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OPPENHEIMER Cillian Murphy als "Oppenheimer" in Christopher Nolans Biopic

© Universal Pictures

Der nächste Blockbuster: Oppenheimer und wie er die Welt sah

Zeitgleich mit „Barbie“ startet Christopher Nolans „Oppenheimer“ über den „Vater der Atombombe“, der später der Spionage verdächtigt wurde. Auf die Bombe folgte in der McCarthy-Zeit ein Vernichtungskrieg der Worte: Nolans erster Talking-Heads-Film.

Im Internet hat das Phänomen bereits einen Namen, sogar einen Wikipedia-Eintrag: „Barbenheimer“. Und ein Logo, einen Atompilz in Pink. Dass die beiden meist erwarteten Blockbuster der Saison, Greta Gerwigs „Barbie“ und Christopher Nolans „Oppenheimer“, zeitgleich diese Woche starten, hat Spekulationen geschürt. Denn gewöhnlich gibt’s pro Sommerwoche höchstens einen potenziellen Boxoffice-Hit, damit sie einander nicht das Publikum stehlen.

Eine Vermutung geht dahin, dass es sich um Rache handelt. Seit „Insomnia“ 2002 drehte Nolan seine Filme für Warner. Aber als das Studio seinen SciFi-Spionage-Film „Tenet“ im ersten Pandemiejahr ohne Absprache parallel zum Kinostart beim eigenen Streamingdienst HBO herausbrachte, war Nolan erbost.

„Einige der größten Filmemacher und Filmstars gingen im Glauben ins Bett, für das großartigste Filmstudio der Welt zu arbeiten, um am nächsten Morgen herauszufinden, dass es sich um den schlimmsten Streaming-Anbieter handelt“, konstatierte der Regisseur im „Hollywood Reporter“ – und wechselte zu Universal. Prompt macht Warner Nolans erster Universal-Produktion jetzt mit „Barbie“ Konkurrenz.

Die andere Vermutung: Eben diese Konkurrenz belebt das Geschäft, siehe die Meme-Fehde um „Barbenheimer“. Da das Zielpublikum für ein pinkfarbenes Musical über eine Plastikpuppe und für ein Biopic über den „Vater der Atombombe“ unterschiedlicher nicht sein könnte, spekulieren die Studios womöglich auf eine Win-Win-Situation.

Die Teenie-Girls gucken „Barbie“, die Jungs „Oppenheimer“ und wer sich das Doublefeature antut, kann sich hinterher sowohl an Feminismus- und Backlash-Debatten beteiligen wie an Disputen über mächtige Männer und ihre Moral sowie über das Dilemma der Indienstnahme theoretischer Physik im Kriegsfall.

Bei genauerem Hinsehen haben die Filme sogar einiges miteinander zu tun. Das Wirtschaftswunder des Westens ist ohne den Kalten Krieg nicht denkbar. Kein American Way of Life ohne die atomare Abschreckung, keine Unterhaltungsindustrie ohne das Trauma des Zweiten Weltkriegs. Die Illusion einer heilen Welt ist unabdingbar angesichts der Erkenntnis, dass der Mensch in der Lage ist, die Welt komplett zu zerstören. Der Gedanke ist kaum auszuhalten, also verdrängt man ihn lieber.

Will heißen: keine Barbie ohne Oppenheimer. Der nach Hiroshima und Nagasaki zunehmend warnende, skeptische Physiker wurde 1954 kaltgestellt. Fünf Jahre später kam Barbie auf den Markt.  

So oder so markiert die Atombombe ein historisches Davor und Danach. Weshalb der Trinity-Test in der Wüste von New Mexico unweigerlich im Zentrum von Nolans Biopic „Oppenheimer“ steht. Der Countdown im Bunker in sicherer Entfernung vom Stahlturm mit dem dort platzierten „Gadget“, wie das Team des Manhattan Project die Bombe verniedlichend nennt, der Moment, in dem J. Robert Oppenheimer (Cillian Murphy) voreilig seine Schutzbrille absetzt, der Finger des Kollegen auf dem roten Knopf, der himmelwärts steigende Feuerball, das gleißende Licht ... Und, noch wichtiger, das Wissen der Anwesenden darüber, was sie nicht hundertprozentig ausschließen können. Sollte die Kettenreaktion bei der Kernspaltung nicht stoppen, würde die Atmosphäre verglühen. Der Planet wäre vernichtet.

