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Hyperreal. Avatar aus Ed Atkins' Video "Warm, Warm, Warn Spring Mouths" von 2013.

© Courtesy Ed Atkins

Post-Internet Künstler Ed Atkins: Der Bilderschreiber

Ed Atkins ist ein Star der Post-Internet-Szene. Der Videokünstler hat jetzt mit „A Primer for Cadavers“ sein erstes Buch veröffentlicht. Eine Begegnung.

Ed Atkins auf eine Aussage festlegen, schwierig. Es ist Nachmittag, der britische Videokünstler sitzt im Café Einstein in Mitte, ein Glas Weißwein vor sich. „Ich sollte das Richtige sagen, oder?“, fragt er und lacht. „Aber was ist das, das Richtige?“ Atkins wird darauf immer wieder zurückkommen. Das Verhältnis von Aussage und Wahrheit ist kompliziert für ihn. Dinge sind widersprüchlich. Er selbst ist widersprüchlich.

Dafür liebt man Atkins, seine Kunst. Das Paradox liegt schon im Material – oder zumindest darin, wie er damit arbeitet. Atkins erschafft computergenerierte, hyperreale Bildwelten. Aber nicht um einzutauchen, sondern das Gegenteil. Der Bruch, das Limit interessiert ihn. Damit ist der 34-Jährige unter dem Signum der „Post-Internet-Artists“ zu einem Star der jungen Künstlerszene geworden – mit Solo-Ausstellungen in der Tate Britain in London, dem PS1 vom MoMA in New York, dem Stedelijk in Amsterdam und dem Palais de Tokyo in Paris. Tatsächlich kann der Künstler mit dem Begriff „Post Internet“ wenig anfangen. Aber, sagt er: „Wenn ich aufschreiben sollte, worum genau es sich bei dieser Kunst handelt, wäre es wohl ein einziges Chaos.“

Das Buch ist sein heimlicher Stolz

Schreiben, darum geht es auch an diesem Nachmittag. Atkins, der seit über einem Jahr mit seiner Freundin in Berlin lebt, hat gerade mit „A Primer for Cadavers“ sein erstes Buch veröffentlicht. Es ist ein 463-seitiges Kompendium seines bisherigen künstlerischen Schaffens. Eine atemlose, dadaistisch-düstere Poesie, getragen von dem absurden Sound, den man aus seinen Videoarbeiten kennt. Das Buch ist sein heimlicher Stolz, wie er erzählt. „Es ist merkwürdig: Aber von all den Dingen, die ich bisher gemacht habe, bedeutet es mir am meisten.“ Tatsächlich, sagt er, sei er kein großer Kunstliebhaber. Inspiration suche er lieber beim Film als in Ausstellungen, mehr noch in der Literatur. Auch deshalb sei ihm das Buch so wichtig: Er sei jetzt nicht mehr bloß, wie er selbstironisch kommentiert, dieser „Typ, der komische, animierte Videos für Galerien produziert“, er werde nun auch als Autor wahrgenommen.

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Eigentlich ist bei Atkins beides nicht voneinander zu trennen: Viele Texte des Sammelbandes sind Grundlagen seiner Videoarbeiten. „Ich mache selten Skizzen oder Zeichnungen, wenn ich ein Projekt plane. Ich denke nicht in Bildern. Die Sprache ist bei mir der Ausgangspunkt.“ Immer wieder lehnt sich der Künstler aus der gepolsterten Sitzecke nach vorne, krempelt die Ärmel hoch, gestikuliert mit den Händen, um seine Worte auch körperlich auszudrücken. „Es kann ein Satz sein, eine Metapher“, er hält inne, zieht an seiner violetten E-Zigarette und fährt dann fort: „Oder auch nur der Klang, das Gefühl von etwas, ein Rhythmus.“

Anfangs ist die Beziehung zwischen Text und Bild eher linear, wie in einem seiner ersten Videos „A Primer for Cadavers“ von 2011, nach dem Atkins auch das Buch benannt hat. Über 18 Minuten hinweg ist ein Hinterkopf zu sehen, darüber spricht Atkins seinen geschriebenen Text.

