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Regisseur Lorenzo Vigas erhielt den Goldenen Löwen für seinen Film „Desde allá“ - damit ging erstmals ein Hauptpreis eines der drei weltwichtigsten Filmfestivals an Venezuela.

© Onorati/dpa

Filmfestival Venedig: Der Goldene Löwe geht nach Venezuela

Lido-Lichtspiele (Finale): Der Film "Desde allá" des Regisseurs Lorenzo Vigas erhält die höchste Auszeichnung beim Filmfest Venedig

So leger geht es am Abschlussabend weder bei der Berlinale zu noch in Cannes. Die Löwen-Gala des Filmfests Venedig wird live auf die Open-Air-Leinwände vor dem Palazzo del Cinema übertragen, man sitzt mit Sekt im Pappbecher auf der Wiese, während die Dämmerung über der Adria langsam der Dunkelheit weicht. Aus einem der Strandpavillons wummert Partymusik, als der Goldene Löwe verkündet wird. Er geht nach Venezuela, an „Desde allá“ (Von weitem). Eine Weltpremiere: Noch nie ging ein Hauptpreis eines der drei weltwichtigsten Filmfestival an das südamerikanische Land.

Die auf der Wiese versammelten Festivalbesucher reagieren gespalten. Eine mutige Jury-Entscheidung, sagen die einen. Ein Fehler, dass Amos Gitais „Rabin, The Last Day“ leer ausgeht, meinen die anderen.

Lorenzo Vigas' „Desde allá“ erzählt von Homosexualität in einem homophoben Land, von verzweifelter, in der Kindheit traumatisierter  Sehnsucht, von der Gewalt und der Einsamkeit, die daraus hervorgeht. Seine Protagonisten: ein älterer Zahntechniker und ein Straßenjunge. Jeder macht auf seine Weise vom anderen Gebrauch, bis die Zweckbeziehung in so etwas wie Liebe umschlägt – und in den Verrat. Ein Film mit gezielten Unschärfen: Auch die Kamera macht es sich nicht leicht mit Distanz und Nähe.

Die Jury unter Leitung von „Gravity“-Regisseur Alfonso Cuarón, der unter anderem die Schauspielerinnen Diane Kruger und Elizabeth Banks sowie die Regisseure Nuri Bilge Ceylan, Hou Hsiao-hsien und Pawel Pawlikowski angehörten, hat sich konsequent für die kleineren, intimeren Filme entschieden, für Kammerspiele, Familiendramen, Menschengeschichten. Der Silberne Regie-Löwe als zweitwichtigster Preis in Venedig geht an Pablo Traperos Familien-Thriller „El Clan“: „Die Sopranos“ auf argentinisch, nach der wahren Geschichte des Gangsterclans Puccio. Den Großen Preis der Jury gewinnt Charlie Kaufmans und Duke Johnsons amerikanischer Puppen-Animationsfilm „Anomalisa“, eine charmant-melancholische Feier des Andersseins in einer Welt, in der alle gleich aussehen.

Auch die beiden Coppe Volpi für die besten Schauspieler gehen ans Autorenkino: an Valeria Golino als neapolitanische Familienmutter in „Per amor vostro“ – Jubel im Saal, wenigstens einer von vier italienischen Wettbewerbsfilmen wird ausgezeichnet – und ihren französischen Kollegen Fabrice Luchini. Ein Höhepunkt der Gala: Luchini wird per Skype von fernen Dreharbeiten zugeschaltet, sieht in gefütterter Jacke und mit dickem Schal genauso konsterniert und erkältet aus wie als Gerichtspräsident in „L’hermine“. Auch seine Begeisterung über den Preis rezitiert er so resolut  und obsessiv, wie er im Film einer Gerichts-Jurorin seine Liebe erklärt. Schöner Moment. Regisseur Christian Vincent wird obendrein mit dem Drehbuchpreis geehrt. Zu Recht, gelingt es ihm doch, im Gerichtssaal und bei den Jury-Debatten einen Mikrokosmos der französischen Gesellschaft zu entwerfen, mit feinem Gespür für soziale Differenzen.

Mit weiteren Auszeichnungen für die türkische Gewaltstudie „Abluka“ (Spezialpreis) und den von Netflix vertriebenen Kindersoldaten-Film „Beasts of No Nation“ (Premio Mastrioanni für den Nachwuchs-Schauspieler Abraham Attah) rundet die Jury ihr Plädoyer für Indie-Produktionen ab.  Dennoch stachen aus all den sehenswerten Autorenfilmen dieser 72. Mostra die beiden dokumentarischen Wettbewerbs-Beiträge deutlich hervor. Gitais Dokufiction über die Ermordung Itzhak Rabins 1995 und der chinesische Dokumentar-Essay „Behemoth“ über die Zerstörung der Inneren Mongolei durch gigantische Tagebau-Reviere erschütterten die Zuschauer am Lido, wegen ihrer politischen Brisanz und ihrer visuellen Kraft. „Rabin“ und „Behemoth“ werden bleiben von diesem Venedig-Jahrgang. Dass sie leer ausgehen, ist am Ende dieser gelungenen Mostra dann doch ein Ärgernis.

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