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Ein Flur in der psychiatrischen Klink Niederlausitz in Senftenberg.

© imago stock&people

Das SPK und die RAF: Krankheit und Waffen

Was das Sozialistische Patientenkollektiv (SPK) einst für die Medizin bedeutete - jenseits der RAF: In der Berliner Charité wurde die Studie "Wir wollten ins Verderben rennen" vorgestellt.

Es gibt historische Perioden und Ereignisse, die nur aus der Perspektive ihrer Effekte betrachtet werden können. So wird die Weimarer Republik wohl nie aus dem Gravitationsfeld des Nationalsozialismus rücken und die DDR immer an ihrem Untergang gemessen werden. Aber auch Phänomene wie etwa das 1970/71 in Heidelberg agierende Sozialistische Patientenkollektiv (SPK) wäre nicht mehr als eine Fußnote der verendenden Studentenbewegung, wenn nicht einige ihrer Mitglieder den Weg in die RAF gegangen wären. Seither gilt das SPK als „Kaderschmiede der RAF“ und sein „Guru“, der Arzt Wolfgang Huber, als Wegbereiter in die Gewalt.
Christian Pross, ehemaliger Leiter des Behandlungszentrums für Folteropfer in Berlin, hat mit zwei Mitarbeiterinnen den Versuch unternommen, das SPK aus dem Schatten der RAF zu holen und ihm seine eigenständige Bedeutung für die neuere deutsche Patientenbewegung zurückzugeben. Die Vorstellung seiner Studie „Wir wollten ins Verderben rennen“ (Psychiatrie Verlag, Köln) fand nicht ohne Grund in der Nervenklinik der Charité in der Reihe „GeDenkOrte - Wissenschaft in Verantwortung“ statt, einem der Orte, wo der allmähliche Paradigmenwechsel an den Universitäten der NS-Medizin den Weg bereitet hatte.

Pross ist sich seiner Doppelrolle als Zeitzeuge – er begleitete als Mitglied der Basisgruppe Medizin das SPK – und Chronist bewusst. 20 Jahre lang habe er Weihnachten mit einem aus dem SPK rausgeworfenen Patienten gefeiert, erzählt er vor dem weitgehend ergrauten Publikum, in dem viele sitzen, die den Sprung aus dem radikalisierten Heidelberg in eine arrivierte akademische Position in Berlin geschafft haben. Viele der Protagonisten und Patienten des SPK, die Pross befragt hat, tragen ein schwieriges Erbe, denn der ursprünglich emanzipatorische Impetus des Kollektivs wurde mit der Zeit überschattet von gruppeninternen Unterdrückungsverhältnissen, gegen die man ursprünglich angetreten war.

"Es war Trauma-Therapie im Auge des Hurrikans"

Wie war es möglich, dass aus einer zunächst relativ harmlosen Therapiegruppe, der 200 bis 500 Patienten angehört haben, innerhalb von 17 Monaten ein Kern politisch radikaler Aktivisten hervorging, der sich die Losung „Krankheit als Waffe“ auf die Fahnen schrieb und am Ende sogar darüber nachdachte, den bewaffneten Kampf aufzunehmen? Anlass war die Entlassung des Studentenarztes Wolfgang Huber aus der Heidelberger Poliklinik. Seine mobilisierten Patienten besetzten die Klinikverwaltung und setzen gegenüber der neuen liberalen Universitätsleitung durch, dass Huber Räume für die Gruppentherapie zur Verfügung gestellt wurden.

Diese Ereignisse sind allerdings nur zu verstehen, wenn man sich die katastrophalen Verhältnisse der damaligen Anstaltspsychiatrie, in der Zwangsjacken und Elektroschocks an der Tagesordnung waren, vor Augen hält, insbesondere im von der NS-Medizin besonders kontaminierten Heidelberg. Die ausbleibende Psychiatriereform und die überall aufkeimende Antipsychiatrie-Bewegung in einer von der Studentenbewegung aufgeheizten Stadt boten den Nährboden für das SPK. Die Vorstellung, dass Krankheit – und insbesondere psychiatrische Störungen – nichts weiter als ein Symptom des „kranken“ Kapitalismus seien, hatte Signalwirkung. Gegenüber der sterilen, wenig subjektorientierten Linken wiederum war das SPK attraktiv, weil es persönliche Befreiung und politischen Kampf zu vereinen versprach. „Die freiwerdende Energie“, so das Credo, „wird in Marxismus umgesetzt.“

Die Entdeckung, dass man über das, was in einem vorging, reden konnte, erzählt Sefanie Berger, die als 18-jährige als Patientin zum SPK stieß, sei etwas völlig Neues gewesen. Sie erlebte zum ersten Mal Solidarität in einer Gruppe, die sich als Gemeinschaft verstand. Plötzlich verschwanden alle Symptome, die sie peinigten. Dass die Patienten selbst als Laientherapeuten wirkten, hat sie als Selbstermächtigung erfahren. „Es war Trauma-Therapie im Auge des Hurricans“.

Doch die als Laientherapeuten tätigen Patienten waren auch überfordert. Es kam zu Grenzüberschreitungen, und mit der Räumungsdrohung 1971 geriet die Gruppe immer mehr unter Druck und isolierte sich. Die Krise war plötzlich nicht mehr Chance zur Befreiung, sondern der Anfang vom traurigen Ende. Es verdeckte, so Pross, die Bedeutung des SPK für die Selbsthilfebewegung psychisch kranker Menschen und seine Rolle als erstes radikales antipsychiatrisches Experiment in Deutschland.

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