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Sie haben es tatsächlich riskiert, am 16. Juli 1945 morgens um halb sechs. Christopher Nolan versucht, dieses unfassbare Momentum in der Menschheitsgeschichte zu fassen, indem er auf die Gesichter fokussiert. Plötzlich schweigt der dräuende Sound, dessen Leitmotiv ein Crescendo trappelnder Füße bildet, das zugleich nach einer unaufhaltsam losratternden Lokomotive klingt – akustisches Sinnbild für Erfolgsdruck und Unausweichlichkeit. Und die Action spielt sich in den Physiognomien ab, festgehalten von der Kamera Hoyte van Hoytemas. Allen voran im Gesicht von Cillian Murphy (klassisches Profil unter stylisher Hutkrempe, Pokerface mit flackerndem Blick), auf das die Imax-Großkameras des Cinemascope-Films gerichtet sind.

„The Gadget“ nannte das Team des Manhattan Project rund um Oppenheimer (Cillian Murphy) die Bombe beim ersten Test in der Wüste von New Mexico.
„The Gadget“ nannte das Team des Manhattan Project rund um Oppenheimer (Cillian Murphy) die Bombe beim ersten Test in der Wüste von New Mexico.

© Universal Pictures

Oppenheimer und wie er die Welt sah, so beginnt schon der Film. Was lässt sich zeigen vom Spektakel in seinem Kopf, von Oppenheimers Erfindergeist, den Gedankenblitzen, Fantasmagorien und Horrorvisionen? Regentropfen, die in der Pfütze Kreise schlagen, Feuersbrünste, Explosionen ... Und nein, kein Bild von Hiroshima und Nagasaki, keiner der mehr als 200.000 Toten.

„Nur“ die Verstrahlung in Oppenheimers Blick und ein verkohlter Torso zu seinen Füßen, als alle ihm nach dem gelungenen Test zujubeln. Das genügt. Er weiß jetzt, seine Hoffnung, dass mit der Erfindung der Atombombe jeder Krieg undenkbar würde, war ein fataler Trugschluss.

Nolan hat das Drehbuch in Ich-Form geschrieben, nach Kai Birds und Martin J. Sherwin Biografie „American Prometheus: The Triumph and Tragedy of J. Robert Oppenheimer“ über den in Nolans Augen „wichtigsten Mann, der je gelebt hat“. Der britische Regisseur, Jahrgang 1970, der seit seinen Batman-Filmen und mit Erfolgstiteln wie „Inception“, „Interstellar“, „Dunkirk“ und eben „Tenet“ als Meister des virtuosen Spiels mit Zeitdimensionen und Perspektiven gilt, stellt seine Kunst der Fragmentierung, Verwirbelung und Atomisierung des Plots diesmalvor allem in den Dienst von Oppenheimers Blick. Und in den Dienst forschender, redender, streitender Männer. „Oppenheimer“ ist Nolans erster Talking-Heads-Film.

100.000
Menschen waren nach den Abwürfen von „Little Boy“ und „Fat Man“ am 6. und 9. August 1945 in Hiroshima und Nagasaki sofort tot. Alleine bis Ende 1945 kamen 130.000 weitere hinzu.

Mit einer Riesencrew. Wer mit den Protagonisten des Manhattan Project nicht vertraut ist, verliert leicht den Überblick. Da sind Matt Damon als konservativer US-Offizier und loyaler militärischer Projektleiter Leslie Groves, Benny Safdie als aufmüpfiger Edward Teller (der lieber die Wasserstoffbombe entwickeln möchte), Robert Downey jr. als Lewis Strauss, Leiter der Nachkriegs-Atomenergiekommission und Oppenheimers perfider Widersacher. Außerdem Kenneth Branagh als Mentor Niels Bohr und Tom Conti in einer Nebenrolle als verschmitzter, moralisch integrer Albert Einstein.

