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Erinnerung sprich: Bevor es ein Club wurde, war das Sexiland eine Toilette am U-Bahnhof Rosenthaler Platz

© privat

Dauermusealisierung eines Jahrzehnts: Hört das mit dem Techno, den Clubs und der Nostalgie nie auf?

Die Neunziger gehen nie zu Ende, wie einmal mehr eine Ausstellung in der Berliner C/O-Galerie beweist. Jetzt müssen endlich mal die Millennials ran.

Es ist nicht mehr lange hin, ein paar Monate noch, und dann ist nicht nur die erste Dekade des neuen Jahrtausends eine Ewigkeit her, sondern die zweite gleich mit, die zehner Jahre. Welches Jahrzehnt jedoch einfach nie zu Ende gehen mag, das sind die neunziger Jahre. Genauer: jene Zeit in Berlin kurz nach der Wende, in der alles möglich war, gerade in der Clubkultur der damals höchstens lose-brüchig wiedervereinigten Stadt.

Diesen Eindruck der ewigen Berliner neunziger Jahre bekommt man aktuell einmal mehr in der „No photos on the dancefloor“-Ausstellung in der C/O-Galerie, in der gleich zu Beginn großformatig die natürlich wunderbaren Club-Fotos von Martin Eberle zu sehen sind: von dem schönsten Raum des 103 am Montbijou-Park, vom Eingang und von der Bühne der Galerie berlintoyko, vom Tresor oder dem Sniper.

Haben wir nicht hier immer auf dem Geländer gesessen, in diesem Hinterhof am Hackeschen Markt? Saßen T. und ich nicht dort eine ganze Nacht an der Theke und haben unzählige Bier getrunken – und du hast nebenan Roulette gespielt? Hier, auf dem Foto, ist das nicht der „Flyer“-Fotograf Andre C. Hercher, der ja heute noch unterwegs ist? Und dort, Rainald Goetz, mit Kippe im Mund ein Autogramm schreibend, das muss im Init gewesen sein!

Die Erinnerungsarbeit beginnt sofort beim Betreten und Durchstreifen der Ausstellung. Das macht Spaß, hat inzwischen aber etwas Routiniertes. Noch immer läuft die „Nineties“-Ausstellung in der Alten Münze in Mitte, die multimedial auffordert: „Tauche ein in das Lebensgefühl kurz nach dem Mauerfall und erlebe den Mythos ,Berlin’!“

Auch die „Wir sind hier nicht zum Spaß“-Ausstellung 2013 im Kreuzberger Bethanien mit dem Fokus auf der Galerie berlintoykyo ist in guter Erinnerung; und zuvor hatte es schon zahlreiche Bücher über die Neunziger, die Clubs und Techno in Berlin gegeben, „Der Klang der Familie“ oder „Die ersten Tage von Berlin“.

War man sich der Einzigartigkeit der Situation bewusst?

Immerhin erstreckt sich die Ausstellung in der C/O-Galerie über die neunziger Jahre hinaus bis heute, und eine Arbeit von Berghain-Türsteher Sven Marquardt oder die vielen Fotos von Wolfgang Tillmans sind unbedingt ein Surplus. Trotzdem wird man den Eindruck nicht los, dass das Dokumentarische überwiegt, (schon wieder Flyer, Garderobenmarken, Eintrittskarten!), trotz vieler interessanter Gesichter, trotz toller Fotos.

Der Wiege der Berliner Clubkultur und ihrem Großwerden, der „großen, ständig Bilder produzierenden Abstraktionsmaschine“, als die Tillmans die Clubs beschreibt, lässt sich künstlerisch nicht viel abgewinnen, der Erkenntnisgewinn bleibt gering. Das Feiern der Gegenwart, das „eins eins eins – und eins eins eins – und geil geil geil geil geil", wie Rainald Goetz es in seiner Erzählung „Rave“ gelautmalt hat, das Flüchtige des Clublebens, all das ist das eine, die Dauermusealisierung das andere. Beides in Einklang zu bringen ist schwer.

„Man war sicher, einmal, ein einziges Mal, in diesem Moment, in dieser Situation, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein“, wird Martin Eberle in der Ausstellung zitiert. Darüber ließe sich streiten. Vor allem darüber, ob sich seinerzeit in den Clubs alle der historischen, dereinst einmal legendär werdenden Situation wirklich bewusst waren. Eher nicht. So langsam wird es Zeit, dass die Millennials und ihre Nachfolger diesen neunziger Jahren einmal etwas entgegensetzen.

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