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Jeff Walls Leuchtbilder: Das Sehen sehen

Gestochen scharf: Jeff Walls monumentale Leuchtbilder in Dresden.

Der Lipsiusbau in Dresden ist ein großartig ruinöses Gebäude, gerade soweit hergestellt, dass es als Ausstellungshaus der Staatlichen Kunstsammlungen dienen kann. Das stimmt – und stimmt zugleich nicht; denn natürlich ist das Innere mit allen notwendigen Installationen versehen, mit Beleuchtungsmöglichkeiten, mit versteckten Aufzügen, mit komplettem Service. Das Haus sieht nur aus wie eine eben erst vom Kriegsschutt gereinigte Ruine.

Sieht aus wie: Das geht vorzüglich mit der gegenwärtigen Ausstellung von Leuchtdiakästen des Kanadiers Jeff Wall zusammen. Denn auch diese zumeist großformatigen Dias stellen etwas vor. Sie stellen eine im Moment der Aufnahme gefrorene Realität vor, die in Wahrheit mit ungeheurer Sorgfalt inszeniert worden ist. Das muss man nicht wissen. Aber der Betrachter spürt vor Walls Bildern, dass sie nicht sein können, was sie zu sein vorgeben, und sei es allein schon, weil niemand eine derart detailfreudig aufzeichnende Kamera zur Hand haben kann, wenn zufällig etwas geschieht.

Gegenüber dem Eingang hängt eines der spektakulärsten Formate von Jeff Wall: „Restaurierung“ von 1993, eine knapp fünf Meter breite Aufnahme des Luzerner Bourbaki-Panoramas zu Beginn einer Restaurierung. Das Panorama ist ein Medium des 19. Jahrhunderts, auf der Grenze von Kunst und Sensation; es vermittelt in seiner Rundsicht dem Betrachter den Eindruck, sich mitten im dargestellten Ort und Geschehen zu befinden. Im Zeitalter von Fotografie, Kino und nun gar digitaler Bildschöpfung erscheinen die wenigen erhaltenen Panoramen als liebenswerte Relikte einer vergangenen Zeit, die die ständige Verfügbarkeit bildlicher Darstellungen noch nicht kannte. Die Sensation eines Panoramas ist heutzutage nur mehr eine nachempfundene.

Wall verdoppelt diese Nachempfindung, indem er das Luzerner Panorama im traurigen Zustand seiner Reparaturbedürftigkeit zeigt. Restauratorinnen machen sich an der Rundumleinwand zu schaffen, verteilt in einem Raum, den Wall mit einer Panoramakamera im exakt halben Kreisformat von 180 Grad aufgenommen hat. Wir sehen, dass wir das, was Wall uns zeigt, mit eigenen Augen so nicht sehen könnten, wie wir ebenso wissen, dass der Maler des Panoramas die dargestellte, gleichfalls augenblickshafte Szene so nie hat sehen können.

„Restoration“ ist das Schlüsselbild der Dresdner Ausstellung. Es lässt den Herstellungsprozess seiner selbst erkennen und problematisiert zugleich die Wahrnehmung von Wirklichkeit in gleich welchem Medium, der Malerei wie der Fotografie. Die anderen Leuchtkästen sind da verhaltener; auch, weil Wall in anderen Arbeiten eher an der Inszenierung interessiert ist. Kein Bild ist spontan entstanden. Wall baut ganze Szenerien nach, engagiert Schauspieler. Er fotografiert mit einer gestochen scharf abbildenden Großformatkamera, anschließend wird mit dem Computer nachbearbeitet.

„In seinen Bildern verbindet sich die trügerische Authentizität der Fotografie mit der suggestiven Sprache des Films und dem Erzählgestus der klassischen Malerei“, verkünden die Dresdner Kuratoren, und so richtig das bei aller Kürze ist, so deutlich zeigt es auch die Problematik eines allzu ausgreifenden Kunstwollens. Walls Diakästen gehören mittlerweile zum Standard einer jeden Museumssammlung. Erst nach der Zeit seines weltweiten Erfolgs Ende der achtziger Jahre ist der 63-jährige Künstler seit rund einem Jahrzehnt mit quasi gewöhnlichen Stillleben zur nichterzählerischen Komposition zurückgekehrt.

Jeff Wall – bis heute in seiner Vaterstadt Vancouver zu Hause – hat nie einen spezifischen Ort gesucht. Natürlich lässt sich Vancouver auf etlichen Ansichten entziffern. Doch ging es Wall stets um ein verallgemeinertes Nordamerika, um Durchschnittsmenschen im Durchschnittsambiente. Die Erzählungen, die er um dieses Grundmotiv herum gesponnen hat, wurden im Laufe seiner Erfolgsjahre immer überbordender, die gleichfalls eingeflochtenen Anspielungen an die Geschichte der Malerei immer komplizierter. Leider folgen etliche Bildbeschreibungen im Katalog dieser falschen Fährte. Brecht prägte dafür das schöne Wort „Inhaltismus“. Vom Inhalt(-ismus) ist Wall mittlerweile etwas abgerückt, und anhand der Dresdner Bildauswahl lässt sich erkennen, worum es im Grunde geht: um das Denken beim Sehen und den Zweifel an der vermeintlichen Realität.

Dresden, Kunsthalle im Lipsiusbau, Brühlsche Terrasse, bis 19.9. Katalog ( Schirmer/Mosel) 39,90 €, Buchhandel 49,80 €.

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