem Ihrer Autoren so viel Scherereien haben wie mit mir, dann gute Nacht!“) oder verkappten Liebeserklärungen (Rainer Werner Fassbinder: „Dass ich mit dem Ausscheiden von Karlheinz Braun aus dem Verlag der Autoren auch ausscheide.“). Den Rest füllen Dokumente der äußeren Verlagsgeschichte.

[Karlheinz Braun: Herzstücke. Leben mit Autoren. Schöffling Verlag, Frankfurt a. M. 2019. 676 Seiten, 32 €.]

[Wolfgang Schopf und Marion Victor (Hrsg.): Fundus. Das Buch vom Verlag der Autoren 1969–2019. Verlag der Autoren, Frankfurt a. M. 2019. 300 Seiten, 39 €.]

Brauns „Herzstücke“ schildern auch Lebensweg und -werk davor, danach und nebenher auf „mindestens sechs Ebenen (Autoren, Geschichte, Ästhetik, Theater & Medien, Verlage)“. Der Bericht führt von seinen Anfängen am Studententheater „neue bühne“ über seine Jahre als Leiter des Suhrkamp Theaterverlags und – mit Peter Iden – des Frankfurter Theaterfestivals „experimenta“ über sein Gastspiel als Direktor des Frankfurter Schauspielhauses bis zu seinen Nebenrollen als Schauspieler in Fassbinders „Berlin Alexanderplatz“ und zwei Folgen der Fernsehserie „Hessische Geschichten“.

Da sich alles in Frankfurt abspielte, will er darin auch eine „kleine, wenn auch unvollständige Theatergeschichte dieser kleinen Metropole“ sehen. Natürlich ist die Geschichte seiner beiden Verlage, des Frankfurter Schauspiels und des Theaters am Turm keine Lokalgeschichte, sondern integraler Bestandteil des deutschsprachigen Theaters. Dazu gehören auch Wien und Zürich (Braun hat über Max Frisch promoviert) und natürlich das zweigeteilte Berlin.

Rühmende Anerkennung für die Autoren

Westberlin schnappte mit dem Theatertreffen zwar Frankfurt die dort geplante „Theaterolympiade“ weg, aber die Autoren der Berliner Schaubühne und des Grips Theaters gehörten von Anfang an zum Stamm des Verlags. In Ostberlin diente eine Kooperation mit dem Henschelverlag als Brücke zum Theater der DDR. Sie mündete 1990 in die Neugründung des „henschel SCHAUSPIEL theaterverlags“ als Autorenverlag nach dem Frankfurter Modell. Keine reine Freude für Karlheinz Braun, der zugunsten der Berliner auf die Bühnenrechte für Heiner Müller verzichten musste.

Sein wahres „Herzstück“ ist der „Traum vom herrschaftsfreien Arbeiten“ (Urs Widmer) als Theaterproduzent unter seinesgleichen, den Braun im Modell des Autorenverlags verwirklicht sah. Seine rühmende Anerkennung gilt seinen Autoren, „die es geschafft haben, ihre Autonomie gemeinsam in einem Verlag zu bewahren“, aber der „bot auch mir alle Möglichkeiten einer glücklichen Selbstverwirklichung“. Beides sind Stichworte der „Literaturproduzenten“-Bewegung, die 1968 Autoren, Lektoren, Buchhändler und Verlagsangestellte erfasste.

Streben nach Autonomie

Ihre Wortführer waren die Verlagslektoren Frank Benseler (Luchterhand) und Walter Boehlich, damals Cheflektor bei Suhrkamp. Ihm und seinen Suhrkamp-Kollegen ging es dabei nicht um Arbeitsdruck und materielle Entlohnung (Braun übernahm 1960 mit einem Anfangsgehalt von 600 DM den Theaterverlag „für eher kargen Lohn“), sondern um ein Stück Mitbestimmung, wie sie später Rudolf Augstein im „Spiegel“-Verlag verwirklichte. Aber Unseld, dessen Leistung als Verleger Braun anerkennt, lehnte die Lektoratsverfassung ab, die ihn zum konstitutionellen Monarchen gemacht hätte. Unselds Spitzname im Verlag, verrät Braun, war nicht zufällig „Sieger“.

So mag er sich auch gefühlt haben, als die fünf Lektoratsrebellen schließlich kündigten und sich mit ihren verbündeten Autoren selbstständig machten. Als Startkapital stellte ihnen Boehlichs Bruder 25 000 D-Mark zur Verfügung, nachdem sie sogar ein Angebot Unselds abgelehnt hatten, ihnen mit 600 000 DM die Gründung eines „sozialistischen“ Buchverlags zu ermöglichen.

Nicht alle fanden die Strukturen fair

Seine einzige Bedingung war der Verzicht auf einen eigenen Bühnenverlag, der damit unter Brauns Leitung bei Suhrkamp verblieben wäre. Das war für Braun und die Lektoren unannehmbar, zumal sie für einen Theaterverlag keine solchen Summen benötigten. Denn anders als ein Buchverlag, der erhebliche Mittel für Druckkosten investieren und auf Risiko vorschießen muss, vertreibt ein Theaterverlag immaterielle Rechte seiner Autoren auf Provisionsbasis. Nach dem Prinzip „Der Verlag der Autoren gehört den Autoren des Verlags“ waren das einheitlich für alle Verlagsmitglieder 25 Prozent ihrer Tantiemen.

Das verhinderte nicht, dass sich im Lauf der Zeit besonders erfolgreiche Autoren von diesem Solidarprinzip übervorteilt fühlten. Sehr zum bleibenden Kummer Brauns auch sein Erfolgsautor Botho Strauß, der für sich einen geringeren Prozentsatz als persönliche Erfolgsprämie forderte. Peter Handke wiederum verließ den Verlag aus Protest über die von einer Autorenmehrheit beschlossene Entlassung der Delegierten Ursula Bothe, die gezeigt habe, „dass sich die Autoren nur scheinheilig den Namen einer Gemeinschaft“ gegeben und sich „wie bei einer ZK-Veranstaltung gebärdet“ hätten: Seine Rückkehr zu Suhrkamp, schrieb er später, sei dem Schock über seine Autorenkollegen geschuldet, „wenn sie ein Kollektiv werden und Macht haben“. Das sieht Karlheinz Braun natürlich anders, der die Abwahl als Ultima Ratio der Verlagsverfassung nach vergeblichen Kompromissbemühungen verteidigt: „Es war genau dieser (wenn auch schmerzhafte) Prozess, in dem sich das Modell Verlag der Autoren bewährte.“

Hannes Schwenger

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