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Blaqtea, Walter p99 Arke$tra und Slimgirl Fat (von links) sind seit zwei Jahren die Gaddafi Gals.

© Joanna Legid

Debütalbum der Gaddafi Gals: Killerbienen im Kleinwagen

Schweben und fließen: Das Berliner Trio Gaddafi Gals verbindet auf seinem Debütalbum „Temple“ innovativen R’n’B mit Rap.

Der Tempel beschreibt ein Gefühl, eine Stimmung. Einen Ort aus Marmor. Slimgirl Fat sucht nach den richtigen Worten: „Da stehe ich alleine und schreie. Es hallt komplett um mich herum und zurück zu mir. Und dann ist plötzlich Stille.“

Wie würde sich ein Tempel in der heutigen Zeit anhören? Mit ihrem gerade erschienen Debütalbum „Temple“ (recordJet) geben die Gaddafi Gals eine mögliche Antwort darauf – oder mehrere. Denn ihr geheimnisvoll wabernder und mäandernder Sound ist offen für unterschiedliche Deutungen.

Zu dem Titel inspiriert hat das Berliner Trio der erste Song des Albums: „Smoked Out Loced Out“ beginnt wie ein düsterer Gangsterfilm. Man kann den Nebel in der Dämmerung beinahe fühlen. Ein verzerrtes Sample erklingt. Ein mächtiger Hip-Hop-Beat schiebt sich unter die dunkle Atmosphäre, der Rhythmus stockt und Slimgirl Fats helle Stimme schreit dazwischen auf.

Mehrere Gesangsspuren überlagern sich, werden ungeduldiger, sacken in sich zusammen. Mit ihrer tiefen Stimme rappt Blaqtea, die mit bürgerlichem Namen Ebru Düzgün heißt, über die Melodie. Unter ihrem Alias Ebow ist sie bereits bekannt und hat im Frühjahr das kämpferische Album „K4L“ herausgebracht.

Kennengelernt haben die drei sich in München

Das dritte Mitglied der Gruppe ist Produzent Walter p99 Arke$tra. Alle drei sind Ende 20 und zum Gespräch in ein Aufnahmestudio in Kreuzberg gekommen. Sie erzählen von ihren musikalischen Anfängen in München, wo sie aufgewachsen sind. Blaqtea singt als Kind im Chor und beginnt später Raptexte zu schreiben.

Mit 16 Jahren nimmt sie ihren ersten Song auf. Nalan Karacagil gründet mit Schulkameraden eine Band und nimmt an einigen Wettbewerben teil. Nach und nach merkt sie, wie vielseitig sie ihre Stimme einsetzen kann. Zuerst mit einem Freund zusammen als Nalan381, mittlerweile produziert sie ihre Musik als Slimgirl Fat. Ende 2018 kam ihr Debütalbum „Ugly“ heraus.

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Die beiden Musikerinnen kennen sich schon seit ihrer Jugend. „Als Nalan noch Indie war,“ und Ebru zwar schon rappte, aber eine kurze „Indie- Phase“ hatte. München ist nicht so groß, sagen sie schulterzuckend. Jonas Braun alias Walter p99 Arke$tra, der betont, dass er „nie Indie war“, kam erst ein bisschen später dazu. Nalan und er trafen sich über einen gemeinsamen Freund, der seinen Geburtstag in der Kunstakademie feierte. „Das ist ja wohl super Indie“, lacht Ebru.

In fünf Tagen nahmen sie ihre erste EP auf

„Ich kann mich noch erinnern, dass mein Vater mir gezeigt hat wie man illegal Songs downloaded“, sagt Walter p99 und grinst. Das Trio gehört zur „ersten Generation Internet“. In der Kindheit prägte sie der R’n’B und Hip-Hop der 90er, als Teenager steht ihnen online die gesamte Musikwelt zur Verfügung. Bei MySpace – ein längst vergessenes soziales Netzwerk, das besonders Musikerinnen und Musiker benutzten – hatten sie alle ein eigenes Profil. Ihre Künstlernamen, Ästhetik und Samplereferenzen verweisen auf diese Zeit.

