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Auf dem Podium (v.r.): Volker Weichsel, Sasha Marianna Salzmann, Sergei Loznitsa (hinter ihm die Ukrainisch-Übersetzerin), Jeanine Meerapfel. Online: Svetlana Lavochkina.

© Marcus Lieberenz/bildbuehne.de

Diskussion in der Akademie der Künste: Der Krieg und die Künste

Wir haben keine Worte – oder sind sie wichtiger denn je? Wie Kulturschaffende auf den Ukraine-Krieg reagieren: ein Podium in der Berliner Akademie der Künste.

Was können Künstler und Künstlerinnen im Krieg tun? Verschlägt es den Schriftstellern die Sprache oder sind gerade sie zur Zeugenschaft aufgefordert, damit die Wahrheit nicht stirbt? „Wir haben keine Worte“, sagt Jeanine Meerapfel, Filmemacherin und Präsidentin der Berliner Akademie der Künste, die zur Podiumsdiskussion über die Ukraine geladen hat. Gleichzeitig muss das Geschehen in der Ukraine beim Namen genannt werden – Krieg, Genozid, ethnische Säuberung –, um der russischen Propaganda von der angeblichen „De-Nazifizierung“ des Nachbarlands Einhalt zu gebieten.

Dieses Paradox, dieses Dilemma ist Thema am Dienstagabend in der Akademie am Pariser Platz.

„Art is a space“, sagt Sasha Marianna Salzmann: "Ich bin auch dann Schriftsteller*in, wenn ich gerade nicht schreibe." Salzmann kümmert sich stattdessen derzeit um Geflüchtete. Auch die per Video zugeschaltete ukrainische, in Leipzig lebende Autorin und Übersetzerin Svetlana Lavochkina unterrichtet in diesen Tagen lieber: Der Krieg zwinge sie in ein Narrativ, das sie hasst.

Er habe ja nicht erst jetzt begonnen, auch nicht erst 2014 mit der Annexion der Krim. Schon als sie 2007 ihre Tante in Moskau besuchte, bemerkte sie die Korrosion der russischen Sprache, einen subtilen kulturellen Wandel.

Der Dokumentarfilmer Sergei Loznitsa („Donbass“, „Maidan“) spricht ukrainisch auf dem Podium und wird ins Englische übersetzt, er geht noch weiter zurück. Der Prozess, an dessen Ende Putins aggressiver Imperialismus steht, habe 1917 mit dem Kollaps des russischen Reichs begonnen. Der Westen habe es vor allem versäumt, die liberalen und demokratischen Kräfte Anfang der 1990er Jahre zu unterstützen.

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„Es gibt eine direkte Verantwortung der Europäer für diesen Krieg“, so Loznitsa, „darüber müssen wir reden.“ Es wird dann aber nicht darüber geredet, schon gar nicht über mögliche Konsequenzen aus dieser Verantwortung wie einen direkten Kriegseintritt der Nato.

Per Video zugeschaltet. Die Übersetzerin und Autorin Svetlana Lavochkina. Rechts Akademie-Präsidentin Jeanine Meerapfel.
Per Video zugeschaltet. Die Übersetzerin und Autorin Svetlana Lavochkina. Rechts Akademie-Präsidentin Jeanine Meerapfel.

© Marcus Lieberenz/bildbuehne.de

Ein eigentümliches Spannungsfeld tut sich auf bei dem von der Übersetzerin Claudia Dathe moderierten Panel. Die Männer, neben Loznitsa der Politikwissenschaftler Volker Weichsel, reden vor allem über Politik. Etwa darüber, dass Europa Putin gewähren ließ und die Ukraine den Preis dafür zahlt, dass wir im Wohlstand leben, mit billiger Energie. Es müsse, so Weichsel, Klarheit herrschen, über Fakten, Bilder, Worte. „Brücken bauen“ sei jetzt die falsche Devise: „Wenn sie über die Brücke kommen, fressen sie dich auf,“ sagt Loznitsa.

Im Februar ist er aus der Europäischen Filmakademie ausgetreten, weil er deren Reaktion auf den russischen Überfall zu lasch fand. Dann kritisierte er öffentlich deren späteren pauschalen Boykott russischer Filme. Inzwischen hat die Ukrainische Filmakademie ihn ihrerseits ausgeschlossen: Loznitsa sei zu wenig Ukrainer, er nenne sich „Kosmopolit“.

Funktioniert die Katharsis der Kunst? Sasha Marianna Salzmann ist skeptisch

Salzmann und Lavochkina bleiben meist bei der Kunst. Sie warnen vor simplen Freund-Feind-Schemata und weisen auf Werke hin, die zum Beispiel mit den Mitteln der Musik von Flucht und Krieg erzählen. Svetlana Lavochkina versteht sich nicht zuletzt als Hüterin eines durch den Krieg gefährdeten spirituellen Raums und der Menschlichkeit. „Der Krieg ist ein großer Katalysator auch für die Kunst und die Sprache“, sagt sie. „Wir können dem nachgeben oder uns widersetzen.“

Das Beharren der russischen Operndiva Anna Netrebko darauf, sie sei „nur“ Künstlerin, bezeichnet Sasha Marianna Salzmann als Unsinn. Künstler seien so wenig unpolitisch wie Körper. Sie richteten sich an ein Publikum, sie entäußern sich, interagieren. Was also tun angesichts des Krieges?

Loznitsa hat darauf eine pragmatische, strategische Antwort. In der Kunst könnten wir in Friedenszeiten für den Ernstfall trainieren, uns in die Lage anderer versetzen, zum Beispiel der Opfer von Angriffen. Salzmann ist skeptisch, was die berühmte Katharsis nach der fiktiv durchlebten Katastrophe betrifft. Kann sie nützen im wirklichen Leben?

Ein Richter am Internationalen Gerichtshof in Den Haag sei einmal gefragt worden, wie er das aushalte, die Berichte von Gräueltaten jeden Tag. Seine Antwort: Er schaut sich im Museum Vermeer an. Wenn es darum geht, wie die Kunst sich in Kriegszeiten engagieren kann, gilt es auch das zu verteidigen: die politisch-unpolitische Sphäre der Schönheit.

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