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Machtspiel. „Petite Mort“, eine Choreografie von Jiri Kylián – der dritte Teil des Programms.

© Yan Revazov/Staatsballett

Saisonpremiere des Staatsballett Berlin: Der Preis der Schönheit

Vom Korsett der Konventionen: Das Staatsballett Berlin feiert Saisonpremiere mit dem dreiteiligen Abend „Duato, Kylián, Naharin“.

Von Sandra Luzina

Es ist ein glückliches Zusammentreffen. Nächste Woche wird das berühmte Nederlands Dans Theater (NDT) erstmals seit 15 Jahren wieder in Berlin auftreten. Die drei Choreografen, die nun die Saisonpremiere des Staatsballetts Berlin bestreiten, kennen sich just aus ihrer Zeit beim NDT. Jiri Kylián leitete 25 Jahre lang das Den Haager Tanzensemble, er gilt als Mentor von Staatsballett-Chef Nacho Duato, der seine choreografische Laufbahn 1983 beim NDT begann. Der Dritte im Bunde ist Ohad Naharin, seit 1990 künstlerischer Leiter der renommierten Batsheva Dance Company in Tel Aviv. Auch er verdankt den Niederländern seinen internationalen Durchbruch. Das sich bei den drei Choreografen auch ästhetische Gemeinsamkeiten entdecken lassen, zeigt der Abend an der Deutschen Oper.

Den Auftakt macht Nacho Duato mit seiner Choreografie „Castrati“, die 2002 für die Compania Nacional de Danza entstand. Der Spanier beleuchtet in dem Männerstück das tragische Schicksal der Kastratensänger in der Barockzeit, die noch vor der Pubertät unters Messer kamen, auch zeigt er die Furcht eines Knaben vor der Verstümmelung. Der wunderbare Wei Wang leiht diesem Zögling seine zarte Gestalt, mit rotgefärbten Händen und eingedrehten Beinen macht Wang die Verletzlichkeit und das Leiden des Jungen sichtbar. Er wird Opfer einer dunklen Bruderschaft, die sich dem Dienst an der Schönheit verschrieben hat.

Duato lässt auch die Faszination der Kastraten aufscheinen. Betörend die Countertenor-Gesänge – Einspielungen von Vivaldi-Werken –, hinreißend der Tanz der acht Männer in tief dekolletierten schwarzen Gewändern. Nach himmelhochjauchzenden Sprüngen und herrlichen Schwüngen erden sie sich wieder in tiefen Pliés. Das hat Tempo und einen tollen Bewegungsfluss. Erfinderisch sind die Duette, in denen die Männer enge Mieder um die Taille tragen und zwischen maskulinen und femininen Posen changieren. Darüber hinaus findet Duato verstörende Bilder, um die Zurichtung des Knaben zu veranschaulichen, die Einschnürung im Korsett der Konventionen. Am Ende schließt sich der Kreis der Männer bedrohlich um den Novizen.

„Castrati“ ist zweifellos die beste Arbeit, die bislang von Staatsballett-Chef Duato in Berlin zu sehen war. Eine noble Choreografie, die gleichwohl den Schmerz hinter der schönen Oberfläche sichtbar macht.

Zwischen den Klingen wartet der kleine Tod

Nach den beklemmenden „Castrati“ folgt prompt eine Lockerungsübung – von Ohad Naharin, einem der weltweit gefragtesten Gastchoreografen. Auch mehrere deutsche Ballettcompagnien haben ein Stück des Israeli in ihrem Repertoire. Dem Staatsballett hat er nun das Werk „Secus“ überlassen, das er 2005 für die Batsheva Dance Company schuf. Die Berliner Tänzer dürfen hier einmal über die Stränge schlagen. Dafür mussten sie sich mit seiner „Gaga“-Methode vertraut machen, so nennt Naharin die von ihm entwickelte Bewegungssprache, mit der er seit rund 15 Jahren experimentiert.

So richtig durchgeknallt ist das Treiben auf der Bühne allerdings nicht. Dennoch macht es Spaß, den Tänzern in bunten Trainingsklamotten dabei zuzusehen, wie sie aus gängigen Bewegungsmustern ausbrechen und neue Gangarten für sich erkunden. Immer wieder blitzt die Individualität der Tänzer auf – wobei die demonstrative Rotzigkeit zwar etwas aufgesetzt wirkt, die Protagonisten jedoch mit Neugier und Verve bei der Sache sind.

„Petite Mort“, der kleine Tod, so nennen die Franzosen den Orgasmus. Jiri Kyliáns gleichnamiges Ballett von 1991 zur Musik von Mozart will der Choreograf als Kritik am herkömmlichen Männerbild verstanden wissen. Sechs Tänzer schwingen ihre Degen, um gleich darauf in den Liegestütz zu fallen. Schwupps, und schon liegt eine Frau unter den Kriegern. Das sieht nach Potenzprahlerei aus – Kylián will genau das zeigen, die Paarung von Sexualität und Aggression. Immer wieder muss Elena Pris der Klinge ausweichen, mit der ihr Partner herumfuchtelt. In den Pas de deux ersinnt der Choreograf sinnliche Umschlingungen, Sex-Stellungen für Fortgeschrittene – bei aller Eleganz tendiert die geschmeidige Edelerotik dann doch zum Schwulst.

Echte Novitäten gab es auch diesmal nicht beim Staatsballett. Dennoch ist „Duato, Kylian, Naharin“ ein sehenswerter, stilistisch vielfältiger Abend. Und ein guter Vorlauf für das Gastspiel des Nederlands Dans Theater, das mit neueren Arbeiten und frischerer Ästhetik in die Hauptstadt kommt.

Deutsche Oper. Weitere Aufführungen am 27. und 29. Oktober sowie am 4. und 20. November, jeweils 19.30 Uhr

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