zum Hauptinhalt
Denis Scheck, ARD-Literaturkritiker.

© picture alliance/dpa/Arne Dedert

Denis Scheck bespricht die erfolgreichsten Bücher: Erhellende Lektüren, Klassismus und Mist

Von Martin Suter bis Ferdinand von Schirach, von Lucinda Riley bis Marah Woolf: Literaturkritiker Denis Scheck bespricht mal in aller Härte, mal voll des Lobes die Top Ten der „Spiegel“-Bestsellerliste.

10.) Bonnie Garmus: Eine Frage der Chemie (Deutsch von Klaus Timmermann und Ulrike Wasel, Piper, 464 S., 22 €)

Dieser feine feministische Unterhaltungsroman ist warmherzig und widerborstig zugleich. Daraus erkläre ich mir seinen lang anhaltenden Erfolg – und mit der Chemikerin und Fernsehköchin Elizabeth Zott, mit der Bonnie Garmus eine der originellsten Romanheldinnen unserer Zeit gelungen ist.

Ein Stapel neuer Bücher.
Ein Stapel neuer Bücher.

© dpa/Frank Rumpenhorst

9.) Elena Fischer: Paradise Garden (Diogenes, 323 S., 23 €)

„Es geht nicht darum, dass es schön aussieht“, erklärt die Mutter ihrer Tochter vor dem ersten Sprung vom Zehn-Meter-Turm. „Es geht darum, dass du dich traust.“ Elena Fischer traut sich einiges in ihrem putzmunteren Erstling, der zwar ein wenig zu zeitgeistig auf dem Thema Klassismus herumharft, dessen junge starke Erzählerin aber in Erinnerung bleibt.

8.) Caroline Wahl: 22 Bahnen (Dumont, 205 S., 22 €)

Noch mal das Thema Klassismus, jetzt aber in Gestalt einer Liebesgeschichte mit noch mehr Freibadszenen. Für ihr Mathematikstudium beschäftigt sich Tilda mit „A-priori-Schranken für die stochastischen Navier-Stokes-Gleichungen“. Tildas Alltag mit ihrem Kassiererinnenjob im Supermarkt, ihrer kleinen Schwester und ihrer suizidgefährdeten Alkoholikermutter ist zermürbend, sie wehrt sich mit nicht nur sportlicher Disziplin und träumt von einer Zukunft in Berlin. Wie Caroline Wahl ihrem schweren Thema Leichtigkeit, ja sogar Lebensmut abgewinnt, ist beeindruckend.

7.) Lucinda Riley, Harry Whittaker: Atlas – die Geschichte von Pa Salt (Deutsch von Sonja Hauser, Karin Dufner, Sibylle Schmidt und Ursula Wulfekamp, 800 S., Goldmann, 24 €)

Dass man wie die Jungfrau zum Kinde kommen kann, hat sich herumgesprochen. Um aber einen Menschen gleich sieben verschiedene Mädchen adoptieren zu lassen, dazu ist einiges an erzählerischem Aufwand zu leisten. Das führt in diesem Schmöker zu absolut irrsinnigen Plotwendungen zwischen dem Buckingham Palace, verfluchten Perlen und australischen Aboriginee-Kliniken. Die Autorin dieser Familiensaga ist 2021 gestorben, doch ihr ältester Sohn Harry Whittaker hält mit Sätzen wie „Mir lief ein Schauer über den Rücken“ mühelos Rileys Stilniveau. Unterirdisch.

6.) Martin Suter: Melody (Diogenes, 336 S., 24 €)

Schon viele Biografen mussten feststellen, dass die Angaben der Biografierten zu ihren Lebensläufen eher Fiktionen als Wahrheiten enthielten. So geht es auch einem angehenden Juristen, der in Martin Suters kurzweiligem Roman den Nachlass eines langjährigen Strippenziehers der Schweizer Politik ordnen soll. Eine erhellende Lektüre.

5.) Karin Smirnoff: Verderben (Deutsch von Leena Flegler, Heyne, 464 S., 24 €)

In der Malerei hat man für die wundersame Vermehrung von Bildern nach dem Ableben des Künstlers den Begriff des Bilderfälschers eingeführt. Für Karin Smirnoffs Fortsetzung von Stieg Larssons Romanen um Mikael Blomquist und Lisbeth Salander ist der Begriff der literarischen Leichenfledderei treffend.

Die kleine Kneipe in unserer Straße

4.) Robert Seethaler: Das Café ohne Namen (Claassen, 288 S., 24 €)

Wien 1966. Robert Simon beschließt, in einem Arbeiterviertel eine Gaststätte zu eröffnen. Seethalers Landsmann Peter Alexander besang einst „die kleine Kneipe in unserer Straße/ Da wo das Leben noch lebenswert ist“. Ganz frei von Kitsch ist auch Seethalers Roman nicht, aber sein Panorama der Lebensgeschichten sogenannter kleiner Leute hat es in sich. Wer je mit dem Gedanken gespielt hat, in die Gastronomie zu gehen, sollte diesen Roman lesen.

3.) Rebecca Yarros: Fourth Wing – Flammengeküsst (Deutsch von Michaela Kolodziejcok, dtv, 768 S., 24 €)

Wer eine gute Drachengeschichte lesen möchte, dem empfehle ich Ursula K. Le Guins „Erdsee“-Romane. Nicht aber diese dumpf-militaristische Fantasy, deren literarische Flughöhe mit denen der Drachen im Roman bei Weitem nicht mithalten kann.

80 Prozent von allem ist Mist.

Ferdinand von Schirach in „Regen“

2.) Ferdinand von Schirach: Regen (Luchterhand, 112 S., 20 €)

Wenn man schon eine 50 Seiten lange Erzählung zu einem ganzen Buch aufbläst, dann sollte man wenigstens auf solche Details achten, ob das Mordopfer nun auf der Treppe vor dem Haus oder auf dem Parkett im Haus verblutet. „80 Prozent von allem ist Mist“, erfahre ich aus Ferdinand von Schirachs neuer Erzählung. Stimmt.

1.) Marah Woolf: WiccaCreed. Schuld & Sühne (‎Marah Woolf Nova MD, 528 S., 22 €)

Marah Woolf ist das Pseudonym einer deutschen Autorin aus Magdeburg. Ihre Romane erscheinen im Eigenverlag, und so lesen sie sich auch. Dies ist der Mittelband einer Fantasy-Trilogie und handelt von Nexors Zauberstab aus Esteras Sarkophag. Zitat: „Der Stab war außergewöhnlich lang und sehr dünn. Das vordere Ende war so spitz wie einer von Eliayahs Dolchen. Jeder Zoll erinnerte an die gefährliche Macht und die dunklen Absichten seines Besitzers. Wir mussten ihm sein Geheimnis entlocken und ihn dann endgültig zerstören.“ Sie wissen nichts von Nexor, Estera und Eliayah? Ich könnte ihnen keinen Grund nennen, warum Sie das ändern sollten.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false