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Grisham, Kürthy, Garms: Denis Scheck kommentiert die Bestsellerliste

Jeden Monat bespricht der Literaturkritiker die „Spiegel“-Bestsellerliste parallel zu seiner ARD-Sendung „Druckfrisch“. Diesmal: die Rubrik Belletristik

Literaturkritiker Denis Scheck bespricht einmal monatlich die „Spiegel“-Bestsellerliste, abwechselnd Belletristik und Sachbuch – parallel zu seiner ARD-Sendung „Druckfrisch“ (Sonntag, 22.5., 23 Uhr 35). Gäste Annie Ernaux, Fatma Aydemir

10.) John Grisham: Der Verdächtige (Deutsch v. Kristiana Dorn-Ruhl, Bea Reiter und Imke Walsh-Araya, 416 S., 24 €.)

Ein juristisches Schachspiel zwischen der Anwältin Lucy Stoltz und einem amtierenden Richter, der als Serienkiller verdächtigt wird: Wie immer besticht Grishams routiniert heruntergeschriebener Thriller durch seine Kenntnis der Feinheiten des US-amerikanischen Justizsystems. Solide Unterhaltung.

9.) Carsten Henn: Der Buchspazierer (Pendo, 224 S., 15 €)

Ein pensionierter Buchhändler und ein knapp zehnjähriges Mädchen finden für jede arme Maus die richtige Lektüre. Ein Roman ohne Sprache, der um jeden Preis warmherzig wirken will. Ich empfinde diesen Bibliokitsch eher als kaltschnäuzig.

8.) Elizabeth George: Was im verborgenen ruht (Deutsch von Charlotte Breuer, Goldmann, 800 S., 26 €.)

Elizabeth George hat für ihren 21. Roman um Barbara Havers und Thomas Lynley sorgfältig recherchiert: Es geht um eine tote schwarzen Polizistin, um Rassismus in einer nigerianischen Gemeinde Londons und um weibliche Genitalverstümmelung. „Frauen bluten, dienen, kriegen Kinder und sterben“, lässt George eine Figur in ihrem Roman sagen, „Das hat Gott nun mal so bestimmt“. Dieser Roman ist ein buchlanger Protest gegen diese Aussage.

7.) Carsten Henn: Der Geschichtenbäcker (Pendo, 256 S., 15 €.)

Eine Ballettänzerin erfindet sich mit Hilfe eines kalabrischen Bäckers als Bäckerin neu. Wäre dieses Buch eine Backware, man könnte nur Paniermehl draus machen.

6.) Ildikó von Kürthy: Morgen kann kommen (Wunderlich, 368 S., 22 €.)

Die in kurzweiligem, mitunter wirklich witzigem Plauderton verfassten Romane Ildikó von Kürthys bewegen sich zwischen Literatur und Selbsthilfe. Ein in einem Drogeriemarkt vergessenes Foto bringt das Leben der 51-jährigen Ich-Erzählerin Ruth zum Entgleisen, am Ende wird ein Fernsehstar durch eine Dogge namens Dagmar ersetzt und wir begleiten einen guten Menschen in den Tod. Nicht frei von Kitsch, aber annehmbar.

5.) Micky Beisenherz/Sebastian Fitzek: Schreib oder stirb (Droemer, 336 Seiten., 19,99 €.)

Ein Insasse einer Psychiatrie behauptet, der Entführer eines seit Monaten verschwundenen Mädchen zu sein und möchte mit dem Berliner Literaturagenten David Dolla sprechen. So die Ausgangslage dieses Thrillers, dessen Autoren sich angesichts der im Titel „Schreib oder stirb“ angesprochenen Alternative leider für ersteres entschieden haben und ihre Steinzeitprosa durch beherztem Griff zum Gagstreuer aufzumotzen versuchen.

4.) Martin Walker: Tête-à-Tête (Deutsch von Michael Windgassen, Diogenes, 400 S., 25 €.)

Dieser Serienkrimi um Bruno Courréges, Chef de police im Perigord, liest sich erstaunlich flott; es geht um einen ungelösten Mordfall aus den achtziger Jahren, moderne Techniken der Gesichtsrekonstruktion, die sogenannte Rosenholz-Dateien der Hauptverwaltung Aufklärung, also des Auslandsnachrichtendiensts der DDR – und wie immer wird dabei sehr gut gegessen und getrunken. Annehmbar.

3.) Mona Kasten: Lonely Heart (Lyx, 416 S., 18 €.)

Eine in geistfreiem Therapiesprech verfasste Liebesschmonzette zwischen der intellektuell retardierten Moderatorin einer Webradio-Show und einem Musiker. Ein Beispiel für Mona Kastens Prosa: „Ich konnte es nicht glauben. Ich konnte es einfach nicht glauben. Scarlet Luck, meine absolute Lieblingsband, hatte tatsächlich zugesagt, als Gast in meine Show zu kommen.“ Der Text hält dieses Niveau keineswegs durchgängig. Ich bin fassungslos, dass in der Bundesrepublik des Jahres 2022 so peinlicher Hirnkleister erscheint.

2.) Bonnie Garmus: Eine Frage der Chemie (Deutsch von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann, Piper, 464 S., 22 €.)

Jetzt wird es Zeit für ein enthusiastisches Lob: Dieser Debütroman vereinigt Tiefgang mit Witz! „Eine Frage der Chemie“ ist ein feministischer Unterhaltungsroman über die Chemikerin Elizabeth Zott, die Anfang der sechziger Jahre Moderatorin einer Kochsendung im Fernsehen wird und dort die Molekulargastronomie erfindet. Ein großer, kluger literarischer Spaß – und ein anrührender Familienroman.

1.) Michael Kobr/Volker Klüpfel: Affenhitze (Ullstein, 560 S., 24, 99 €.)

Der Affe lernte im Allgäu den aufrechten Gang – vor elf Millionen Jahren. So der Ausgangspunkt des neuen Romans von Volker Klüpfel und Michael Kobr, der hauptsächlich aus seitenlangen Schilderungen besteht, wie der bräsige Allgäuer Kult-Kommissar Kluftinger, mittlerweile zum Interims-Polizeipräsidenten aufgestiegen, Pizza zu bestellen versucht oder eine Bowl. Literarisches Fast Food, leider ziemlich fade.

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