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Der Schriftsteller Wolfgang Koeppen (1906 -1996)

© imago images/United Archives

Debatte um einen frühen Roman von Wolfgang Koeppen: Ist „Tauben im Gras“ rassistisch?

Eine Lehrerin in Ulm hält den Roman für unzumutbar – Baden-Württembergs Kultusministerin Therese Schopper besteht aber trotz dessen drastischer Sprache auf der Pflichtlektüre fürs Abitur.

Von Caroline Fetscher

Aus „Tauben im Gras“ soll 2024 Abiturstoff werden. Jetzt ist der siebzig Jahre alte Roman erst einmal Konfliktstoff. Eine schwarze Lehrerin in Ulm hält es für unzumutbar, dass sich Prüflinge an Berufsgymnasien in Baden-Württemberg auf dieses Werk von Wolfgang Koeppen (1906 - 1996) vorbereiten. Über eine Petition an das Kultusministerium fordert Jasmin Blunt den Verzicht auf diese Abiturlektüre. Ihr Protest gegen das Buch hat es bis in die Tagesthemen geschafft, was sich dessen legendär scheuer Autor vermutlich nie hätte träumen lassen.

Ob der Roman des Büchnerpreis-Trägers „ein unantastbarer Klassiker der Nachkriegszeit“ bleiben könne, lautete in der Sendung die Frage zu den Bedenken der Deutschlehrerin. Sie blätterte dabei in den Buchseiten, auf denen sie Wörter wie „Niggermusik“ mit rosa Leuchtstift markiert hat. In leicht schwäbischem Tonfall beklagte die junge Beamtin ihr Leseerlebnis: „Das war einer der schlimmsten Tage meines Lebens.“ Sie sei in Tränen ausgebrochen. Das „N-Wort“ tauche etwa hundertmal auf, das Wort sei „Gewalt“. 

Das war einer der schlimmsten Tage meines Lebens.

Jasmin Blunt, Berufsschullehrerin in Ulm

Koeppens mäandernde Handlung spiegelt die moralisch in Trümmern liegende Bundesrepublik, die Stadt, in der er spielt, gleicht München. In einem der raren Werke dieser Jahre, die Schwarze zu Protagonisten machen, sehen sich schwarze US-Soldaten dem Rassismus der Deutschen aller Milieus ausgesetzt. Anders als die Mehrzahl der deutschen Figuren werden der Idealist Washington Price, der mit seiner deutschen Geliebten ein uneheliches Kind gezeugt hat, und der beherzte Pragmatiker Odysseus Cotton sympathisch dargestellt. Im damaligen Sprachgebrauch wurden Schwarze mit dem „N-Wort“ bezeichnet, was Koeppen so wiedergibt. Soll das nicht mehr gelesen werden?

Koeppen ist kein Rassist, sondern weist auf Rassismus hin

Therese Schopper, Kultusministerin von Baden-Württembergs

Einfache Lösungen seien „immer das Falsche“, seufzt Jonathan Landgrebe, Leiter des Suhrkamp-Verlags, bei dem Koeppens Bücher erscheinen. Er sieht die Aufgabe bei der Bildung, Kontexte herzustellen. Eben das verspricht Baden-Württemberg Kultusministerin Therese Schopper, und nimmt die Pflichtlektüre trotz der „drastischen Sprache“ in Schutz. Koeppen sei kein Rassist, sondern weise auf Rassismus hin, der Inhalt werde im Unterricht eingeordnet.

Jasmin Blunt jedoch hat jetzt einen Antrag auf unbesoldete Beurlaubung eingereicht, um sich der doppelten Prüfung – amtlich wie emotional - nicht aussetzen zu müssen. Unterstützt wird ihr Anliegen auch durch einige Literaturwissenschaftler wie Magdalena Kißling von der Universität Paderborn, die den Mangel an „Sensibilität für die Macht von Sprache“ kritisiert. Ähnlich sehen es Vertreter der „Initiative Schwarze Menschen in Deutschland“ oder der „Amadeu-Antonio-Stiftung“.

Gegenüber dem Portal BuzzFeed äußerte deren Sprecherin Rosa Fava, „eine so häufige Nennung erniedrigender Fremdbezeichnungen“ könne auf junge Menschen „überwältigend“ wirken. Fragwürdig sei überdies, dass für das Thema Rassismus Literatur eines nicht-schwarzen Autors ausgewählt worden sei. Nach solch schwarz-weißer Logik stellen Romane, in denen, verfasst von Weißen, nur Weiße vorkommen, offenbar kein Problem dar, obwohl sich ja einwenden ließe, dass sie die Existenz Schwarzer ausblenden.

Koeppens Protagonist Washington Price ist sich mit Entsetzen dessen bewusst, dass in Deutschland Schilder hingen, auf denen stand: „Für Juden verboten“. Er weiß: „[…] in Deutschland verschwanden die infamen Gebote, und abgerissen, verbrannt und versteckt wurden die Tafeln des Ungesetzes, die jeden Menschen beschämten.“

Klar nimmt Price, der für seine herausragenden Leistungen von der US-Army mit Orden dekoriert wird, den Widerspruch wahr, dass in seinem Land weiterhin die „Schilder des Hochmuts“ stehen, auf denen geschrieben steht: „Für Schwarze verboten.“ Es sind diese Widersprüche und Brüche, an denen Koeppens Text entlangarbeitet. Dass er nun vermutlich erst recht wiedergelesen wird - auch das ein Widerspruch – verdankt er jenen, die ihn zu Unrecht skandalisieren.

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