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Der österreichische Georg-Büchner-Preisträger Clemens J. Setz, 39.

© Suhrkamp Verlag/Max Zerrahn

Der neue Roman von Clemens J. Setz: Alles zerschellt in der Hohlwelt

In einer Kugel gescheitert: Der Georg-Büchner-Preisträger porträtiert in seiner Romanbiografie „Monde vor der Landung“ den Hohlwelt-Anhänger Peter Bender

Man hätte vor der Lektüre von Clemens J. Setz‘ Roman „Monde vor der Landung“ sicher nicht gedacht, sich einmal für einen Menschen zu interessieren und in diesen hinein zu versetzen, den man heutzutage leichthin und natürlich negativ konnotiert als Querdenker bezeichnen würde. Peter Bender heißt dieser Mann, den Setz auf über fünfhundert Seiten in seiner Romanbiografie porträtiert und den es wirklich gegeben hat.

Bender wurde 1893 geboren, starb 1944 im KZ Mauthausen und war ein mit viel Sendungsbewusstsein ausgestatteter Anhänger der Hohlwelt-Theorie. Wohnhaft in Worms, sehr viel später in Frankfurt, glaubte er, wie Setz es schreibt, „nicht auf, sondern in einer riesigen Erdkugel“ zu leben, „und das bei vollem Bewusstsein und ohne Protest.“ Er ist überzeugt davon, von einem geschlossenen Erdenrund umgeben zu sein: „Wo andere Himmel und Sterne sahen, da sah er nur bläuliches Füllgas und bestenfalls apfelgroße Leuchtkörperchen; wo viele die nächste Galaxie vermuteten, da wusste er Australien.“

Zu dem Glauben an die Hohlwelt gesellen sich bei Bender noch andere Ideen, die er sich aus den Büchern von beispielsweise Nietzsche oder Stefan George zu Weltmodellen bastelt, die er „auf seinem Weg zu Luther“ gefunden oder aus den Nibelungensagen hat; er ist überzeugt von der „Quadratgestalt der Geschlechter“ und erklärt, dass die Liebe nur „über die Kreuzstellung“ möglich sei, es immer einen zweiten Mann und eine zweite Frau in jeder Beziehung geben müsse.  

Bender schrieb auch einen Roman

Man merkt, mit wieviel Vergnügen Setz sich auf seine Hauptfigur eingelassen hat und noch jede seiner spinnerten Ideen ausbreitet, ohne sie zu werten oder sich gar darüber lustig zu machen. Von Beginn an erzählt er die Lebensgeschichte Benders vor dem historischen Hintergrund, den historischen Zeitläuften, die auch diesen Hohlweltler einerseits erschüttern, andererseits zu dem Sonderling machen, der er ist. Natürlich schwingt in diesem Roman unsere komplexe, von zunehmend mehr Verschwörungstheorien belastete Gegenwart mit, die Fragen danach, wie man sich zu Leuten wie Bender verhält.     

Auf zwei Erzählsträngen führt Setz zunächst das Leben von Bender in den zwanziger und dreißiger Jahren mit seiner Kindheit und Jugend zusammen. Er wird Pilot an der Ostfront im Ersten Weltkrieg, erleidet einen Absturz, der ihm den Kiefer zerstört und nachhaltig zum Hohlwelt-Theoretiker macht, (obwohl er die Erde als Kugel tatsächlich gesehen hat), und lernt im Lazarett seine zukünftige Frau kennen, Charlotte, die jüdischer Herkunft ist.

Seine Polaritäts- und Kreuzstellungstheorien nimmt er sehr ernst: Er hat eine Geliebte, Elsa, und als diese ihn verlässt, lernt er eine weitere Frau kennen, die ihm so gar bezüglich seiner Ideen folgt. Er versucht die „Wormser Menschheitsgesellschaft“ zu gründen, im revolutionären Arbeiter- und Soldatenrat zu reüssieren und schreibt 1927 einen Roman mit dem Titel „Karl Tormann – Ein rheinischer Mensch unserer Zeit“, aus dem Setz auch zitiert, der aber kaum vertrieben wird, weil der Verlag ziemlich schnell zugrunde geht. (Der Roman ist inzwischen von einem Wormser Verlag wieder aufgelegt worden).

Peter Bender ist ein Scheiterer, in allen Belangen: beruflich, weil seine Ideen, der Glaube an die Hohlwelt ihn komplett vereinnahmen und an der Grenze zum Psychopathologischen sind. Zum Unterhalt seiner vierköpfigen Familie kann er kaum beitragen; andere aus seiner kosmologischen Bruderschaft verstehen es besser, auch ökonomische Vorteile aus ihren Irrlehren zu ziehen: Karl Neupert, Johannes Lang, der Nationalschriftsteller Johannes Schlaf  oder Hanns Hörbiger mit seiner „Welteislehre“.

Privat scheitert Bender, weil er die Gefahren durch die Nazis zwar erkennt (die ihn wiederum selbst als Gefahr für ihren „Volkskörper“ begreifen), aber nicht in der Lage ist, sich und vor allem seine Frau vor ihnen zu schützen. Die USA sind für ihn weniger ein realer Zufluchtsort als der Stammsitz der „Koreshian Society“ des Hohlwelt-Urvaters Cyrus Reed Teed, als dessen Reinkarnation Bender sich begreift.

Setz porträtiert seinen Romanhelden als tragische Figur. Er erzählt, wie Benders Frau Charlotte nach und nach ihre Schüler und Schülerinnen verliert, mit deren Unterricht sie ihren Mann und die zwei Kinder durchgebracht hat. Und wie sie ihr Haus in Worms aufgeben müssen und in Frankfurt gerade noch so bei einem „urchristlichen Ehepaar“ in einem kleinen Zimmer unterkommen.

Das ästhetische Interesse an Setz‘ gleichermaßen flüssig erzählten, nie übertrieben fiktiv eingefühlten, dazu mehr und mehr mit Dokumenten angereicherten Roman weicht dem Entsetzen darüber, wie sehr Bender und seine jüdische Frau zu Opfern der Nazis werden. Die Komik der Briefe, die Bender nach Amerika an Harry Manley schickt, den Leiter der Koresh Society in Florida, wirkt da umso furchtbarer. Wie heißt es in einem der Gedichte von Charlotte, die er nach Florida schickt: „Alles zerfällt, alles zerschellt/Nirgends Ruhe noch Rast.“   

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