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Medien und Militär. Tony (Adel Karam) instrumentalisiert den Gerichtsprozess für eine nationale Schuldfrage.

© Alpenrepublik

"Der Affront" im Kino: Nahost-Konflikt vor Gericht

In dem libanesischen Politdrama „Der Affront“ öffnet eine juristische Bagatelle jahrzehntealte Wunden.

Von Andreas Busche

Dass der Nahe Osten ein Pulverfass ist, gehört heute zu den weltpolitischen Allgemeinplätzen. Westliche Staatsführer waren – bis zu Trumps jüngster Anerkennung von Jerusalem als Hauptstadt Israels – stets darauf bedacht, in diesem Konflikt nicht unnötig zu zündeln. Die politischen Sensibilitäten und nationalen Traumata sind auch ohne äußeres Einwirken tief in der Region und zwischen den verschiedenen Akteuren verwurzelt. „Das Wort, 'Beleidigung‘ hat seinen Ursprung im Nahen Osten“, heißt es an einer Stelle in Ziad Doueiris Politdrama „Der Affront“. Der Satz fällt vor Gericht, in einem Prozess, dessen Auslöser auf den ersten Blick banal erscheint, dessen Folgen aber immer weitere Kreise ziehen – und der bald auf die Straße übergreift.

Alles beginnt mit einer illegal angebrachten Abflussrinne am Balkon eines Wohnhauses in Beirut. Eine Gruppe von Installateuren ist damit beauftragt, die provisorischen Vorrichtungen an den Gebäuden ordnungsgemäß zu ersetzen. Doch Tony (Adel Karam), der mit seiner schwangeren Frau Shirine (Rita Hayek) in einer der Wohnungen lebt, erkennt sofort, wen er da vor sich hat. Als Yasser (Kamel El Basha) ihn bittet, die Monteure in die Wohnung zu lassen, schlägt Tony ihnen die Tür vor der Nase zu. Das Rohr, das Yasser daraufhin ohne Einwilligung am Balkon anbringt, zerschlägt Tony wütend. Auf der Straße entbrennt die erste verbale Konfrontation.

Verbale Konflikte eskalieren

Doueiri, der mit Joelle Touma auch das Drehbuch geschrieben hat, dreht die Eskalationsspirale langsam weiter. Yassers Chef weiß um die rechtliche Situation seines Vorarbeiters: Als Palästinenser ist Yassers Aufenthaltstitel unsicher, er lebt mit seiner Frau Manal (Christine Choueiri) in einem Teil von Beirut, der offiziell als Flüchtlingscamp dient, besitzt auch keine Arbeitserlaubnis. Doch der Versuch seines Vorgesetzten, in dem Streit zu schlichten, endet in einem Fiasko: Yasser verweigert die Entschuldigung, nachdem er in Tony einen Anhänger des radikalen christlichen Führers Bachir Gemayel erkannt hat. Als Tony ihn anbrüllt, dass Ariel Sharon, der als Premierminister einst den Rückzug des israelischen Militärs aus dem Gaza-Streifen anordnete, die Palästinenser wohl besser ausgelöscht hätte, platzt dem sanftmütigen Yasser der Kragen: Er verpasst dem Heißsporn ein blaues Auge. Man trifft sich vor Gericht wieder.

Die politischen Implikationen dieser schleichenden Eskalation erfordern einige Vorkenntnisse über die jüngere Geschichte des Nahen Ostens. Doueiri spielt allerdings auch mit dem Halbwissen des Publikums, denn die Leerstellen in den Dramen seiner männlichen Protagonisten – die zunächst nur als diffuse Albträume und irritierende Flashbacks durch den relativ gradlinigen Plot um ein juristisches Verfahren spuken – offenbaren erst allmählich eine tiefere Tragik, die den Trotz- und Überreaktionen der Streithähne einige Nuancen gibt.

Resonanzraum bis in den Libanonkrieg

Es sind vor allem die Frauen, die in diesem (Nahost-)Konflikt die Ultima Ratio verkörpern. Wobei Shirine es deutlich schwerer hat. Ihr Tony – mit seinen Tätowierungen schon äußerlich als harter Macker gegenüber dem stillen und 15 Jahre älteren Yasser inszeniert – bleibt bis zum Schluss die deutlich eindimensionalere Figur. Er ist eigentlich von Beginn an auf hundert und agiert wie ein Pitbull.

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Manal dagegen muss ihrem fast devoten Ehemann erst noch etwas Selbstrespekt einflößen: Vor Gericht weigert er sich zunächst, den Grund für seine Handgreiflichkeit zu Protokoll zu geben, obwohl der Richter ganz offensichtlich der Version Tonys wenig Glauben schenkt. Das Gericht spricht Yasser dennoch frei, was Proteste auf den Straßen auslöst. Die christliche Partei erklärt das Urteil zum Justizskandal und mobilisiert die Medien gegen die Palästinenser, die in den Augen vieler Libanesen noch immer von ihrem Opferstatus zehren. Irgendwann schallt die Stimme des 1982 getöteten Bachir Gemayel durch den Gerichtssaal, der in einer seiner berüchtigten Hassreden den Palästinensern den Tod wünscht. Damit öffnet Doueiri einen Resonanzraum, der bis in die Zeit des Libanonkriegs und dem nie ganz aufgeklärten Massaker an der christlichen Bevölkerung der libanesischen Kleinstadt Damur im Januar 1976 zurückreicht.

Es gibt kein Monopol auf Trauma

Das ist viel Stoff, den „Der Affront“, der nach seiner Venedig-Premiere in Libanon ebenfalls für Kontroversen sorgte, in knapp zwei Stunden durcharbeiten muss. Doueiri hat dafür die denkbar langweiligste Form gewählt: das Gerichtsdrama. Der Konflikt verläuft sogar demonstrativ durch Familien: Tony wird vom christlichen Hardliner Wajdi (Camille Salameh) vertreten, Yasser von dessen Tochter Nadine (Diamand Bou Abboud). Solche dramaturgischen Kniffe machen den historischen Plot um Trauma und Verständigung unnötig didaktisch – und leider auch filmisch völlig uninteressant, weil schwer dialoglastig. Dabei sollte die Botschaft, die Doueiri seiner Geschichte überordnet, doch auch emotional in unserer Zeit Resonanz finden: Es gibt in der heutigen Weltlage kein Monopol mehr auf Traumata.

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