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Lebt in Israel. Micha Ullman, 77.

© IMAGO

Der Künstler Micha Ullman und der israelische Zoll: Eine Ladung Salz wird zum Streitgrund

Er wollte an einer Ausstellung in Jerusalem teilnehmen. Doch sein Material, eine Tonne Salz, hängt bis heute im Zoll fest. Könnte ja Sprengstoff draus werden. Eine Posse, nicht ganz unpolitischer Art.

Es geht um Salz. Um einen großen Sack Salz. Seit Oktober steht eine Tonne deutsches Salz beim Zoll in Israel und macht Ärger. Aus dem Salz wollte der israelische Künstler Micha Ullman – in Berlin vor allem durch sein Bücherverbrennungs-Mahnmal auf dem Bebelplatz bekannt – ein Kunstwerk schaffen. Doch dazu kam es nicht, weil der israelische Zoll das Material nicht freigibt. Das deutsche und das israelische Außenministerium sind involviert, die evangelische Kirche, Künstler, Ausstellungsmacher – doch der Sack kommt nicht vom Fleck. Eine Posse? Ein Missverständnis? Vielleicht stecken auch politische Gründe dahinter.

Der Reihe nach: Die jüdische Familie des Künstlers Micha Ullman lebte im thüringischen Dorndorf. Dort wurde Salz abgebaut, auf alten Familienfotos sieht man die weißen Kaliberge, erzählt Micha Ullman. 1933 floh die Familie vor den Nazis nach Tel Aviv. 2011 erinnerte der Künstler mit einer Installation aus schwarzem Basalt und weißem Salz im Lindenau-Museum im thüringischen Altenburg an die Familiengeschichte. Ein „Haufen“ Basalt und ein „Haufen“ Salz in Form eines kleinen Vulkantrichters und eines Kegels standen sich gegenüber.

Anfang November wollte Ullman seine Installation auf Reisen schicken – in die evangelische Erlöserkirche in Ostjerusalem. Sie sollte Teil der Ausstellung „Sein.Antlitz.Körper“ werden und damit eines Ausstellungszyklus, der im März 2016 in mehreren evangelischen und katholischen Kirchen in Berlin seinen Auftakt genommen hatte. Internationale Künstler waren eingeladen, sich mit den jeweiligen Kirchenräumen auseinanderzusetzen.

Das Salz sollte eine Verbindung zwischen Israel und Deutschland herstellen

Die Schau, finanziell unterstützt von Kulturstaatsministerin Monika Grütters, eröffnete im Berliner Dom und endete im Dezember in der Jerusalemer Erlöserkirche. Beide Kirchen waren vor 100 Jahren zu Ehren von Kaiser Wilhelm II. erbaut worden; und den Künstlern stand es offen, sich auch mit dem Wilhelminischen Erbe auseinanderzusetzen.

Für den Berliner Dom schuf Micha Ullman eine Bodenskulptur, in der sich im Negativabdruck zwei „Häuser der Religion“ an den Dachfirsten berühren. Die Installation für die Erlöserkirche sollte die Familiengeschichte aufnehmen und durch Salz aus Thüringen und Basalt vom Golan eine Verbindung zwischen Deutschland und Israel herstellen. Doch dazu kam es nicht.

Das Salz traf zwar am 25. Oktober in Israel ein. Doch die israelische Seite sah immer neue Probleme; die Zollbehörde gab die Lieferung nicht frei. Mal mangelte es an Sprachkenntnissen, dann fehlte eine Vollmacht oder die von der Kirche gezahlte Einfuhrsteuer erschien der Behörde zu niedrig. Schließlich wurden Sicherheitsbedenken geäußert: Kalisalz eigne sich zur Herstellung von Sprengstoff, hieß es, das Material müsse genauer untersucht werden.

Salz und Basalt. "Bergwerk" heißt Micha Ulmans Skulptur, die er 2011 im Lindenau-Museum zeigte.
Salz und Basalt. "Bergwerk" heißt Micha Ulmans Skulptur, die er 2011 im Lindenau-Museum zeigte.

© Jürgen Pietzsch

Der 7. November verstrich, bis dahin wollte Ullman das Salz in der Kirche haben, fünf Tage vor der Eröffnung am 12. November. Die Ausstellungsmacher, die Kirchenleute und die deutsche Spedition lieferten Erklärung auf Erklärung. Doch das Salz kam einfach nicht frei. Micha Ullman bot an, Rede und Auskunft zu stehen, es half nichts. Auch die deutsche Botschaft in Israel konnte nichts ausrichten.

„Ich gehe davon aus, dass das eine bewusste Behinderung unserer Arbeit ist und eine gezielte Provokation von israelischer Seite“, sagt Ullmans Berliner Galerist Alexander Ochs. Der renommierte Ausstellungsmacher vermutet politische Gründe der nationalkonservativen Regierung Benjamin Netanjahus dahinter. Die Erlöserkirche in Ostjerusalem und die Ausstellung stehen unter dem Generalverdacht, zu palästinenserfreundlich zu sein, meint Ochs. Die Kirche habe viele Kontakte zu palästinensischen Christen in Bethlehem und anderswo im Westjordanland. Das sei der Regierung suspekt.

