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Kultur: Der Sonderwegler

Edmund Stoiber hat eine ausgesprochen unterhaltsame Autobiografie geschrieben.

Von Robert Birnbaum

Es gibt so Dinge, die wurmen ihn einfach. Zum Beispiel, dass er als humorlos gilt. Nun ist das ja wirklich ein bisschen ungerecht, weil, einen gewissen Humor hat Edmund Stoiber schon immer gehabt, bei passender Gelegenheit jedenfalls. Andererseits – so richtig wurmt ihn der Ruf dann auch wieder nicht: „Ich verstand mich nicht als erster Humorist, sondern als erster Manager des Freistaats Bayern.“ Der erste Manager hat jetzt seine Schlussbilanz vorgelegt. Und sie ist aufschlussreich, ja sogar ausgesprochen unterhaltsam ausgefallen.

Das ist für eine Politiker-Autobiografie ein überraschender Befund. Das Genre wird im Allgemeinen von Leuten bedient, die sich von der Welt, dem Schicksal und etwelchen Parteifreunden betrogen fühlen, und von jenen vollends unerträglichen Typen, die im Nachhinein immer nur recht hatten. Der ehemalige CSU-Vorsitzende, Ex-Ministerpräsident und Ex-Kanzlerkandidat erweist sich als von solchen Anwandlungen angenehm frei. Er steht zu sich und seinem Weg, aber er räumt, lächelnd, auch Fehler ein.

Das führt im Gegenzug dazu, dass alle leer ausgehen, die sich Sottisen, Enthüllungen und anderes nützliches Material für aktuelle Auseinandersetzungen erhofft haben sollten. Über sein politisches Ende im Hochtal von Kreuth, findet Stoiber zum Beispiel, sei sowieso alles schon geschrieben. Auch über das berühmte Frühstück in Wolfrathshausen, bei dem die CDU-Vorsitzende Angela Merkel dem CSU-Chef die Kanzlerkandidatur notgedrungen zu Füßen legte, verrät er nur so viel, dass er sich nach zwei Anrufen vorher sicher gewesen sei, was der Überraschungsbesuch bedeutete.

Warum also Stoiber lesen? Ganz einfach: Weil da einer wirklich versucht, Rechenschaft abzulegen. Stoiber, Jahrgang 1941, erzählt von Kindheit und Jugend in einem tief katholisch geprägten Örtchen in Oberbayern, berichtet vom zufälligen Anfang seiner politischen Karriere – „auf einmal hieß es: Ja wenn der so gscheit daherredet, dann soll er doch gleich Verantwortung übernehmen. Das Ergebnis war, dass ich als stellvertretender Kreisvorsitzender wieder nach Hause zurückkehrte“ – und von jener Landtagsinitiative wider die auswärtigen Nacktbader in der Pupplinger Au, die den Namen Stoiber erstmals über die Kreisgrenzen hinaus bekannt machte.

So entsteht Seite um Seite das Bild von einem Politiker, der sich selbst zwar ganz gut findet, aber zugleich immer wieder verblüfft darüber ist, wie weit er es gebracht hat. Sogar leise pathetischen Passagen über den verehrten Franz Josef Strauß und gut gemeinte Allgemeinplätze – „Politiker sollen Lebensbedingungen gestalten, und dazu müssen sie das Leben kennen“ – fügen sich ganz gut in diese Selbstbeschreibung eines oberbayerischen Parzivals.

Das ist, wie soll es anders sein, nicht der ganze Stoiber – es gab den anderen, den Zauderer, den Eiferer, den Anti-Berliner und Anti-Europäer ja auch. Aber als Selbstbild wirkt es nicht aufgesetzt. So wie es völlig ehrlich gemeint ist, dass der einstige Euro-Gegner zum strikten Anhänger der neuen Währung und eines vereinten Europa konvertiert ist. Stoiber vertritt die neue Linie mit dem gleichen Engagement und Eifer wie die alte, ja er schreckt nicht vor Bildunterzeilen wie „Europa braucht Angela Merkel“ zurück.

Vielleicht verrät dieses Kapitel mehr über ihn als das ganze übrige Buch. Stoiber galt seinen politischen Gegnern oft als halsstarriger Überzeugungstäter. Das war aber immer ein Missverständnis, ausgelöst durch den geradezu archaischen Furor, mit dem er sich für oder gegen etwas einzusetzen pflegt. Diese Fähigkeit zur Selbstbegeisterung hat ihm seine größten Triumphe beschert – noch heute kann der Altvorsitzende eine ganze Passauer Aschermittwochshalle zu Begeisterungsstürmen aufpeitschen –, aber auch seine größten Lachnummern – die Transrapid-Rede! Die „glodernde Lut“!

Doch zum ganzen Bild des Edmund Stoiber gehört eben auch jene Seite, die die einen als Lernfähigkeit schätzen und andere als Beeinflussbarkeit von seiner jeweiligen Umgebung leise bedenklich finden. Stoiber war in München ein überzeugter bayerischer Sonderwegler. Er wäre in Berlin ein überzeugter Kanzler aller Deutschen geworden. Jetzt ist er in Brüssel, also ist er überzeugter Europäer. Dafür gibt es sachlich gute Gründe. Aber er kann eben auch nicht anders. „Weil die Welt sich ändert“ heißt das Buch. „Weil die Welt mich ändert“ wäre ebenfalls nicht falsch gewesen. Robert Birnbaum

Edmund Stoiber: Weil die Welt sich ändert. Politik aus Leidenschaft – Erfahrungen und Perspektiven. Siedler Verlag, München 2012. 320 Seiten, 22,99 Euro.

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