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Superband. Tony Allen, Ernest Ranglin (Mitte) und Courtney Pine spielen beim Auftakt des Festivals "Wassermusik: Die andere Karibik" im Haus der Kulturen der Welt.

© Thilo Rückeis

Wassermusik-Festival: Der lässige Meister

Reggae-Gründervater Ernest Ranglin eröffnet das Wassermusik-Festival im Haus der Kulturen der Welt: "Die andere Karibik".

Über die Musik aus der Karibik lässt sich eine Menge erzählen. Neben all dem Einfluss auf westliche Produktionstechniken und diesem einzigartigen Rhythmusgefühl kann man dabei auch feststel­len, das es der Gegend nie an großartigen Musikern gemangelt hat. Bevor beim diesjährigen Wassermusik-Festival im Haus der Kulturen der Welt unter dem Motto "Die andere Karibik" vor allem Musikstile vorgestellt werden, die ein wenig in den Hintergrund geraten sind, haben sie sich für die Eröffnung einen legendären Reggae-Gründervater auf die Bühne geholt: Ernest Ranglin, einer, der von Anfang an dabei war und mit seiner Gitarre so ziemlich jede musikalische Strömung Jamaikas mitgeprägt hat - vom Mento über Ska und Rockstady bis zum Dub-Reggae. Als Arrangeur im Hause Coxsone spielte er mit allen großen Namen dieser Zeit, mit den Skatalites, Prince Buster, Lee Perry oder Bob Marley. Seine Gitarre war ebenso auf Millie Smalls Smash-Hit „My Boy Lollipop“ wie auf dem Soundtrack von "James Bond jagt Dr. No" zu hören, neben unzähligen anderen Aufnahmen und den jazzigen Solo-Alben, die er seit 1959 eingespielt hat.

Heute ist Ranglin 84 Jahre alt und leider hat er beschlossen das Tourgeschäft aufzugeben. Dabei ist er noch fit, sieht gut aus und spielt überragend. Bei seiner Abschiedstournee wird er von einer zauberhaften Supergroup begleitet: Am Schlagzeug sitzt kein Geringerer als Tony Allen, der nigerianische Afrobeat-Pionier, der sich an der Seite von Fela Kuti zum Zeremonienmeister nicht enden wollender Trance-Beat-Grooves getrommelt hat und auch schon schlappe 75 Jahre alt ist. Dazu kommt der Sufi-Sänger Cheikh Lô (57), der seit über 20 Jahren zu den populärsten Sängern des Senegals gehört, der Londoner Saxofonist Courtney Pine (52), der auch jamaikanisches Blut in den Adern hat und zu den Koryphäen des britischen Jazz zählt, der ebenfalls in London beheimatete Latin-Jazz-Pianist Alex Wilson (44), der bereits Bühnenpartner von Wynton Marsalis und Hugh Masekela war, sowie der Amerikaner Ira Coleman (60) am Kontrabass, der schon für Sting, Wayne Shorter oder Herbie Hancock spielte und mit Helge Schneider auf Tour war. Sechs Männer, die zusammen 372 Jahre Musikgeschichte auf die Bühne bringen und nun in entspannter Konzentration einer Musik huldigen, nach der irgendwann die ganze Welt zu tanzen begann und bis heute nicht damit aufhören mochte.

Diese Musik swingt ungemein und ist trotzdem die ungehetzteste Musik aller Zeiten

Zuweilen nähern sie sich dabei dem Jazz an, dann wieder dem Reggae, Calypso, Salsa, Afro-Beat und in ganz besonderen Momenten einfach der schönen Tradition gemeinsamer Jamsessions. Sie spielen Ranglins Klassiker "Surfin'", "Below The Bassline" und "Ball Of Fire", aber auch "Balbalou" von Cheikh Lô, der dazu an die Gitarre wechselt und mit seiner wundervollen Gänsehautstimme das Publikum hypnotisiert. Später setzt er sich für zwei weitere Songs an Allens Schlagzeug. Meistens spornt er aber seine Mitstreiter mit kurzen Wirbeln auf den Timbales-Trommeln zu neuen Höchstleistungen an. Eine schöne Ergänzung zum ultracoolen Schlagzeugspiel von Tony Allen, der eine unendliche Gelassenheit ausstrahlt, wenn er die eindringlichen Schunkel-Melodien und satt bekannten Riddims mit ungeraden Doppelschlägen auf Bass- und Snaredrum betont und dabei stets die Spannung am Köcheln hält.

Ein anrührender Abend mit der Reggae-Legende Ernest Ranglin

Derweil passt Ira Colemann am Kontrabass auf, das nichts davonfliegt, wenn sich der großartige Courtney Pine mit wilden Knattersoli auf dem Tenorsaxofon oder Akai-EWI-Blassynthesizer fast das Hirn rausbläst und Wilson an den Rändern kleine Tastenfeuer entfacht. Im Mittelpunkt stehen aber die unglaublich feinen Quakkelsoli vom quicklebendigen Ranglin, der sich bei aller Lässigkeit des Materials eine hitzig-jazzige Musikalität bewahrt hat und mit der Akkuratesse, mit andere Leute einen Apfel schälen, die afro-amerikanischen Wurzeln des Reggae freilegt. Seine Augen beginnen zu leuchten, der Mund lächelt, wenn die Finger die Möglichkeiten des eingeschränkten Formats ausloten. Dabei zeigt sich einmal mehr, das die lakonische Wucht hinter seinem Spiel noch nicht verbraucht ist, sein Gefühl für den zarten Akzent, den bedachtsam gesetzten Tupfer, immer noch intakt. Und seine welke Ruhe ist von Adel, anders als die Lebhaftigkeits-Persiflagen so vieler anderer, die sich als Greise der Jugend aufbürden und sich dabei einen Bruch heben.

Das Konzert gehört zum Anrührendsten und Wunderbarsten, was einem zum Abschied einer Legende vorgeführt werden kann. Auch weil zum Tragen kommt, was schon Ranglins Auftritt im HKW vor vier Jahren so besonders gemacht hat: Die Gnade, diesen Jahrhundertmusiker noch einmal erleben zu dürfen. Wie er in sich gekehrt den Tönen nachforscht und der inneren Musik den Weg nach außen öffnet. Nenn es Jazz, Ska, Reggae, Calypso-Surf oder karibischer Western. Diese Musik swingt ungemein und ist trotzdem die ungehetzteste Musik aller Zeiten. Echtes Dope. Die allerfeinste Sorte, angenehm würzig, lecker aromatisch, intensiv stimulierend, mit enormer Wirkung, ohne zu ermüden. Und Ranglin, der uns von der Bühne verschmitzt anblinzelt, scheint zu sagen: "Nimm dir was davon, es wird dir schmecken! Greif nochmal zu, bevor ich endgültig weg bin."

Wassermusik bis zum 30.7., weitere Infos unter www.hkw.de

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