Bildwelten werden komplexer, experimenteller

Bald darauf beginnt der Künstler mit CGI (Computer-generated imagery) zu arbeiten. Er nutzt Avatare, erstmals sieht man Gesichter. Sie sind seine Maske, die ihm mehr Spielraum geben, denn ein Avatar ist immer ein Ersatz für etwas anderes. Die Bildwelten werden komplexer, experimenteller. Arbeiten wie „Warm, Warm, Warm Spring Mouths“ von 2013 entstehen nicht nur aus Gedichten, sie stellen selbst eine Form der multimedialen Poesie dar. Die Beziehung zwischen Text und Video wird, wie Atkins es selbst beschreibt, verschachtelter, rätselhafter. Alles wird zu Text. Atkins verwebt Sprachfragmente, Assoziationsschnipsel, Bilder, Soundfetzen in einem endlosen Spiel der Übergänge von Wörtlichkeit und Bildlichkeit. Irritation ist erwünscht. Mit einem stream of consciousness versucht er, gegen den horror vacui anzuschreiben.

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Dabei entstehen vielschichtige Bilder: Seine Avatare sitzen abgeschottet auf dem Meeresgrund, wie in einer Blase, durch die die Geräusche der Außenwelt nur in gedämpfter Form dringen. Sie vereinsamen vor einem Computerscreen oder umarmen und halten sich gegenseitig, vielleicht für das letzte Mal, vielleicht auch nur in der Vorstellung.

Der Betrachter entwickelt zu diesen künstlichen Figuren eine emotionale Nähe, die gleichzeitig hinterfragt wird. Es geht um hochkomplexe Reflexionen, postmoderne Philosophie. Was passiert, wenn die Vorstellung von Körperlichkeit sich im Digitalen auflöst, wenn wir vergessen, dass alles scheinbar Immaterielle einen materiellen Ursprung hat? Atkins thematisiert Entfremdung, Verzweiflung, Schmerz, Krankheit, Tod. Diese Motive verknüpfen, wiederholen sich, oft getragen von einem Gefühl des Verlustes und der Trauer.

Den Tod loslassen, Neues ausprobieren

Es gibt eine Verbindung. Atkins’ Vater stirbt 2009, kurz bevor er seine künstlerische Karriere beginnt. „Für mich war das ein Schlüsselmoment, der mein Nachdenken über das Verhältnis von Tod und Repräsentation anstieß, auch wenn sich meine Arbeit nicht darauf reduzieren lässt.“ Im Gespräch wird spürbar, welchen Einfluss sein Vater, selbst Grafik-Designer und Amateur-Maler, auf sein Schaffen hat. Er ist es, der dem Zwölfjährigen ein Buch des postmodernen US-Schriftstellers Donald Barthelme in die Hand drückt, eine literarische Referenz, die Atkins immer wieder betont. Der Künstler wird euphorisch, wenn er von dem Aha-Moment erzählt, als er begreift, dass er „diese merkwürdigen, imaginären Dinge, die Barthelme und andere postmoderne Literaten schreiben, nicht verstehen muss, um sie zu genießen“.

Der Videokünstler Ed Atkins
Der Videokünstler Ed Atkins

© Kate Friend

Trotz seines Erfolgs wirkt Atkins ambivalent, wenn er über seine momentane Situation spricht: Einerseits ist er stolz auf seine bisherige Arbeit, gleichzeitig möchte er sich gerne optimistischeren Themen widmen, den Tod loslassen, Neues ausprobieren. Auch deswegen ist er 2015 zunächst als Stipendiat des DAAD nach Berlin gekommen: um die Dinge zu verlangsamen, nachzudenken, mehr zu schreiben. Er wolle gemeinsam mit anderen Menschen arbeiten, hat er sich vorgenommen.

Wird ihm das gelingen? Atkins lacht. Veränderung sei schwer, er sei noch dabei. Für 2017 hat er mehrere Ausstellungsprojekte geplant, auch in Deutschland. Eines davon wird im Februar im Museum für Moderne Kunst in Frankfurt zu sehen sein, wo er an der Städelschule gerade als Gastprofessor unterrichtet. Das Format dazu hat er gemeinsam mit den Studenten erarbeitet. Es heißt Corpsing.

Ed Atkins: A Primer for Cadavers. Textsammlung. Fitzcarraldo Editions, London 2016. 463 S., 13,95 €.

Giacomo Maihofer, Camilla Geier

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