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SCHREIB Waren: Den Tod überlisten

„Wütend schritt ich voran“ – wer sein Buch unter ein solches Motto stellt, der will sich nicht mit Kleinigkeiten aufhalten. Auch der doppeldeutige Untertitel des neuen Romans „Johann Holtrop“ von Rainald Goetz – „Abriss der Gesellschaft“ – signalisiert, dass hier aufgeräumt wird: Die Verhältnisse der „Nullerjahre“ werden nicht nur gesellschaftspanoramisch erfasst, sondern geraten gleichsam unter die literarische Abrissbirne.

„Wütend schritt ich voran“ – wer sein Buch unter ein solches Motto stellt, der will sich nicht mit Kleinigkeiten aufhalten. Auch der doppeldeutige Untertitel des neuen Romans „Johann Holtrop“ von Rainald Goetz – „Abriss der Gesellschaft“ – signalisiert, dass hier aufgeräumt wird: Die Verhältnisse der „Nullerjahre“ werden nicht nur gesellschaftspanoramisch erfasst, sondern geraten gleichsam unter die literarische Abrissbirne. Goetz beschreibt, angelehnt an reale Vorbilder, Aufstieg und Fall des Vorstandsvorsitzenden Johann Holtrop, dessen Medienkonzern weltweit 80 000 Mitarbeiter beschäftigt. Holtrop erwirtschaftet 15 Milliarden Euro und mischt in seiner Gier und Machtbesessenheit mächtig im „kaputten Deutschland“ mit, in dem das „Phantasma der totalen Herrschaft des KAPITALS über den Menschen“ regiert. Am Mittwoch kann man dem Autor im Deutschen Theater beim Zertrümmern dieser Zwangsvorstellung zuhören – stilistisch gesehen ein zwar wutgetriebenes, aber eiskalt durchgeführtes Unterfangen, das keinerlei Mitleid mit den Figuren aufkommen lässt (20 Uhr, Schumannstr. 13a).

Und noch ein Autor dreht an ganz großen Dingen: Martin Suter nimmt die Zeit ins Visier. In seinem neuen Roman „Die Zeit, die Zeit“ geht es darum, selbige zurückzudrehen. Zwei Nachbarn haben ihre Ehefrauen verloren: Peter Talers Frau wurde vor einem Jahr erschossen, Albert Knupps Gattin ist bereits seit 20 Jahren tot. Doch während Taler nach Hinweisen auf den Mörder sucht, hat sich Knupp gar nicht erst mit dem Tod abgefunden. Und so macht er sich daran, einen vergangenen Tag wiederherzustellen – den letzten, an dem seine geliebte Frau noch lebte. Denn Zeit, so seine These, ist eigentlich inexistent, es gibt nur Veränderungen. Hebt man diese auf, dann ist man wieder an dem Punkt angekommen, an dem alles anders wurde. Dieser Wunsch einer Wiederherstellung der Vergangenheit dürfte sehr menschlich sein, ohne einige logische Verrenkungen ist er indes nicht in die Tat umzusetzen. Wie das Experiment aussieht, kann man bei der Lesung im Babylon Mitte am Freitag erfahren (Rosa-Luxemburg-Str. 30). Da wir nicht sicher sind, ob die Zeitaufhebung auch hier angewendet wird, finden Sie sich am besten um 20 Uhr ein.

Und noch eine Autorin überlistet diese Woche den Tod. Jenny Erpenbeck lässt in ihrem neuen Roman „Aller Tage Abend“ die weibliche Hauptfigur mehrfach sterben – und im nächsten Kapitel wiederauferstehen. Denn in jedem Leben gibt es schicksalshafte Momente, in denen sich etwas hätte anders entscheiden können, und damit ein anderes Leben – und eben auch Weiterleben – möglich geworden wäre. Am Mittwoch liest die Autorin in der Buchhandlung Herschel aus ihrem Buch über das Ungelebte, das in jedem Leben verborgen ist (20 Uhr, Anklamer Str. 38).

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