Immer wieder wurde Vertretern kirchlicher Organisationen in letzter Zeit die Einreise nach Israel verwehrt. Mitarbeiter des Ökumenischen Rates der Kirchen in Genf durften nicht zu einer Tagung nach Bethlehem kommen, und auch der Präsident der katholischen Friedensbewegung Pax Christi musste erfahren, dass er in Israel eine „unerwünschte Person“ ist. Er vermutet, dass es daran liegt, dass Pax Christi mit der Kampagne „Besatzung schmeckt bitter“ für eine Kennzeichnungspflicht von Obst und Gemüse aus israelischen Siedlungen in besetzten Gebieten wirbt. Eine solche Kennzeichnungspflicht hat auch die EU-Kommission beschlossen. Pfarrer in Jerusalem berichten zudem von einer „aggressiv aufgeladenen Atmosphäre“. Es komme sogar vor, dass sie von ultraorthodoxen Juden angespuckt werden, wenn sie sich auf der Straße mit Kreuz über dem Talar zeigten.

Israels Außenminister weist die Vorwürfe zurück

„Es entsteht der Eindruck, dass es mit der Kunst- und Religionsfreiheit in Israel zunehmend schwierig wird“, sagt Johann Hinrich Claussen, Kulturbeauftragter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Die Gründe, weshalb das Salz von der israelischen Zollbehörde nicht freigegeben wird, hält er für „vorgeschoben und nicht nachvollziehbar“. Es sei sehr bedauerlich, dass Micha Ullmans Kunstwerk nicht zustande kommen konnte. „Denn gerade Ullmans zarte, sensible Interventionen machen die befreiende, lösende Kraft von Kunst sichtbar“, sagt Claussen.

„Ich hatte mich über die Einladung der Erlöserkirche gefreut, dort eine Installation zu realisieren“, sagt Micha Ullman. Jerusalem ist und bleibt für ihn die „Stadt der drei Religionen“. Er freue sich über jeden Dialog mit christlichen Palästinensern. Dass sein Werk dort nun nicht möglich war, sei schade für die Kunst.

Für Israels Außenministerium ist die ganze Sache „ein großes Missverständnis“. „Salz ist eben nicht gleich Salz“, sagt Ministeriumssprecher Emmanuel Nachschon. „Salz kann man auf die Pizza streuen. Mit Salz kann man aber auch Sprengstoff herstellen.“ Die deutsche Botschaft in Tel Aviv und die israelische Botschaft in Berlin hätten die Salzlieferung gemeinsam planen müssen, um Verzögerungen zu verhindern. Dass es sich um eine bewusste politische Behinderung oder gar Provokation handeln könnte, weist Nachschon zurück. „Das hat nichts mit Politik zu tun, auch nichts mit Micha Ullman, sondern nur mit schlechter Koordination.“

Die Sache bleibt rätselhaft

Die Ausstellung in der Erlöserkirche schloss am 18. Dezember ihre Pforten. Alle Beteiligten wollen seitdem nur noch, dass das Salz vernichtet oder zurückgeschickt wird. Seit zwei Wochen arbeiten die deutsche Botschaft und das israelische Außenministerium „mit Hochdruck an einer Lösung“, heißt es. Und doch bewegt sich nichts. Im November sei von angefallenen Lagerkosten von über 1000 Euro die Rede gewesen, so Alexander Ochs. Ob nun tatsächlich Lagerkosten anfallen und wenn ja, auf welche Summe sie sich jetzt belaufen, das kann niemand sagen.

Die israelische Zollbehörde will überhaupt erst vor zwei Wochen von der Salzproblematik erfahren haben. „Mit uns hat nie jemand vorher gesprochen“, beteuert die Sprecherin. Aus einem internen Briefwechsel über den Vorgang geht allerdings hervor, dass die Zollbehörde involviert ist, seitdem die Lieferung im Oktober israelischen Boden erreichte. Also alles ein großes Kommunikationsproblem?

„Es spricht nichts dagegen, dass Salz zu vernichten oder zurückzuschicken“, sagt die Sprecherin der Zollbehörde. „Wir würden ja gerne helfen. Doch wir können nichts tun. Niemand hat den Zoll offiziell darum gebeten.“

Die Sache bleibt rätselhaft. „Aus künstlerischer Sicht ist der Vorgang sehr interessant“, sagt Alexander Ochs. Durch die Kunst werde ein politischer Konflikt sichtbar, für den wiederum die Kunst verantwortlich gemacht wird. So gesehen wurde der Sack Salz am Ende zwar nicht zur Installation, aber Teil eines Konzeptkunstwerks ist er allemal geworden.

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