Walter p99 kam aus Langeweile dazu Beats zu bauen. Er benutzte die Musiksoftware Fruity Loops: „Wir hatten nur die Demo-Version“, erzählt er. Die Beats überspielte er damals noch auf Kassette. Aus der Idee gemeinsam Musik zu machen entsteht 2017 in nur fünf Tagen die EP „The Death Of Papi“. Für die Entwicklung ihres Debütalbums treffen sich die drei zu einem zweiten „Bootcamp“. Gaddafi Gals seien „schon so ein Familien-Business“, sagt Slimgirl Fat. Dem Projekt ging eine lange Freundschaft voraus. Alle drei wirken selbstbewusst, herzlich und zugewandt – die Wertschätzung füreinander schwingt in jeder Antwort mit.

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Die Texte der Gaddafi Gals sind ausschließlich Englisch. „Das war wichtig, weil ich das Ebow-Projekt auf Deutsch mache“, erklärt Blaqtea, die zwischen Berlin und Wien pendelt. Das Ziel des Trios sei von Beginn an ein internationaler Sound gewesen. Slimgirl Fat schreibt meistens über „verfluchte Geschichten“, die Texte sind sehr metaphorisch und spirituell. Sie handeln im weitesten Sinne vom Ausloten zwischenmenschlicher Beziehungen. Es geht um Macht, Verletzlichkeit und Rollenbilder. „You’re diamond to me I swear/ You’re a killa bee I swear“, singt sie etwa in dem sehnsüchtigen Song „Killa Bee“.

Walter p99 Arke$tra zerhackt und zerdehnt die Beats

Die Texte spielen aber eher eine untergeordnete Rolle, betont Blaqtea. Anders als bei Ebow. Da überlege sie vor dem Schreiben genau, welche politische Botschaft sie übermitteln will. So ist Rassismus ein zentrales Thema auf „K4L“, was für „Kanak for Life“ steht.

Bei „Temple“ geht es vor allem um die Soundästhetik: die Melodien, die Stimmung, die Beats, der Vibe. Immer wieder werden Songstrukturen aufgebrochen. „Es schwebt alles so ein bisschen“, fasst Blaqtea zusammen. Nur der Song „Mitsubishi“ ist mit Hook und Refrain klassisch aufgebaut. Auf dem Rest des Albums wechseln sich Trap- und traditionelle Hip-Hop Beats ab.

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Die repetitive Überlagerung der Gesangsspuren hat etwas mystisches, mantrahaftes, dem man sich nur schwer entziehen kann. Unterbrochen wird der Fluss durch die „Chopped and Screwed“-Technik, eine DJ-Methode aus der Houstoner Hip-Hop-Szene der frühen 90er, die charakteristisch für Walter p99 Arke$tras Produktionen ist. Immer wieder lässt er den Beat schleifen oder schneidet ihn abrupt ab. In manchen Momenten scheinen die Songs geradezu zu zerfließen.

Mit diesem Sound haben die Gaddafi Gals bereits international auf sich aufmerksam gemacht. „Vice“ nannte sie zu Beginn des vergangenen Jahres „das einzige deutsche Rap-Trio, das man 2018 kennen muss“.

Auch zum großen South by Southwest Festival in Austin, Texas, waren sie eingeladen. Spontan entstand dort das Video zu dem Song „Hit On Me“. Die drei rollen darin auf E-Scootern herum – in Deutschland gab es die Dinger damals noch nicht. Sie kurven über Parkplätze und Straßen, was mal lässig und mal ein bisschen lächerlich aussieht. Aber es passt zum Text, Slimgirl Fat singt: „Don’t you know how to leave your damn ego behind?“ Das Ego hinter sich lassen – ein guter Rat, nicht nur beim Rollerfahren.
Konzert in Berlin: 8.11., 20 Uhr Badehaus

Alexandra Ketterer

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