Last but not least, als Sidekicks zwei Frauen: die Biologin Kitty Harrison, Oppenheimers Ehefrau (Emily Blunt), und die Psychiaterin und Kommunistin Jean Tatlock (Florence Pugh), zeitweilig die Geliebte des Physikers. Zwei für ihre Generation ungewöhnlich freiheitsliebende Frauen, die allerdings schwer mit den gesellschaftlichen Konventionen der Zeit zu kämpfen hatten.

Die Kommunistin und der Liberale: Jean Tatlock (Florence Pugh) und Oppenheimer (Cillian Murphy).
Die Kommunistin und der Liberale: Jean Tatlock (Florence Pugh) und Oppenheimer (Cillian Murphy).

© Universal Pictures

Nolan wäre nicht Nolan, wenn er nicht wenigstens drei Zeitebenen ineinander verschränkte, trotz des komplexen Ensembles. Zum einen Oppenheimers Karriereanfänge in Cambridge, Göttingen und Berkeley, seine Zeit als psychisch instabiler Womanizer, Dilettant im Labor, aber genialer Theoretiker. Zum anderen die Jahre des Manhattan Project in Los Alamos – bei der Errichtung der Wüstenstadt für 4000 Wissenschaftler und Militärs zeichnet der Film die Männer als Pioniere einer New Frontier, als Westernhelden. Schließlich ein tagelanges internes Verhör sowie ein Untersuchungsausschuss in den Fünfzigerjahren.

Die McCarthy-Ära ist in analogem, auf „alt“ getrimmtem und dennoch brillantem 65-Millimeter-Schwarzweiß gedreht. Das gibt den Szenen einen dokumentarischen, aber auch befremdlichen Anstrich, erhellen sie doch die andere Ungeheuerlichkeit dieser true story. Dank Oppenheimer konnte Amerika den Zweiten Weltkrieg gewinnen, lud aber auch gewaltige Schuld auf sich.

Dieses Schuldbewusstsein verkörperte Oppenheimer geradezu. Im Film sagt er beim Besuch im Weißen Haus, dass Blut an seinen Händen klebt. Präsident Truman poltert zurück: Das Blut klebe immer noch an seinen eigenen Händen, denen des Politikers. Truman macht das gar nichts aus.

Robert Downey jr. als Lewis Strauss, der nach dem Krieg die Atomenergie-Kommission leitete und Oppenheimer erfolgreich diffamierte.
Robert Downey jr. als Lewis Strauss, der nach dem Krieg die Atomenergie-Kommission leitete und Oppenheimer erfolgreich diffamierte.

© Universal Pictures

Der Retter der USA als Feind der USA? Der liberale Demokrat Oppenheimer wurde der Nähe zum Kommunismus und der Spionage für die Russen bezichtigt. Dass er die Entwicklung der noch zerstörerischeren Wasserstoffbombe aus moralischen Gründen ausbremste, wurde ihm als Sabotage ausgelegt.

Lewis Strauss, der sich in Wissenschaftskreisen ohnehin nicht ernst genommen fühlte, führte die Kampagne an. Auf die Bombe folgte ein Vernichtungskrieg der Worte. Diffamierungen, Intrigen, Abhöraktionen, zerstörerische Gerüchte, Freundesverrat – und noch mehr Talking Heads.

So ist „Oppenheimer“ auch das erste Nolan-Werk mit unmissverständlicher Message. Zum einen als mahnende Erinnerung: Das Einkassieren von Oppenheimers Sicherheitsberechtigung 1954 und damit sein Ende als atompolitischer Akteur wurde erst Ende 2022 vom US-Energieministerium annulliert, 55 Jahre nach seinem Tod. Zum anderen als Menetekel: In Interviews zum Film warnt Christopher Nolan vor dem unkontrollierten Einsatz der Künstlichen Intelligenz.

K.I. und die Bombe, sagt er, seien nicht dasselbe, aber beide würden als gottähnlich angesehen. Nichts gegen mächtige Werkzeuge, „aber der Mensch, der sie benutzt, muss die Verantwortung dafür übernehmen“, so Nolan. Oppenheimer, das zeigt sein 180-Minuten-Epos, hat sie zu spät übernommen.   

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